Andreas Rüdig
Der Weihnachtsbaum
Der Winter ist die schlimmste Jahreszeit. Es ist windig und kalt. Es schneit und regnet. Und sobald es taut, bekommt man nasse Füße.
Was aber noch viel wichtiger ist: Für uns Tannenbäume besteht Lebensgefahr. Ende Dezember feiern nämlich ein paar bekloppte Menschen ein Fest, das sie Weihnachten nennen. Ein sogenannter Weihnachtsbaum wird dann ein paar Tage vor dem Weihnachten - jedes Jahr übrigens aufs Neue - ins Wohnzimmer gestellt, mit irgendwelchen komischen Sachen behängt und bewundert. Die Menschen leben auch sogenannte Geschenke für die Kinder unter diesen Tannenbaum. Und wenn der Tag, der Heiligabend heißt, gekommen ist, versammeln sich die Menschen abends um den Baum, singen Lieder, essen, geben ihren Kindern die Geschenke (manchmal beschenken sich die Erwachsenen mach gegenseitig) und zünden so ganz nebenbei die Kerzen am Weihnachtsbaum an. Der Höhepunkt der Leichenfledderei ist erreicht, wenn die Menschen zu Bett gehen, die brennenden Kerzen vergessen und so den Weihnachtsbaum anzünden und abfackeln.
Das Murren und Knurren unter uns Tannenbäumen ist groß. Zuerst werden uns die Füße abgeschlagen. Kaum liegen wir im Sterben, müssen wir auch noch kiloweise Gewichte stemmen. Und kaum ist unser Todeskampf beendet, werden wir achtlos beiseitegeworfen. Wir werden noch nicht einmal anständig und würdevoll beerdigt. Mein Gegenvorschlag: Frische, junge Tannenbäume direkt ins heimatliche Wohnzimmer einpflanzen! Dann hätten die Menschen das ganze Jahr über was davon und nicht nur zu Weihnachten. Zu Ostern und Pfingsten können die Menschen ja andere Dekorationen verwenden als im Winter.
Aber was rede ich da? Ich muß jetzt still sein. Da kommt gerade ein Förster. Der sucht bestimmt passende Weihnachtsbäume. Aua! Warum haut er mir ins Bein? War ich vielleicht zu vorlaut?
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.12.2007.
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