„Du wirst
doch wohl zugeben müssen, dass wesentlich mehr Männer mit Handwerkszeug
hantieren, als Frauen“
"Nun, vielleicht
ist es ja eine Frau, die
will, dass
man denkt, dass es ein Mann ist. Und jetzt geh ich ins Bett, bevor du noch
sagst, dass ich es bin. Gute Nacht!“
So gut war
die Nacht dann doch nicht, denn als Kordelia so gegen vier aufwachte, lag
Günter nicht im Bett. Auch in der Wohnung war er nicht. Also schlich Sie im
Morgenmantel durch das Treppenhaus hinab. Aus dem Keller hörte sie Geräusche,
und tatsächlich war es ihr Göttergatte. Was er genau in ihrem Keller tat,
konnte sie im halbdunkel nicht sehen. Aber Hauptsache, er werkelte nicht
draußen herum und bohrte Löcher in Hauswände, Fahrzeuge oder Verkehrschilder.
Also lief sie wieder in die Wohnung und legte sich hin. Günter kam ein paar
Minuten später.
Trotzdem hatte Kordelia die diffusesten Alpträume:
Wieder hatte
Jack the Driller zugeschlagen, diesmal Hatte er neben einem Trafokasten, einer
Platane und einer Verkehrsampel auch einen kleinen Hund erwischt. Das Fernsehen
berichtete ausführlich darüber. „Ja schauen sie mal, man denkt an nichts böses,
und dann das…“ eine grauhaarige Frau im braunem Pelzmantel hielt einen
Yorkscher Terrier hoch, der mit Bohrlöchern übersäht war. Das Tier bellte
traurig. „Mein armer Wutzi, jetzt zieht es hier überall durch“ Wutzi bellte
zustimmend.
„Meine Damen und Herren, wir befinden uns direkt am Tatort dieses
scheußlichen Verbrechens“ fuhr der Reporter fort. Seine Brille und Krawatte
waren mit Bohrlöchern übersäht. „Kommissar Hilti, können Sie uns nähere
Einzelheiten berichten?“
„Nun, er
ist unheimlich schnell und sehr präzise, sehen sie hier“ Der Kommissar hielt
dem Reporter seinen Hut und seine Waffe hin, beides völlig zerlöchert.
„Nun,
meine Damen und Herren Sie sehen, es breitet sich immer weiter aus“ erzählte
der Reporter, dessen Kleidung wesentlich mehr Löcher aufwies, als noch vor ein
paar Augenblicken. Kordelia sah sich in ihrem Traum weiter um, nur um
festzustellen, dass sich dort noch mehr Löcher befanden. Sie saß im Fernsehsessel,
der völlig durchlöchert war. Ebenfalls der Fernseher, in den sie hineinstarrte
und in dem ein besorgter Reporter immer löchriger wurde. Der Kommissar hielt
ein Phantombild des Täters in die Kamera, das Günters Bohrmaschine zeigte. Zu
allem Überfluss war auch das Bild zerlöchert. Auch die Tapeten, Zimmerwände und
das restliche Mobiliar waren mit Bohrungen übersäht. Und dann hörte sie den
Lärm. Ein Geräusch wie beim Zahnarzt, nur viel lauter. Kordelia folgte diesem
Ton bis in die Küche. Angsterfüllt öffnete sie dem Kühlschrank. Dort saß Günter
und bohrte mit seiner Bohrmaschine Löcher in einen riesigen Käse und lachte
dabei wie ein Verrückter.
Am anderen
Morgen war der „Katzenjammer“ noch immer nicht verflogen. Der Alptraum und der
Mangel an Schlaf rissen noch immer an Kordelia. Günter war zur Arbeit und die
Kinder in der Schule, Zeit sich ein wenig zu sammeln. Es ist schon verrückt,
was man sich alles zusammenträumen kann. Und dennoch… Der Traum war zu wahr, um
schön zu sein. Sämtliches Mobiliar war an den Wänden befestigt, alle Bekannten,
Verwandten und Freunde waren von Günters Heimwerkereien beglückt worden und
selbst im Betrieb hatte er sich ausgetobt. Eigentlich hätte er nun Zeit, sich
anderen Dingen zu widmen. Doch er hatte Blut geleckt und wollte mehr. Und das
war nun ein Grund, sich hoch zuraffen und nachzusehen, warum der Göttergatte
sich um vier Uhr Nachts im Keller herumtreibt.
„Frau
Wiesner, ich muss mich wundern, wie Sie nachts bei dem Krach schlafen können“ es schien, als habe Frau Holzner nur darauf gewartet, das sich die Wohnungstüre
bei Wiesners öffnet.
