Hans-Peter Zürcher

St. Nikolaus

 
6. Dezember 2003
 
Der 6. Dezember war für uns Kinder immer ein spezieller Tag. Eine gewisse Spannung, etwas geheimnisvolles, war bereits am Morgen spürbar, wenn an unserem Adventkalender das Türchen mit der 6 geöffnet werden durfte. Es kam natürlich wie jedes Jahr ein St. Nikolaus zum Vorschein.
 
Wir standen aber bereits seit mehreren Tagen unter Druck, musste doch ein Gedicht, ein Lied oder eine Weise auf der Blockflöte auswendig gelernt werden, und zwar für jeden von uns Buben. Ich war in der vierten Klasse und hatte natürlich keine Angst mehr vom Nikolaus, im Gegensatz zu meinem Bruder! aber da war so etwas wie Ansteckungsgefahr, und die schlug dann auch zu. Davon aber später.
 
Zu der Zeit wohnten wir an der Sonnhalde in Herisau und waren seit ende November recht gut mit Schnee versorgt. Also war jeden Abend schlitteln angesagt, denn der Sonnhaldenweg war eine hervorragende Schlittenbahn mit drei Kurven und einem Höhenunterschied von mindestens siebzig Metern. Autos gab es praktisch nur eines in der Villa Kempf, die wohnten zu oberst und wenn der Hausherr gute Laune hatte, durften wir unseren Schlitten an die Stosstange anhängen und wurden dann so nach oben gezogen. Im Normalfall mussten wir aber laufen. Da die Sonnhalde mit einer Treppe erschlossen war, ging das recht praktisch zu und her. Der Schlitten wurde geschultert, dann ging es los nach oben und dies ohne dass die, die hinunter fuhren gestört wurden.
 
Auch an jenem Nikolausabend wurde geschlittelt was das Zeugs hergab. Ab und zu hörte man ein Glöcklein oder sah von weitem einen Nikolaus samt Schmutzli. Ich glaube, alle Kinder waren irgendwie nervös, aber Angst hatte selbstverständlich niemand.
 
So um halb Sieben wurden mein Bruder und ich zum Nachtessen gerufen. Hunger war keiner vorhanden und geübt musste auch noch einmal werden. Zwischen durch schauten wir immer wieder zum Fenster hinaus ob der, der da kommen sollte, nicht etwa schon den Weg zum Haus herauf stapft.
 
So gegen acht Uhr, die Spannung hat  einen fast unerträglichen Punkt erreicht, zündete Vater zwei grosse Kerzen, die eine auf dem Stubentisch und eine auf dem Buffet, an. Und schon hören wir ein Glöcklein im Treppenhaus und ein Gepolter. Mein Bruder verdrückt sich zur Mutter, die auf dem Sofa sitzt, und ich setz mich zwischen Grossvater und Gotte. " Wirst wohl keine Angst mehr haben in deinem Alter ".“  Nein, nein ", gab ich zur Antwort, " hier war nur noch zufällig ein Platz frei ".
Und schon kam er, der St. Nikolaus in seiner ganzen Pracht, in das Wohnzimmer und setzte sich in den von Vater bereitgestellten Stuhl. Es war wie jedes Jahr ein grosser, mächtiger Nikolaus mit langen, gekrausten weißen Haaren, einem eben solchen grossen Bart, buschigen Augenbrauen und einem roten Mantel mit Kapuze. Glocke, goldenes Buch und die obligate Rute waren natürlich weitere Bestandteile seiner Ausrüstung.
 
Nachdem wir ihn artig, und nicht ohne Herzklopfen, begrüsst hatten, waren erst einmal unsere Blockflöten gefragt, das heisst, Mutter fragte uns, ob wir nicht dem Nikolaus etwas vorspielen wollen. Dies war zwar eher ein Befehl als eine Frage, aber ich glaube, sie war stolz auf unser Flötenspiel, wurden wir doch immer wieder von unserem Flötenlehrer Herr Grubenmann gelobt. Das Lied ist dann auch recht gut gelungen, denn wir wurden auch vom Nikolaus gelobt.
 
Nun kam die Stunde der Wahrheit, denn jetzt öffnete er sein grosses Buch, und los ging’s mit unseren Schandtaten, die wir übers Jahr verbrochen haben sollen. Warum unsere Eltern nie getadelt wurden, ist mir bis heute ein Rätsel geblieben ! Und dann waren noch unsere mühsam auswendig gelernten Gedichte an der Reihe und ich der Ältere musste natürlich als erster daran glauben. Mir ist nur noch der erste Fers bekannt und der ging so :
 
Es dunklet scho im Tannewald
Und schneielet ganz liisli
Was isch das för e Liechtli döt
I sebem chline Hüüsli? -
Döt isch de Samichlaus dehem
Mit sine guete Sache!
Er het scho s Lämpli azönnt
Ond tuet  grad en Kafi mache.
 
Do pöpperlets am Lädeli
Ond s Chrischtchindli……usw.
 
Es ging trotz Herzklopfen gut, auch das Sprüchlein von meinem Bruder! Mutter wie auch Gotte mussten ins Taschentuch schnäuzen, wenn ich mich richtig erinnere, waren sie aber nicht erkältet.
 
Nun ja, dem Nikolaus hat's auch gefallen denn er leerte zum Schluss den ganzen grossen Sack auf dem Stubenboden aus. Ei, da waren wir nicht mehr zu bremsen. Nebst Nüssen, Äpfeln, Mandarinen, Feigen und Datteln gab es auch Schokolade und gefüllte Biber. Spielsache hätte er nicht auch noch mitbringen können, meinte der Nikolaus beim Abschied, "Das Christkind muss dann ja auch noch etwas zum vorbei bringen haben und denkt daran, seid brav, und auf Wiedersehen bis zum nächsten Jahr!"
 
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