Melanie Brönner

Das Kamel von Bethlehem

Jeder kennt den Ochs und den Esel in der Krippe – die Hirten, die Engel oder die drei Könige – aber wer von euch kennt … 

 

Das Kamel von Bethlehem


Zur Zeit des Königs Herodes lebten irgendwo im Osten Kaspar, Melchior und Balthasar.

Diese Männer waren Sterndeuter. Ihre Tage verbrachten sie damit, Sternkarten zu zeichnen, und in der Nacht beobachteten sie den Himmel. In ihrem Dorf genossen sie große Anerkennung. Ihre Mitmenschen begegneten ihnen mit Ehrerbietung, als seien sie Könige.

Eines Nachts saßen die drei auf einem kleinen Hügel etwas abseits ihres Dorfes.

„Heute Nacht  gibt es nichts Besonderes zu sehen“, sagte Melchior und wollte sich gerade erheben, um sich auf den Nachhauseweg zu machen.

Da plötzlich sahen sie es!

Ein Licht, so strahlend hell und glänzend, stärker noch als der Sonnenschein am Tag.

Ein Stern, unbeschreiblich groß, mit einem Schweif, der funkelte und glitzerte, dass man beinahe nicht hinsehen konnte, so sehr war man geblendet von seiner Schönheit.

„Was ist das?“, rief Kaspar gleichzeitig erschrocken und begeistert auf.

Balthasar stand nur mit offenem Mund da. Er schien ganz in sich versunken. Ungeduldig zerrte Kaspar an seinem Umhang: „Balthasar, sag schon, du bist doch der Erfahrenste von uns. Was in Gottes Namen ist das?“ Balthasar riss sich endlich von dem Anblick los und meinte bestimmt: „Ich weiß es nicht, aber ich werde es herausfinden!“ Dann eilte er den Hügel hinab.

„So warte doch“, riefen ihm die beiden verwirrt nach. „Was hast du denn vor?“

Balthasar wusste genau, was er  zu tun hatte. So schnell wie möglich Proviant packen und dem Stern nachreisen!

Die beiden anderen hatten Balthasar endlich eingeholt. Nach Luft schnappend japste Melchior: „Du willst ihm hinterher, stimmt´s?“ Balthasar nickte nur und verschwand schon in seinem Haus. „So bleib doch stehen, wir kommen mit, aber wir sollten abwarten, bis der Tag anbricht“, riet Kaspar. „So können wir uns besser vorbereiten.“

Balthasar überlegte kurz, dann nickte er. „Gut, bei Sonnenaufgang treffen wir uns am großen Tor.“ Nachdem die beiden gegangen waren, lief er geschäftig durchs Haus.

In dieser Nacht fand er keinen Schlaf, zuviel war zu bedenken und vorzubereiten…

 

 

Auch Kaspar und Melchior blieben nicht untätig. Sie klopften an jede Tür und gingen zu jedem Haus. Zuerst waren die Leute missmutig oder erschrocken, weil sie mitten in der Nacht aus ihrem Schlaf gerissen wurden. Als sie aber Kaspar und Melchior erkannten, versammelten sie sich bereitwillig auf dem Marktplatz.

Und als sie hörten was geschehen war, waren sie alle sehr aufgeregt und sich einig, dass die drei dem Stern nachreisen sollten.

„Aber ihr könnt nicht mit leeren Händen dorthin kommen“, warf ein altes Mütterlein ein. Sie saß im Dunkeln, so dass keiner der anderen sie bis jetzt bemerkt hatte.

Ein verständnisloses Murmeln erhob sich. „Wie meinst du das, alte Frau?“, wollte Kaspar wissen. „Nun“ – und sie erhob sich mühsam – „ein  solches Wunder hat immer etwas zu bedeuten, die Ankunft von etwas oder jemandem. Nichts geschieht ohne Grund.“ Dann blickte sie bedeutungsvoll in die Runde. Alle starrten sie an, und langsam spiegelte sich Verständnis auf ihren Gesichtern wieder. „Ja, du hast Recht“, stimmte Kaspar zu.