„Krach?
Nein, Frau Holzner, ich habe nichts gehört. Sind sie denn sicher, dass es mein
Mann war?“
„Ja aber
natürlich! Die Geräusche dieser Maschine kenne ich nur all zu gut. Mal
abgesehen davon, ihr Mann ist der einzige, der so manisch ist, dass er die
Bohrmaschine auch nachts anwirft.“
„Die
anderen Mieter haben aber sich noch nicht gemeldet, auch Herr Breidscheid
nicht…“
„Ja, wo
leben sie denn, hinterm Mond? Die Müllers sind letzte Woche ausgezogen, von
wegen dem Lärm. Die Kaspari ist auf Mallorca auf Urlaub. Und der Hansen, der
würde doch nie etwas sagen, dieses Muttersöhnchen. Und der Breidscheid, der ist
verschwunden“
„Was
meinen Sie bitte mit verschwunden?“
„Nun, man
hat ihn ja hin und wieder im Treppenhaus gesehen, aber seit einer ganzen Weile
ist er weg. Ich hab aus Neugier mal geklingelt, aber er macht nicht auf, und
ans Telefon geht er auch nicht. Keiner weiß wo er ist“
Kordelia
nickte abwesend und versprach, mit ihrem Mann über die nächtliche Benutzung der
Bohrmaschine zu reden. Mit flauem Gefühl im Magen setzte sie ihren Weg in den
Keller fort. Wenn Herr Breidscheid nicht zu Hause war, konnte er sich auch
nicht beschweren. Und Kordelia erinnerte sich mit grausen an ihren Alptraum.
Das Geräusch in ihrem Traum hatte nur all zu echt geklungen. Mit zitternden
Händen öffnete sie die Tür zu ihrem Kellerraum. Auf den ersten Blick ließ sich
nichts Verdächtiges finden, alles wirkte normal. Erst, als sie einen Wust aus
alten Möbeln und leeren Marmeladeneimern aus dem Weg geräumt hatte, sah sie es:
Verlängerungskabel!
Nicht eine
Rolle, nicht zwei, nein, mindestens zwanzig Rollen mit Verlängerungskabeln, die
zusammen mindestens 500 m überbrücken konnten, alle fein säuberlich aufgerollt
und griffbereit unter ein Regal geschoben. Kordelia wurde kreidebleich. Ihr
Mann war Jack the Driller. Der Verrückte, der Nachts fremde und die eigenen
Wände durchlöcherte. Nun galt es drastische Maßnahmen zu ergreifen. Fieberhaft
suchte sie nach dem Tatwerkzeug, nach der Verführerin, die aus einem biederen
Angestellten einen Triebtäter gemacht hatte. Doch weder im Keller noch in der
Wohnung war sie fündig geworden. Und das konnte nur eines bedeuten: Günter war
soweit, dass er seine und die Existenz seiner Familie aufs Spiel gesetzt hatte.
Gut, vielleicht war es dieses mal noch unbemerkt geblieben. Aber nichts desto
trotz musste sie ihren Göttergatten von dieser Höllenmaschine trennen. Und sei
es mit einem Brecheisen.
Da dies eine etwas heftigere Auseinandersetzung
im Hause Wiesner zu werden drohte, schickte sie ihre Kinder zu Tante Jutta, als
diese von der Schule heimgekehrt waren. Eine Entscheidung, die sie im Nachhinein
nie bereut hatte.
Günter kam
gegen fünf von der Arbeit, fröhlich und gelassen, wie immer. Eher beiläufig
erkundigte er sich nach dem Verbleib der Kinder, Kordelias doch eher finstere
Mine übersah er geflissentlich. Was sich allerdings schnell änderte.
„Du bist
Jack the Driller“
Günter sah
eine zu allem entschlossene und zum Kampf bereite Furie ins Gesicht.
„Aber
Schatz, was redest du da?“
„Schatz´
mich nicht. Ich weiß, dass du der Verrückte bist, der die gesamte Nachbarschaft
terrorisiert“
„Terrorisiert,
das ist doch ein wenig hart, meinst du nicht?“
„Deinetwegen
sind bereits die ersten Nachbarn ausgezogen. Du rennst nachts auf die Straße,
um Hauswände, Autos und Verkehrsschilder zu durchlöchern. Abstreiten ist völlig
zwecklos. Günter, ich habe die Verlängerungskabel im Keller gefunden!“
Günter war
Kreidebleich geworden. „Das beweist aber nichts“ murmelte er dann.
