Robert Kuehl

Weihnachtsgedanken

Jedesmal, wenn ich am Heiligen Abend die Augen meiner Kinder sehe, komme ich nicht umhin, selbst auch an den Weihnachtsmann zu glauben. Klar, ich bin schon viel zu alt für solche Geschichten, und auch meine Kinder - zumindest die beiden großen - glauben nicht mehr an ihn. Jedoch zu Weihnachten… Eine seltsame Macht geht vom Weihnachtsmann aus. Das Weihnachtsfest an sich stimmt uns Erwachsene friedlich, festlich. Der Weihnachtsmann macht die "Äktschn" - tagsüber hält er die Kinder brav, obwohl sie selten so gespannt und aufgeregt sind. Am Abend zaubert er ihnen ein Leuchtten ins Gesicht - gespannte Erwartung, bis das Glöckchen klingelt.
Ich sitze im Wohnzimmer und schaue mich um. Berge von Geschenken - mal wieder viel zu viel. Der Weihnachtsbaum steht noch etwas düster in der Ecke, aber ich habe das Feuerzeug schon in der Hand. Die Glocke steht auf dem Tisch, eine CD mit Weihnachtsliedern steckt im Player. Aufgeregtes Plappern klingt aus dem Kinderzimmer. Aber kein Duft von Weihnachtsgans umfächelt meine Nase. Heiligabend gibt's bei uns immer Bockwurst mit Kartoffelsalat.
Ich genieße diesen ruhigen, besinnlichen Moment jetzt, freue mich schon darauf, daß meine Frau sich freuen wird und wie meine Kinder jubeln werden. Ich glaube, diesmal habe ich wirklich an alles gedacht, nichts vergessen - wär' eigentlich typisch für mich (vor acht Jahren hatte ich sogar den Tannenbaumfuß vergessen).
Mein Blick schweift noch einmal prüfend durch den Raum, gleitet aus dem Fenster. "Markt und Straßen steh'n verlassen…" schießt mir durch den Kopf, "alles sieht so festlich aus…". Hm, stimmt, aus den Fenstern der gegenüberliegenden Häuser scheint festlicher Lichterglanz zu mir herüber. Kein Schnee, mal wieder, so wie früher. Und wie ich so blicke, muß ich lächelnd an den lieben Onkel Karl denken, der vor zwei Jahren bei uns den Weihnachtsmann "machen" sollte. Ich saß damals genauso wie heute da und sah ihn aus dem Auto steigen, sah wie er auf mein Fenster zukam. Plötzlich war er weg! Ausgerutscht in Hundekacke. Der Cognack, den ich bekommen sollte, hatte das nicht überlebt und Onkel Karl und unsere Geschenke stanken, als wenn er aus der Kneipe gekommen wäre.
Das letzte Jahr fällt mir ein, als mein Ältester (er war knapp zehn Jahre alt) den Weihnachtsbaum allein besorgen wollte. Dieser hatte schon fast alle Nadeln eingebüßt, bis mein Sohn ihn zu Hause hatte. Und die paar Zweige, die an ihm waren, standen alle in eine Richtung. "Der tat mir so leid, keiner wollte ihn kaufen…" Ich hatte fast den ganzen Nachmittag des Heiligabend damit zu tun, dem Baum mit Hilfe meiner Bohrmaschine und Zweigen vom Wochenmarkt etwas Form zu geben.
Nun fällt mir auch das erste gemeinsame Weihnachten ein. Meine Frau und ich waren noch allein. Ich wollte sie mit einem Vorsteckring überraschen. Bereits im Oktober hatte ich ihn beim Juwelier gekauft - ich kenn' mich doch! Kurz vor Weihnachten brachte ich ihn jedoch wieder zurück, um ihn etwas weiten zu lassen. Pech! Wir haben ihn dann aber einen Tag nach Weihnachten gemeinsam abgeholt.
Meine Kochversuche im zweiten Jahr sind sicher auch meiner Frau noch in lebhafter Erinnerung. Flugente wollte ich "kreiren", stattdessen gab's mucheligen Rotkohl mit ein paar Scheiben Salami. Das Dessert, Mousse au Chocolat, haben wir danach aber mit Genuß getrunken.
Tante Käthes Spekulatius passen in diese kulinarische Schilderung prima hinein. Als ich das erstemal hineinbiß, dachte ich ernsthaft daran, mit ihnen den Anbau hochzuziehen.
Oder Schwiegermutter, die mir jedes Jahr Krawatte und Hemd mit einem Westover schenkt (davon hat sie wohl 1950 mal einen größeren Posten aufgekauft - wer kennt heute noch Nyltesthemden); ich habe sie trotzdem sehr lieb.
Ich denke an das erste Paar selbstgestrickter Wintersocken, daß meine Frau mir schenkte. Um sie tragen zu können, mußte ich meine Sandalen vom Dachboden holen.
Und wie war das früher? In den sechziger Jahren schenkte mein Vater mir eine elektrische Eisenbahn. Es war fast Silvester, als ich das erstemal damit spielen durfte. Da bin ich doch heute etwas schlauer: Die neue Autobahn meiner Jungs teste ich abends schon seit zwei Wochen, da konnte ich heute morgen noch schnell ein neues Auto besorgen. Und ich werde die Autobahn heute abend nicht anfassen! Jedenfalls nicht so oft, nur mal zeigen...
Und die "halben" Geschenke, die ich bekam, fallen mir ein: Ein Kofferradio ohne Batterien; ein Fotoapparat mit Blitz(!), jedoch ohne Film; ein Plattenspieler, den ich mir sehr gewünscht hatte, sogar mit der neuen LP der Bee Gees. Was fehlte, war ein Verstärker.
Weihnachten kann manchmal doch recht witzig sein. Aber eben erst hinterher. Mal sehen, was uns dieses Weihnachten bringt. Ich werd' jetzt erstmal die Kerzen anzünden und nicht den Weihnachtsbaum. Und wenn ich großes Glück habe, fällt er dabei nicht um - fröhliche Weihnachten!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.09.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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