„Wir sollten alles zusammentragen, was wir an Wertvollem besitzen. Wir wollen nicht ohne Gaben dastehen, wenn wir an unserem Ziel angelangt sind. Was immer dort auch sein mag.“

Eilig entfernten sich die Bewohner. Nur die alte Frau blieb zurück. „Melchior!“. Melchior blieb stehen, er wollte auch nach Hause gehen, um ein paar Sachen zu packen. „Was ist, Frau?“ „Komm kurz mit zu mir, ich habe keine Schätze, aber mein Mann war Kameltreiber, und ein Kamel besaß er selbst. Das will ich euch mit auf eure Reise geben. Es kann die Gaben für euch tragen.“ „Das ist sehr großzügig von dir“, antwortete Melchior dankbar.

 

Und so geschah es. Bei Sonnenaufgang zogen die drei los. Alle Dorfbewohner waren gekommen, um sich von ihnen zu verabschieden und ihnen viel Glück auf ihrer Reise zu wünschen. Sie hatten fleißig gesammelt. Und die Geschenke waren reichlich und von beachtlichem Wert. Neben bestickten Gewändern und Tüchern hatten sie auch ein Fässchen mit Weihrauch und einen Beutel mit Myrrhe erhalten. Der Dorfvorsteher übergab Balthasar eine kleine Truhe mit Goldmünzen. „Die sind von der letzten Steuererhebung übrig geblieben“, zwinkerte er verschmitzt. „So, so“, schmunzelte Balthasar, „lass das mal nicht die Zöllner hören.“

Alles in allem war es eine beeindruckende Menge an Gaben. „Wie sollen wir das nur alles tragen?“, stöhnte Kaspar. „Kein Problem“, antwortete Melchior und führte das Kamel der alten Frau am Zügel hinter sich her. „Seit wann hast du ein Kamel?“, fragte Kaspar erstaunt. „Das hat uns die alte, weise Frau überlassen.“ „Allerdings ist es fast genauso alt wie seine Besitzerin“, meinte Balthasar, das Kamel abschätzig betrachtend.

„Es wird euch gut an euer Ziel bringen“, hörten sie eine Stimme hinter sich sagen. Überrascht blickten sie sich um. Schuldbewusst schaute Balthasar zu Boden, weil die Alte seine Worte gehört hatte. „Verzeih mir, wir sind dir dankbar für deine Hilfe.“ „Das Kamel wird euch gute Dienste erweisen“, sagte sie. Das Kamel aber blähte unbemerkt verärgert die Nüstern.

„So, jetzt wird es aber Zeit“, trieb Melchior zur Eile an. Und so brachen die Männer unter den freundlichen Abschiedsworten und Glückwünschen der Menge auf.

„Pah, alt soll ich sein“, grummelte das Kamel vor sich hin. „Aber mir alles aufbürden und selbst nichts tragen! Wir können nicht mit leeren Händen dort auftauchen. Wieso hat meine Besitzerin ihnen nur so einen Floh ins Ohr gesetzt?

Was soll da schon groß sein? Ein Stern! Es gibt unendlich viele Sterne und wegen diesem einen machen sie so einen Aufstand! Nicht mal gesehen haben die anderen ihn. Sie glauben den dreien, ohne sich selbst zu überzeugen. Was ist, wenn es den Stern gar nicht gibt? Und die sich die Schätze unter den Nagel reisen wollen? Und ich muss auch noch alles tragen. Durchgehen sollte ich, oder bocken!“

„Los, komm schon, Kamel“, Melchior zerrte ungeduldig an seinem Zaumzeug und riss es aus seiner Gedankenwelt. „Ich bin alt und kann nicht schneller“, antwortete das Kamel aufsässig. Aber natürlich konnte Melchior es nicht verstehen.

