Norbert Schimmelpfennig

Weihnachtsmann im Krankenhaus

In der Nacht des 24. Dezember saßen in der Erste-Hilfe-Abteilung des Städtischen Krankenhauses zwei jüngere Männer, von denen der eine den anderen, der wie der Weihnachtsmann gekleidet war, fragte:
„Na, du hast dir wohl nicht an deinem Weihnachtsbaum die Hände verbrannt?“
„Nein“, erwiderte dieser, „du denn?“
„Ja, meinen Weihnachtsbaum habe ich versehentlich umgestoßen, als die Kerzen bereits brannten;   gerade noch konnte die Feuerwehr Schlimmeres verhindern!
Aber was hast du denn getan, und wieso trägst du dieses Kostüm? Übrigens heiße ich Wilhelm Friedrich, meine Freundin nennt mich immer WiFi. Mein Vater hat mir diesen Namen einst in Analogie zum Soldatenkönig Friedrich Wilhelm gegeben, in der Schnapsidee-Hoffnung, dass ich so einmal der Zivikönig würde, woraus aber wohl nichts werden wird;  und wie heißt du?“
Da erzählte der verkleidete Weihnachtsmann:
„Ich heiße Daniel Lutger, nenn mich am besten Danilo!  Letzten Advent hat mich meine Freundin verlassen, hat meinen Sohn auch mitgenommen; da habe ich mich, um mich abzulenken, ganz einfach beim Weihnachtsmannservice gemeldet! Aber was hast du da auf deinem Zettel stehen?“
„Einen Spruch für meine Freundin, ist mir unterwegs eingefallen, muss ich ihr nachher vortragen, ist teilweise in ihrer Mundart! Also:
 
Jetzt, da die Sonne untergeht und der Mond zum Vorschein kimmt,
die Sicht auf die Berge in der zunehmenden Dunkelheit verschwimmt,
da wechseln die Herpesviren von den Klippen,
die geformt sind wie menschliche Lippen,
zu uns hierher zu dieser Krippen,
im Tal des Bauches die Schmetterlinge
sind immer und ewig guter Dinge,
ja und die Hummeln unterm Po
sind weiter ihres Daseins froh!
                                                                       
Aber nun erzähl du bitte weiter!“
So fuhr Danilo fort:
„Gleich am Anfang kam ich auf einen Millionärshügel, wo ein kleiner Junge nicht mehr an den Weihnachtsmann glauben und wie ein Detektiv aus mir herausbekommen wollte, dass ich nicht der Weihnachtsmann bin;  und zwar fragte er:
'Wo hast du deinen Rentierschlitten geparkt?'
'Am Fuß des Hügels!' antwortete ich; doch er hakte weiter:
'Wir haben wir hier auf unserem Grund viel Platz frei!'
'Unten ist aber ein besonders komfortabler Stall für die Rentiere  eingerichtet!'
'Doch der klapprige Käfer auf dem Hof muss dir gehören; bei uns parken nämlich sonst nur Mercedes und BMW!'
Da musste ich mich geschlagen geben:
'Schon gut, den Weihnachtsmann spiele ich nur;  aber lass bitte deinem Schwesterchen noch den Spaß!'
Später besuchte ich den Bewohner eines Altenheimes, der seine Kinder und Enkel noch erwartete.
Nachdem ich die Geschenke so vor den Weihnachtsbaum gelegt hatte, wie es seine Enkelin letztes Jahr gewünscht hatte, nämlich dass sie einen Teddybären formten, fragte er mich:
'Feiern Sie denn nachher mit jemandem?'
'Äh... das ist jetzt unwichtig', sagte ich,  und er erzählte mir:
'Junger Mann, mit der Liebe ist es wie mit den Nadeln vom Tannenbaum: Von Ferne sehen sie schön aus; aber wenn man sie berührt, können sie pieken!'
           
Schließlich kam ich in das Penthouse, wohin mich ein Zahnarzt bestellt hatte – wie sich herausstellte, genau derselbe, für den mich meine Freundin verlassen hatte!
Als ich eintrat, hörte ich ihn sogleich rufen:
'Xixi, kommst du? Der Weihnachtsmann ist da!'
Bei diesem Namen, mit dem meine Freundin immer genannt werden wollte, zuckte ich erst einmal zusammen und fuhr dann fort:
'Hier haben Sie Ihre Sterne, deren Zacken wie Zähne aussehen -  mit Schrauben versehen?'
'Ja, dafür bohre ich noch Löcher in den Weihnachtsbaum, bohren kann ich ja gut!'
'Sieht nicht auch diese zerbrochene Vase wie ein Zahn aus?', fragte ich, und er meinte:
'Stimmt; wie die Gedächtniskirche! Die nehme ich gerne; aber welche Blumen oder welche Zweige täten denn zu der Vase passen?'
'So gezackt, wie die Vase ist, würden Brennnesseln ganz gut zu ihr passen!'
Dies sagte ich ihm noch;  dann aber rannte ich zum nächsten Fenster, öffnete es und sprang hinaus – jedoch hatte ich nicht bedacht, dass ich mich im Erdgeschoss befand, es also nicht viel Sinn hatte, aus dem Fenster zu springen – und so knickte ich mir nur den Fuß um, was mich erst einmal von dummen Gedanken ablenkte!“
„Was für ein Glück!“ meinte Anna Regina, die sich gerne Alrauna nannte und jetzt wegen einer Verletzung neu hinzugekommen war, in Begleitung von Friedhelm Fritsch, und zeitgleich mit Senta und Simon, der sich gern Spiemon nannte – vielleicht, weil ihm als kleines Kind einmal übel geworden war und er den ganzen Teppich voll gespien hatte. Diese Patienten hatte sich ebenfalls an ihrem Weihnachtsbaum verbrannt. Alrauna fuhr fort:
 „Und wie ich sehe, hast du beim Fallen etwas mitgehen lassen, sieh einmal an deine Hose!“
An dieser Hose befand sich eine kleine Wurzel, zu der Alrauna erklärte:
„Eine Alraune ist dies zwar nicht, doch lässt sich auch mit dieser Wurzel  eine Tinktur herstellen, um deine Verstauchung zu behandeln, wie du bei Hildegard von Bingen und anderswo nachlesen kannst!“
Hierzu fiel Danilo ein Spruch ein, den er allen Anwesenden zum Dank auf eine Weihnachtskarte schrieb, von denen er einen Block mit sich führte. Senta und Spiemon beschlossen sogleich, hiervon eine Leuchtreklame aus Anlass des Feiertages an ihrer Spirituosenfabrik aus diesem Gruß bilden zu lassen, ohne dass sie dazu kamen, diesen zu lesen, da sie schon zur Behandlung hereingerufen wurden. Stattdessen gaben sie das Kärtchen gleich ihrem Angestellten mit, der sie begleitet hatte und die Reklame nun noch schnell an ihrem Fabrikgebäude installieren sollte. So stand dort bald darauf, weithin im Gelände sichtbar, in Leuchtbuchstaben der Spruch geschrieben:
 
Wunsch, sich umzubringen
+ aus dem Fenster springen
= Landung auf Hildegard von Bingen
 

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