„Das
beweist nichts? Gott erbarme, wer hat schon 500 Meter Verlängerungskabel im
Keller? Selbst Handwerksbetriebe werden wohl kaum so viel brauchen. Zeig mir
deine Tasche!“
„Meine
Tasche? Warum denn?“
„Spiel
nicht den Unschuldigen! Ich habe die Wohnung und den Keller durchsucht, und
konnte dein Lieblingsspielzeug nicht finden. Erinnerst du dich noch, worüber
wir gesprochen haben? Und du hast mir persönlich versprochen, die Bohrmaschine
nicht mehr mit ins Büro zu nehmen? Ach Günter, Du hast wieder unser leben aufs
Spiel gesetzt, nur wegen einer Bohrmaschine!“
„Aber ich
habe die Bohrmaschine nicht mit ins Büro genommen“ sagte Günter und presste
seine Aktentasche derartig dicht an den Körper, als würden diese seine inneren
Organe enthalten.
„Beweise
es. Mach sie auf!“
„Kordelia,
ich bin entsetzt, über dein Maß an Misstrauen mir gegenüber. Das habe ich nicht
verdient…“
„Beweise
du mir erst einmal, dass du mein Vertrauen verdienst. Also, her mit der
Tasche!“
„Los, her
damit!“ Kordelia griff nach der Tasche, Günter hielt dagegen. Beide zogen mit
Leibeskräften, als würde ihr Leben davon abhängen. Und nun zeigte es sich, wie
gut es war, dass Günter alle Möbel fest gedübelt hatte. Sonst wäre mehr als nur
einige Stühle umgefallen.
Das
allgemeine Gerangel um die Tasche wurde durch die Türklingel unterbrochen. Sie
läutete nicht nur eine kurze Pause, sondern auch gleichzeitig die nächste Runde
ein. Vor der Tür standen drei Polizisten
„Herr Wiesner, wir müssen mal mit
Ihnen sprechen! So wie es aussieht hat jemand das Verwaltungsgebäude ihrer
Ehemaligen Firma mit Bohrlöchern verschandelt. Da sie gestern fristlos
entlassen worden sind, meinte der Personalchef, dass es sich um einen Racheakt
von ihnen handeln könnte“
„Du hast
deinen Job verloren?“ Kordelia war fassungslos „Aber warum denn?“
„Tja, da
gab es wohl eine Vereinbarung über die Mitnahme und Benutzung von eigenem
Handwerkszeug, die ihr Mann wohl gebrochen hat. Darum würden wir ihn gerne auf
dem Revier verhören. Da gäbe es nämlich noch diese andere Sache. Sie haben doch
sicher von >Jack the Driller< gehört“
„Ha, ich
habe eine Waffe und keine Hemmungen, sie zu benutzen!“ Günter öffnete die
Aktentasche, zog die Bohrmaschine heraus und richtete sie auf die Beamten. Diese
waren sich zunächst nicht sicher, was sie tun sollten. Nachdem Günter zum einen
nicht aufhörte, die Bohrmaschine auf die Beamten zu richten und diese Geste mit
einem sehr nachhaltigen „Wrrrui, wrrui“ zu unterstreichen und sich zum anderen
dabei immer weiter in die Wohnung zurückzog, schritten die Herren jedoch zur
Tat. Kordelia sah fassungslos, wie zwei uniformierte Männer Günter in die
Mangel nahmen und versuchten im die Tatwaffe zu entreißen. Und dann passierte
etwas, was nicht nur die Polizisten überraschte, sondern auch Kordelias
abstruseste Träume doch sehr in die Nähe der Realität rückte. Natürlich wehrte
sich Günter, und das Knäuel aus einem Ehemann und zwei uniformierten Beamten
kam ins straucheln und schlug gegen die Wand, die Nachgab, als würde sie nur
aus gepressten Sägespänen bestehen. Noch bizarrer war der Anblick von Herrn
Breidscheids, den irgendwer fein säuberlich an seiner Kleidung an die Wand
gedübelt hatte. Und so wie Herr Breidscheid aussah, hing er schon eine Weile
dort. „Um Gotteswillen, einen Schraubenzieher; schnell!“ reif einer der
Beamten, als er sich von dem ersten Schrecken erholt hatte.
Günter
wurde weggebracht. Die Männer, die dies taten trugen eine Uniform, wenn auch
keine grüne. Kordelia würde umziehen müssen. Nicht, weil ihr Göttergatte
einige Löcher gebohrt hatte. Nein, Günter war so fleißig gewesen, dass das Sechs
– Parteien Mietshaus abgerissen werden musste. Nicht nur in der eigenen
Wohnung, nein auch in der Wohnung Herrn Breidscheids hatte er sich hemmungslos
ausgetobt. Und da Wohnungen von Familie Müller und Frau Kasparis im Moment leer
standen, hatte er auch dort zugeschlagen. Als Ergebnis war die Statik des
Hauses so schwer geschädigt, dass es akut Einsturz gefährdet war und umgehend
abgerissen werden musste. Dies erklärte ihr ein Kommissar, während Sanitäter
den völlig erschöpften Herrn Breidscheid abtransportierten, der irgendwas von Monsterdübeln
faselte.