Und so zogen sie Stunde um Stunde durch das Land. Vorbei an Flüssen und Tälern. Über Berge und durch Schluchten. Sie machten immer nur eine kurze Pause, um die Richtung zu bestimmen. Denn am Tag konnte man den Stern nicht sehen. Balthasar verwendete ein dem Kamel nicht bekanntes Gerät. „Was ist das nur wieder für eine Scharlatanerie? Und so sollen wir den Weg zum Stern finden? Pff!“ schnaubte das Kamel und kaute missmutig auf einem trockenen Grashalm herum. Erst als die Sonne hoch am Himmel stand, machten sie eine Rast. „Na endlich“, stöhnte das Kamel, „wurde ja auch mal Zeit. Mir tun schon die Füße weh, ganz zu schweigen von meinem Rücken.“ Kaspar kam und gab dem Kamel aus einem Lederbeutel etwas Wasser zu trinken. „Danke, eure großzügige Durchlaucht“, äffte das Kamel im Stillen. „Wie wäre es denn, wenn ihr auch mal etwas tragen würdet“, schimpfte es vor sich hin. „Gut, dass wir das Kamel dabei haben, sagte in diesem Moment Melchior, sonst müssten wir das alles selbst schleppen“, und deutete mit dem Zeigefinger auf den Rücken des Kamels. „Ha, gut erkannt“, knurrte das mies gelaunte Kamel. „Ich hoffe, ich finde lobend Erwähnung in euren Aufzeichnungen, ihr Betrüger.“

Denn das Kamel glaubte nicht an die Geschichte mit dem Stern und schon gar nicht daran, dass da mehr als nur ein Stern sein könnte …

 

 

 

„So lasst uns weiter ziehen“, sagte Balthasar und erhob sich von seiner Decke. „Ich will noch ein gutes Stück des Weges zurücklegen, bevor die Nacht anbricht“.

„Wie schön für dich, aber vielleicht will ich noch hier liegen bleiben“, trotzte das Kamel.

Dann erhob es sich aber doch. Die Last geriet etwas ins Schwanken, als es aufstand, verrutschte aber nicht. „Ich bin eben doch der beste Lastenträger weit und breit“, lobte sich das Kamel selbst. Kaspar und Melchior hatten schon ängstlich beobachtet, ob alles an seinem Platz blieb. „Keine Angst, eure Schätze sind bei mir sicher, meine Herren“, dachte das Kamel. Es war nach wie vor der Meinung, dass die drei alles für sich behalten wollten.

Weiter ging es, über Geröll und Gestein und dann kam die Wüste. 

„Oh nein, auch das noch, gut das ich mein eigenes Wasser dabei habe“, stöhnte das Kamel. Es wusste von früheren Reisen, dass es bei Tag unerträglich heiß und in der Nacht bitterkalt in der Wüste ist. Auch Kaspar, Melchior und Balthasar waren nicht sehr glücklich darüber, durch die Wüste ziehen zu müssen. Sie liefen, bis es dämmrig wurde, dann suchten sie sich einen Platz für ihr Nachtlager. „Dort, der Fels“, Balthasar deutete nach links. „Dort lagern wir.“

Sie nahmen dem Kamel die Last ab und fütterten es, dann setzten sie sich selbst hin, entzündeten ein Feuer und aßen kaltes Fladenbrot und tranken lauwarmes, sandiges Wasser.

Zum ersten Mal dachte das Kamel, dass seine drei Weggefährten doch keine so üblen Kerle sein konnten, wenn sie zuerst es und dann erst sich selbst versorgten. „Jetzt bloß nicht weich werden“, rügte das Kamel sich selbst. „Am Ende sind es doch nur Halsabschneider, du wirst schon sehen.“

Gerade war das Kamel am Einnicken, da wurde es jäh wachgerüttelt, weil Kaspar wie ein Wilder schrie: „Seht nur, der Stern, da ist er wieder! Es war doch kein einmaliges Ereignis!“. Insgeheim hatte Kaspar befürchtet, dass sie den Stern nicht mehr sehen würden und sie sich umsonst auf die lange Reise begeben hatten.

Das Kamel blinzelte mehrmals, dann war es hell wach. „Da soll mich doch mal … nein gibt’s denn so was … und ich dachte, die drei machen nur viel Wind um nichts!“ Das Kamel war sprachlos und verwirrt, so etwas hatte es noch nie gesehen. „Ist das schön!“ So betrachteten die vier den Stern andächtig, bis er im Morgengrauen verschwand. Danach schliefen sie noch zwei Stunden, bevor sie nach einem kargen Mahl wieder aufbrachen.

