Angela Heise
Das kleine Glöckchen
Ich rase mal wieder genervt nach derArbeit in den Supermarkt, um
ein paar Kleinigkeiten für das Abendessen zu besorgen. Ausser mir
schien dieser Gedanke noch etliche andere Leute erfasst zu haben und es
war recht voll. Eilig schob ich meinen Einkaufswagen durch die Regale
und da ich wusste was ich wo finden würde ging es zügig. Erleichtert
wollte ich Richtung Kasse gehen als es hinter mir laut klirrte. Ich
drehte mich um und sah die Bescherung. Ein älterer Herr hatte ein Glas
mit Rotkohl fallen lassen und Kraut und Scherben lagen auf dem Boden.
„Können Sie denn nicht aufpassen?“, fauchte eine junge Frau, die den
Segen fast abbekommen hätte wütend. Der Herr war schuldbewusst und
stammelte eine Entschuldigung. „Altenheim, kann ich nur sagen“,
stänkerte die junge Frau erbost und ging weiter. Eine Mitarbeiterin des
Marktes kam heran, sah sich den Schaden an und meinte lakonisch „das
müssen Sie aber zahlen!“, drehte sich um und verschwand um Putzzeug zu
holen. Der alte Mann war ganz aufgeregt und kramte in seinem
Geldbeutel. „Dann muss ich die Suppendose hier lassen“, murmelte er
leise. „Schade, darauf hatte ich mich doch so gefreut“. Er tat mir
wirklich leid. Noch bevor ich etwas machen konnte kam ein junger Mann
dazu. Er hatte sich das Ganze schon eine Weile angeschaut. „Lassen Sie
mal gut sein, ich lade Sie zu der Suppe ein!“, lächelte er freundlich.
„Wissen Sie, Sie erinnern mich an Opa. Er war auch ein wenig
schusselig. Nichts für ungut, ist nicht böse gemeint. Jetzt kommen Sie,
wir zahlen und dann fahre ich Sie heim. Der Einkauf war anstrengend“.
Behutsam fasst er den alten Herrn am Arm und die Beiden gingen Richtung
Kasse.
Irgendwo läutete ein Glöckchen.
Das kleine Mädchen rannte den Eltern voraus zum Schaukelauto vor dem
Einkaufszentrum. Ganz aufgeregt war sie und rief den Eltern zu, sie
sollen sich beeilen. „Ich will fahren“, schrie sie laut.
Neben dem Schauckelauto stand ein kleines Mädchen in einem
zerschlissenen Anorak. Sie sah zu, wie der kleine Blondschopf ins Auto
kletterte. „Papa, komm, ich brauche doch 50 Cent“, rief sie.
Das andere Mädchen starrte sie an.. „Willst Du auch fahren?“, fragte
der Blondschopf. „Schon, aber ich habe kein Geld. Wir wohnen im
Wohnheim und das bisschen Geld, dass meine Mama bekommt reicht kaum“,
antwortete die Andere sehr erwachsen. Inzwischen waren die Eltern heran
gekommen. Der Vater zog sein Portemonnaie heraus und drückte seinem
Töchterchen 50 Cent ins Händchen. Die Kleine überlegt kurz und
kletterte heraus. „Nanu, nun also doch nicht?“ wunderte sich der Vater.
Die blonden Löckchen flogen hin und her. „Nein, ich schenke dem armen
Mädchen das Geld!“. kam es entschlossen aus dem rosa Mund. „Dann kannst
Du aberheute ncht fahren“, gab die Mutter zu bedenken. „Macht nix, ich
kann ein anderes Mal fahren“. Die Kleine sah zu, wie das andere Mädchen
strahlend in das Autochen krabbelte und glückseelig für 50 Cent
schauckelte.
Irgendwo läutete ein Glöckchen.
Der alte Leierkastenmann drehte unermütlich seine Orgel. „Stille Nacht,
heilige Nacht“ schallte es über den kleinen Markt. Die Leute rannten
achtlos weiter, nahmen ihn wohl nicht wahr.
In seiner Dose lagen erst wenige Cent. Die Zeiten waren schwerer
geworden, das Geld saß nicht mehr locker. Wenn es bei den wenigen
Einnahmen blieb würde er kommenden Montag zum Sozialamt gehen müssen.
Hoffentlich gab man ihm Geld für ein wenig Essen. Traurig drehte er
seine Orgenl weiter. „Der Mann weint ja“, erklang da plötzlich eine
helle Stimme. Der Leierkastenmann sah auf. Komisch, da war kein Mensch!
„Er ist traurig“, hörte er jetzt, aber so seh er auch Ausschau hielt er
konnte keinen entdecken. Er schüttelte leicht den Kopf. Es würde keiner
merken, das er traurig war. Sicher hoffte er auf Mitgefühl, aber dazu
war es wohl zu kalt. „Er spielt so schön“, tönte die Stimme wieder. Der
Alte drehte seine Orgel und dachte sich, er müsse mal richtig schlafe.
Dann würden diese Stimmen sicher weg gehen. Nur schlief er so schlecht
auf der alten Matraze in dem kalten Zimmer. Früher, ja, früher war es
besser! Da zog er bei schönstem Wetter durch die Straßen und die Leute
waren gut gelaunt und spendabel. Es hatte heute keinen Sinn mehr hier
zu bleiben. Er packte die alte Orgel zusammen und zog langsam in
Richtung seiner Wohnung davon. „Hier wohnt er also“ wisperte die Stimme
von vorhin. Der Alte sah sich um. Nichts und Niemand war zu sehen. Er
seufzte auf als er seine kleine, bescheidene Wohnung aufschloss. Minka,
seine Katze, der einzige Freund der ihm geblieben war strich ihm
schnurrend um die Beine. Er kraulte sie leicht und holte die letzte
Dose Futter aus dem Spind. Einige Löffel gab er auf den Katzenteller,
den Rest stellte er sorgfältig weg. In eine Decke gehüllt legte er sich
hin und schlief fest ein. „Er träumt“, hörte er die Stimme sagen.
Er wachte früh am Morgen auf. Kaffeeduft stieg ihm in die Nase. „Ich
träume wohl noch,“ dachte er sich. Müde ging er in die Küche und rieb
sich die Augen. Der Tisch war nett gedeckt, Kaffee dampfte in der
Kanne, Brötchen und Butter standen da.Vorsichtig setzte er sich an den
Tisch. Da lag ein Zettel! „Du hast geweint. Du warst traurig. Du hast
wunderschöne Weihnachtslieder gespielt. Du hast die Katze gefüttert,
obwohl Du selbst hungrig zu Bett gehen musstest. Du hast nicht mit dem
Schicksal gehadert. Deshalb haben die Weihnachtsengel Dich beschenkt.
DU wirst immer Brot haben, nie mehr frieren und immer wieder dankbar an
die Weihnachtstage denken.“
Irgendwo läutete ein Glöckchen.
Was diese Geschichte soll? Ganz einfach! Immer, wenn wir dankbar sind,
wenn wir anderen helfen, wenn wir füreinander da sind läutet die Glocke
der Liebe hell und klar. Nicht nur zu Weihnachten!
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.12.2005.
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