Nun, die
Zeit vergeht, auch dann, wenn sie nicht alle Wunden heilt. Kordelia hatte ein
neues Zuhause und eine Arbeit angenommen. Insbesondere letzteres war nötig,
weil die Eigentümer den von Günter verursachten Schaden ersetzt haben wollten.
Und auch Frau Kaspari schrie laut nach Schadensersatz. Sie war eine Woche,
nachdem das Haus abgerissen worden war, nach Hause gekommen. Oh man, wie hatte
sich die gewundert. Die Versicherung weigerte sich natürlich zu zahlen.
Kordelia konnte der Gesellschaft diesbezüglich nicht einmal böse sein. Nur
konnte sie für den entstandenen Schaden natürlich nicht allein aufkommen. Man
stelle sich vor, ein ganzes Mietshaus…
Dies und
ähnliches ging ihr durch den Kopf, als sie die Stufen zum Haus von Jutta Hansen
emporstieg. Ein hübsches Häuschen, in dem es ganz sicher das eine oder andere
zu werkeln gab…
„Hallo
Kordelia! Du bist aber früh dran“ wenigstens auf Jutta war verlass. So konnte
Kordelia hin und wieder die Kinder bei ihrer alten Schulfreundin „parken“. Und
hin und wieder war auch ein gemütlicher Plausch drin. Wie in den guten, alten
Zeiten. Auch dann, wenn einige Themen von Kordelia als etwas unbequem empfunden
wurden.
„Sag mal,
mit deiner Arbeit, ist das jetzt sicher?“
„Ja, die
Probezeit habe ich überstanden. Und mein Chef sagte mir, dass ich weiterhin zum
Stab gehöre“
„Sei mir
nicht böse, aber ich hätte diesen Job nie angenommen. Ich meine, nach allem,
was passiert ist, ausgerechnet in einer Fabrik, die Bohrmaschinen herstellt
anzufangen. Mich wundert es, dass sie dich überhaupt eingestellt haben. Ich
meine, nachdem was alles in den Zeitungen stand…“
„Nun, mein
Chef hat einen sehr gesegneten Sinn für Humor“
„Ja, aber
belastet dich diese Arbeit denn nicht?“
„Die ist
nicht belastender für mich als die Fragen meiner Kollegen, ob ich es
tatsächlich mit dem >Power Driller< getrieben habe“
„Da du
gerade von ihm sprichst, wie geht es Günter nun? Macht er Fortschritte?“
„Ach,
Jutta, das ist schwer zu sagen. Erst dachte man, er wäre auf dem Weg der
Besserung, aber dann haben sie bei ihm Werkzeuge gefunden, die er aus
Einweggeschirr gebastelt hat. Ich fürchte, er wird noch eine ganze Weile
brauchen, bis er endlich rauskann. Ich bin dir darum auch so dankbar, dass du
auf die Kinder aufpasst, während ich ihn besuche. Der Besuch in der Psychiatrie
ist für die beiden doch sehr belastend“
„Ja,
natürlich, schließlich sind es ja noch Kinder“
„Ach, sag
mal, was machen die beiden eigentlich? Du weißt schon, zeigen sie irgendwelche
abnormen Verhaltensstörungen? Ich möchte nicht, dass sie wie Günter enden“
„Neinnein,
mach dir mal keine Sorgen. Wenn sie nicht gerade Hausaufgaben machen oder ich
sie zu einem Brettspiel überreden kann, dann sitzen sie vor dem Computer und
spielen >World of Doom< oder >Splatterfist vier<, also diese ganz
normalen Ballerspielchen“
„Oh gut,
das ist sehr beruhigend. Wenigstens verhalten sie sich wie normale Kinder“
„Meeeike,
Jooonas, eure Mutter ist da“ auf Juttas Rufen kamen die Kinder aus dem
Fernsehzimmer gelaufen und umarmten ihre Mutter. Nachdem sich Kordelia von
ihrer Freundin Verabschiedet hatte, trat sie mit den Kindern an der Hand ihren
Heimweg an. Gut, mit Günter war nicht alles so gelaufen, wie sie es geplant
hatte. Aber wenigstens würden die Kinder normal aufwachsen.