Das Kamel war schon wieder schlecht gelaunt. Nachdem der Stern bei Tageslicht nicht zu sehen war, versuchte es sich einzureden, dass es alles nur geträumt hatte. „Vielleicht haben sie mir was ins Wasser, damit ich mir das alles nur einbilde und weiterhin brav den Packesel spiele“, versuchte das Kamel sich einzureden. Aber tief im Inneren wusste es, dass alles so geschehen war, und dass es den Stern wirklich gab.

Und so vergingen die Tage, ohne dass sie ihr Ziel erreichten. Auch Kaspar, Melchior und Balthasar waren nicht mehr so sicher, ob es eine gute Idee gewesen war, dem Stern zu folgen. Sie waren müde und hatten Hunger, denn ihr Essen war knapp bemessen. Doch nachts, wenn sie das Leuchten am Himmel sahen, war alles vergessen und nichts tat ihnen mehr weh. Und auch das Kamel sehnte sich schon nach der Nacht und nach dem Anblick des Sterns.

Am zehnten Tag ihrer Reise bemerkte Melchior bestürzt, dass sie kein Wasser mehr hatten. „Kaspar, Balthasar, wir haben nichts mehr zu trinken!“ „Ich weiß, ich habe gestern Abend den letzten Schluck getrunken“, sagte Kaspar schuldbewusst. „Was machen wir denn jetzt?“ Die drei waren ratlos und ängstlich. Das Kamel blickte schadenfroh drein. „Tja, wärt ihr ein Kamel wie ich, hättet ihr auch eure Wasserreserven“. Und es schaukelte vergnügt mit seinem Höcker. Doch als es sah, dass es den Männern Stunde um Stunde schlechter ging, bekam es Mitleid. „Ich muss etwas unternehmen“, dachte es. Aufmerksam sah es sich um. Und keine Stunde später hatte das Kamel das erspäht, nach dem es Ausschau gehalten hatte! Abrupt rannte es los, so dass auf seinem Rücken alles auf und ab wippte. „Halt, wo willst du denn hin!“, rief Melchior erschrocken. „Jetzt ist alles vorbei, wir werden sterben und nie an unser Ziel gelangen!“ Kaspar fiel schluchzend und erschöpft zu Boden. Doch Balthasar wollte noch nicht aufgeben und rannte dem Kamel hinterher. „So bleib doch stehen, du dumm…“, doch da blieb ihm das Schimpfwort im Hals stecken, denn er sah, wohin das Kamel gerannt war: Eine Oase! Er wollte seinen Augen kaum trauen. „Wir sind gerettet!“, schrie er und riss beide Arme in die Höhe. Die anderen beiden, die zurück geblieben waren, eilten nun freudig hinter ihm her. Kaspar stützte sich dabei auf Melchior.

Heftig atmend kamen sie an der Oase an. „Das Kamel hat uns gerettet!“, rief Melchior freudig. „Die alte Frau hatte Recht, dass es uns noch einen guten Dienst erweisen würde!“

Als das Kamel dies hörte, fühlte es sich sehr geehrt und geschmeichelt. Ganz, wie es das wollte.

Nun tranken und badeten alle ausgiebig im klaren Wasser der Oase. An den Bäumen, die dort wuchsen, hingen süße Früchte, die köstlich schmeckten.

Nachts sahen sie wieder den Stern, diesmal noch heller als die Nächte zuvor. „Ich glaube, wir kommen unserem Ziel näher“, meinte Kaspar schläfrig.

Nachdem sie ausgiebig geschlafen und sich gestärkt hatten, packten sie noch reichlich von den Früchten ein und füllten ihre Wasserschläuche frisch auf. Dann zogen sie wieder los.

Balthasar schulterte sich einen Sack, den zuvor das Kamel getragen hatte. „Damit du nicht alles alleine schleppen musst!“ Dann tätschelte er den Hals des Kamels.

Das Kamel war überrascht und auch verwirrt. Waren die Männer doch keine Scharlatane? Den Stern gab es ja zumindest. Aber was sollte dort sein?

