Hartmut Pollack

Weihnachten

 

 

Weihnachten

 

Versonnen blicken wir in die Weihnachtstage früherer Zeiten zurück. Ein Zauber lag auf den ersten Wochen des Dezembers. Es packte uns kein Einkaufsrausch, wir konnten uns das auch meist nicht leisten, es erfüllte uns so mehr eine seltsame Erwartungshaltung, ich möchte eher sagen eine Vorfreude.

Unsere Eltern stellten Adventskalender noch sehr oft selbst her. Kleine Stoffsäckchen wurden genäht, 24 Stück an der Zahl. Keiner kam auf die Idee, dass Weihnachten ja erst am 25.12. beginnt. Alles lief auf den Heiligen Abend hinaus.

Anfangs lagen in den Adventssäckchen eine Haselnuss, eine Tonmurmel, ein Plätzchen. Wir waren nicht so anspruchsvoll. Süßigkeiten waren Mangelware. Doch je näher wir dem Christfest kamen, desto süßer wurden die Adventsgeschenke. Aus Zucker wurden von den Eltern kleine Bonbons gebacken. Ich weiß noch, Zucker kam in die Pfanne und etwas Milch oder Wasser dazu. Heraus kamen Karamellbonbons.

Die Stimmung von uns Kindern passte sich immer mehr den Inhalten unserer Advents-Säckchen an. Wir begannen langsam zu träumen. Briefe an den Weihnachtsmann wurden gezeichnet oder geschrieben. Es ging nicht um Computer-Spiele. Unsere Wünsche waren praktischer: neue Socken, ein Pullover, Hosen, gestrickte Westen und bitte auch ein Spiel.

Die Adventskränze heizten unsere Stimmung noch mehr an. Jede neue brennende Kerze bedeutet eine Verkleinerung der Wartezeit.

In den Familien lag eine friedevolle Stimmung. Die Hektik der heutigen Tage war uns fast unbekannt.

Ab dem 15. Dezember lag dazu ein besonderer Duft in den Wohnungen der meisten Familien. Das Christfest setzte zum Endspurt an.

Mutter begann, unterschiedliche Plätzchen zu backen.

Ich weiß noch, wie schmerzhaft ein Holzlöffel sein kann, wenn ich mit den Fingern in den Plätzchenteig wollte.

„Kannst du nicht warten, bis du die Schüssel auslecken darfst“, erklang die Stimme meiner Mutter.

„Aua, ja, ich kann“, war meine schwache Antwort.

Endlich war die Schüssel fast leer und ich durfte sie auslecken. Auslecken hieß, es blieb kein Rest vom Teig in der Schüssel. Diese wurde blitzeblank.

OH, was für ein Geruch kam beim Plätzchen-Backen aus dem Backofen. Meine Nase zog begierig den Duft ein. Die Vorfreude war wie eine Hundenase, welche eine Wurst riecht.

Kaum waren die Plätzchen aus dem Backofen, wurde die vorhandene Hitze für Bratäpfel genützt. Damals wurden keine Äpfel am Baum gelassen. Bratäpfel, ich sage nur lecker, lecker, hmmmmmmmmmmmmm.

Dann kam endlich der Christ-Tag, der Heilige Abend.

Mutter begann schon vormittags das Essen für den Heiligen Abend zu kochen. Bei uns gab es immer Sauerkraut mit Kassler Braten und Mett-Enden.  Dazu reichte Mutter traditionell ein paar Scheiben trockenes Brot.

Frühstück und Mittagessen gab am Heiligen Abend nicht. Nicht selten hörte ich meinen Magen knurren. Meinen Geschwistern ging es nicht anders. Mutter blieb auch an diesem Tage konsequent.

Den Weihnachtsbaum schmückten wir Kinder immer mit dem Geruch des Essens in der Nase. Das war immer für uns eine Riesenaufgabe. Zuerst musste der Tannenbaum stehen, dann kam Silberpapier darüber und zuletzt die Kerzen. Den glänzenden Abschluss machten ein paar Weihnachtskugeln. Die Spitze auf den Baum durfte immer das größte von uns drei Kindern setzen.

Am späten Nachmittag wurde der Tisch gedeckt. Mutter hatte noch in der Küche zu tun, also machten wir das. Alle vier Adventskerzen wurden angezündet. Doch die Vorfreude war kurz.

Bei uns war es Tradition, vor dem eigentlichen Heiligen Abend erst in die Kirche zu gehen. Unsere Familie gehörte ansonsten nicht zu den besten Kirchengängern. Doch Heilig Abend musste das sein. Auch Neujahr war es Pflicht, sich die Predigt des Pfarrers anzuhören und mit der christlichen Gemeinschaft zu singen.

Nach der Kirche waren meine Beine seltsam beschwingt. Auch heute wundere ich mich noch, wie schnell ein Heimweg werden kann, obwohl nicht gelaufen wurde. Da passte meine ältere Schwester schon auf. Endlich erreichten wir unsere Wohnung. Kurz vor dem Wohnzimmer fingen unsere Nasen den herrlichen Duft des weihnachtlichen Essens ein.

Als ich mit meinen Geschwistern das Zimmer betrat, brannten schon die Kerzen am Weihnachtsbaum, den wir Kinder geschmückt hatten. Was war das für ein wundervoller Anblick.

Nun wurde am Esstisch Platz genommen und gemeinsam gegessen. Es war dabei fast still. Schließlich war ja die Stille Nacht.

Beim Essen wanderten meine Augen öfter zu den Geschenkpaketen unter dem Tannenbaum. Mutter hatte die Zeit unseres Kirchgangs genutzt und die Geschenke unter den Weihnachtsbaum gelegt.

Unser Essen am Heilig Abend dauerte immer etwas länger als sonst. Es war so reichlich viel auf dem Tisch und es schmeckte sooo gut. Als nichts mehr in unsere Bäuche hinein ging, räumten wir den Tisch gemeinsam ab.

Immer noch musste ich warten, ehe ich an meine Geschenke kam. Vor dem Öffnen der Pakete sang die ganze Familie Weihnachtslieder: Am Weihnachtsbaume die Lichter brennen, Ihr Kinderlein kommet, Oh Tannenbaum, Fröhliche Weihnacht, Kling Glöckchen, Lasst uns froh und munter sein und endlich Stille Nacht, Heilige Nacht.

Jetzt erst durften die Kinder zu ihren Geschenken. Die Augen leuchteten mit den Kerzen am Weihnachtsbaum um die Wette. Die Augen meiner Mutter waren immer ein wenig feucht dabei.

Es war nun Weihnachten.

 

pk 12 / 08

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.12.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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