 

Seine Verwirrung sollte am folgenden Tag noch größer werden. Sie waren immer noch in der Wüste, als plötzlich ein Stall in der Ferne zu sehen war. „Menschen!“ rief Kaspar neben ihm. Tatsächlich, auch das Kamel sah sie. Es waren zwei – ein Mann und eine Frau. Die Frau hielt irgendetwas in ihren Armen … und weg war er der Stall und mit ihm die Menschen. Wie kann das sein? Hätte das Kamel Hände statt Hufen gehabt, es hätte sich verwundert die Augen gerieben. „Eine Fata Morgana“, erklärte Balthasar seinen Weggefährten. „So etwas kommt vor, wenn man lange durch die Wüste reist“.

„Ich habe das Gefühl, als hätte diese Erscheinung etwas mit unserem Ziel zu tun“, meinte Melchior. „Der Stall befand sich in der gleichen Richtung, in die wir reisen.“

 

Aber was, so fragten sich alle, hatte das zu bedeuten?

„Ein Stall, ich laufe um die halbe Welt, um zu einem Stall zu kommen? Da hätte ich auch zu Hause bleiben können!“ Die gute Laune des Kamels war nun endgültig verflogen und auch der nächtliche Anblick des Sterns konnte es nicht mehr besänftigen.

 

Einen Tag später hatten sie die Wüste endlich hinter sich gelassen und eine knappe Woche später trafen sie auf eine Gruppe von Hirten, die lagerten mit ihrer Herde auf einer großen Wiese. „Seid gegrüßt“, sagte Balthasar freundlich, habt ihr auch den Stern gesehen?“

Der älteste der Hirten antwortete: „Ja, er leuchtet jede Nacht über dem Ort Bethlehem“.

„Seid ihr nur deshalb hierher gekommen?“, wollte ein anderer erstaunt wissen. „Dort gibt es nichts Besonderes.“

„Hab ich’s doch gewusst, alles nur Quatsch! Die Hirten interessieren sich nicht die Spur für den Stern.“

Doch seine drei Herren ließen sich nicht entmutigen. Sie waren den weiten Weg nicht gegangen, um hier umzudrehen.

„Habt Dank, aber wir setzen unseren Weg fort.“

„Das war ja klar“, murmelte das Kamel.

Es war schon fast dunkel, als sie endlich nach Bethlehem kamen. Der Ort, den sie suchten, war nun leicht zu finden. Der Strahl des Sterns wies genau darauf hin.

„Das ist der Stall, der uns in der Wüste erschienen ist!“, Melchior war nun ganz aufgeregt. Kaspar schwieg erwartungsvoll. Sie banden das Kamel neben der Stalltüre fest und nahmen die Gaben von seinem Rücken herunter. Dann blickten die drei einander kurz an, und Balthasar öffnete die Holztüre. „He! Und was ist mit mir? Soll ich etwa alleine hier draußen in der Kälte bleiben?“ Das Kamel stampfte wütend mit den Hufen auf, doch die drei Sterndeuter hörten es nicht oder ignorierten es. „Das darf ja wohl nicht wahr sein!“, wütete das Kamel weiter. „Da bin ich den ganzen Weg schwer beladen mitgezogen, um jetzt nicht mit rein zu dürfen!“

Dann hörte das Kamel Stimmen aus dem Inneren des Stalls: „Seid gegrüßt, edle Herren!“, sagte eine tiefe Männerstimme. Und eine Frau sprach: „Habt Dank für euren Besuch und die wertvollen Geschenke. Es ist uns eine Ehre, von drei Königen, wie ihr es seid, beehrt zu werden.“

Wir fühlen uns geehrt, und wir sind auch keine Kön…“, der Rest von Melchiors Worten ging  im Tumult unter, den das Kamel veranstaltete. „Jetzt reicht es aber“, und das Kamel zerrte an seinem Strick „Von wegen Könige, dass ich nicht lache! Ohne mich wären die doch gar nicht hier!“ und das Kamel stürmte durch das Stalltor.

Erschrocken drehten sich alle zu ihm um. Im selben Moment ertönte ein Weinen und Schreien, so dass das Kamel abrupt stehen blieb. „Was soll denn das?“, dachte das Kamel. „Das sind eindeutig die Frau und der Mann, die wir in der Wüste gesehen haben. Und dort in der Futterkrippe liegt ein Kind, das schreit ganz fürchterlich“. Das Kamel schaute das Kind intensiv an – es versuchte zu erkennen, was dies alles zu bedeuten hatte.

Plötzlich überkam es ein Gefühl, das es noch nie zuvor im Leben gespürt hatte!

Irgendetwas war anders an diesem Kind. Etwas Besonderes ging von ihm aus und erfüllte das Herz des Kamels mit Wärme und Liebe.

Das Kamel trat behutsam einen Schritt vor.

Der Vater des Kindes erhob sofort abwehrend seinen Stab.

Der kleine Junge weinte immer noch und ließ sich von seiner verzweifelten Mutter nicht beruhigen.

Das Kamel aber kniete sich hin. Etwas in seinem Inneren sagte ihm, dass es richtig sei.

Misstrauisch und verwundert schaute Josef, so hieß der Mann, das Kamel an. „Warum macht es das?“, fragte er die drei Sterndeuter.

„Ich glaube“, sprach Kaspar, „es möchte, dass ihr euer Kind auf seinen Rücken legt. Kamele legen sich immer so auf die Vorderhufe, wenn sie beladen werden sollen, oder wenn man auf ihnen reiten möchte.“

„Aber warum will das Kamel das denn?“ Josef konnte das Tun des Kamels nicht verstehen. „Wartet ab und ihr werdet es sehen. Ihr könnt dem Kamel vertrauen. Ohne seine Hilfe wären wir nie hierher gekommen“, antwortete Balthasar ihm. Da beugte sich Maria, die Mutter des Kindes, vor, um das Bündel mit dem Jungen auf dem Rücken des Kamels festzubinden. Der Kleine lag nun sicher auf dem  Kamel, schrie und weinte aber immer noch. Das kleine Gesichtchen war schon ganz rot angelaufen. Das Kamel erhob sich vorsichtig und bewegte sich dann sanft schaukelnd im Stall auf und ab. Nach wenigen Sekunden beruhigte sich der Junge und schlief schließlich auf dem Rücken des Kamels ein.

Dankbar streichelte Maria seinen Hals. „Du bist ein gutes Kamel“, sagte sie freundlich. „Ja, das bist du wirklich“, schlossen sich seine drei Weggefährten an.

 

Das Kamel war erstaunt und vor allem beschämt. Schlagartig wurde ihm bewusst, welches Misstrauen er den dreien entgegengebracht hatte. Und wie sehr die drei ihm von Anfang an vertraut hatten.

Ihm selbst war es immer nur auf Lob und Anerkennung angekommen. Jetzt, da ihm all dies entgegengebracht wurde, war es ihm auf einmal gar nicht mehr so wichtig. Alle Menschen im Dorf daheim hatten den dreien geglaubt ohne auch nur einen Beweis gesehen zu haben. Nur es selbst hatte den drei Sterndeutern Betrug und Habgier unterstellt.

Der kleine Junge hatte das Herz des Kamels erweicht und für immer verändert. Es wollte nun alles tun, damit der Kleine gut schlafen konnte.

Und so schaukelte es ihn die ganze Nacht, ohne auch nur einmal an seinen schmerzenden Rücken oder an seine wunden Hufe zu denken. Denn das Kamel spürte, dass dies eine besondere Nacht war und dass die Geburt des Jungen Jesus, so nannte Maria ihren Sohn, auch die Welt verändern würde. Es war dankbar und glücklich, dies alles miterleben zu dürfen.

 

Nun kennt ihr also die Geschichte vom „Kamel von Bethlehem“.

Und ihr wisst nun auch, warum die drei Sterndeuter in die Geschichte als die „Drei Könige“ eingingen, denn Maria und Josef glaubten ja weiterhin, dass diese von königlicher Herkunft seien. Sie hatten ja wegen des Kamels die Antwort Melchiors nicht mehr zu Ende hören können…

 

Kann als Lesestück mit Holzfiguren (Krippenfiguren) vorgetragen werden. Dazu eine stimmungsvolle Beleuchtung mit Kerzen, und schon kann´s losgehen.Melanie Brönner, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.12.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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