Jakob W.Stadel

Bescherung

Klein Rudi war schon den ganzen Tag über aufgeregt, er wusste wenn es dunkel wird
dann ist Heilig-Abend.

Seine älteste Schwester Klara hatte ihn eben in der Waschküche in der großen Blechwanne gebadet, ihm die Haare gewaschen und trocken gerubbelt.
Nun saß Rudi auf dem Holztisch und zog sich umständlich die bereitgelegte Kleidung an.
Es war seine beste Sonntagshose und sein weißes Sonntagshemd, er dachte: „Heute wird`s ein ganz besonderer Abend werden.“

Klara schaute ihm zu, sie bemerkte dass er mit dem falschen Knopfloch angefangen hatte.
„Lass mal Rudi“, sagte sie und knöpfte sein Hemd wieder auf.

„Kannst du denn schon dein Weihnachtsgedicht für heute Abend?“ fragte sie.

Klein Rudi nickte, und sogleich begann er den ersten Satz herunter zu rattern.

„Halt! Halt! Nicht so schnell, so versteht dich doch keiner, fang bitte noch mal von vorne an, aber diesmal langsamer.“

Klein Rudi konnte natürlich sein Gedicht, schließlich hatte er die ganze Woche über fleißig geübt und gestern im Kindergarten durfte er es bereits schon einmal aufsagen. Sie hatten dort zusammen den Stall von Bethlehem, mit Josef, Maria und dem Jesuskind in der Grippe aufgebaut, und dann sind die drei Weisen aus dem Morgenland gekommen und hatten das Jesuskind beschenkt, ja das hatte ihm sehr gefallen.

Klein Rudi stellte sich jetzt ganz aufrecht auf den Tisch und fing an laut und deutlich sein Gedicht vorzutragen.

„Die heiligen drei Könige sie kamen von weit,
sie folgten einem goldenen Sternenschweif.
Sie hörten von weitem Engelsgesang und fanden den kleinen Stall.
Sie verbeugten sich vor Maria, Joseph und dem Christuskind und schenkten all ihre Habe,
und dann zogen sie in die Welt hinaus und verkündeten die frohe Kunde,
und fortan war es in aller Munde. Der Heiland ward geboren.“


„Schön hast du es aufgesagt Rudi, da werden die anderen sich aber nachher freuen“, sagte Klara und ging lächelnd zur Tür hinaus.

Klein Rudi schaute zum Fenster hoch, ob es denn bald dunkel werden würde dachte er, doch der aufgeschaufelte Schnee der vor dem Fenster lag versperrte ihm die Sicht.

In den letzten Wochen, wenn er morgens zum Kindergarten ging, waren die Fußwege eng und schmal geworden, denn sie waren links und rechts so hoch mit Schnee angehäuft, dass er nicht drüber blicken konnte.

So viel Schnee kannte er bisher nur vom Schwarzwald, von da war die Familie vor einem Jahr weggezogen, hierher, wo auch die restliche Verwandtschaft gleich nach dem Krieg sich niedergelassen hatte.
Opa und Oma, der Onkel und die Tante mit ihren zwei Kindern, sie wohnten auch hier im Haus, und die restliche Verwandtschaft nur zwei Straßen weiter. Doch wenn es etwas zu feiern gab, dann kamen sie allesamt hierher zu unserer Familie.

„Rudi ! Rudi! Wo bleibst du denn?“ Klaras Ruf hallte durchs Haus.

„Ich komm ja schon!“ rief Rudi zurück und rannte los.

Als Rudi die Wohnzimmertüre öffnete huschte ein Lächeln über sein Gesicht, den ganzen Tag schon hatte er darauf gewartet, dass er eintreten durfte.
Endlich konnte er den geschmückten Tannenbaum sehen, die Glaskugeln, die leuchtenden Kerzen und die leckeren Lebkuchen die an den Zweigen hingen, und dann glitt sein Blick auf den Boden zu den kleinen Päckchen die da lagen und seine Augen strahlten.

Die ganze Verwandtschaft hatte sich schon eingefunden, sie saßen eng aneinander gerückt um den großen langen Wohnzimmertisch der voll mit dampfendem und duftendem Essen aufgetürmt war. Alle warteten bereits darauf, dass der Vater endlich mit dem Tischgebet anfangen würde.

Doch klein Rudi hatte heute gar keinen Apetitt, zu gerne hätte er doch schon gewusst welches von den vielen Päckchen die da lagen ihm gehörte und was sich wohl darin befinden mag, doch noch musste er sich gedulden.

Nach über einer Stunde war das Abendessen beendet, der Tisch abgeräumt, die Weihnachtsplätzchen aufgetragen, und endlich las der Opa aus der Bibel die Weihnachtsgeschichte vor:
Es war zu der Zeit, da regierte König Herodes im Land Israel und es kamen Sterndeuter aus dem Osten nach Jerusalem und sie fragten, wo ist der neugeborene König der Juden ?
Wir haben seinen Stern aufgehen sehen .............................

Klein Rudi lauschte noch den letzten Worten der Geschichte als von draußen an die
Haustüre gepoltert wurde. Dumpfe Schläge „Bumm – Bumm“ dann ertönte eine Stimme:

„Hier ist Knecht Ruprecht und bittet um Einlass!“ dabei wurde die Haustüre heftig aufgestoßen dass sie krachend an der Wand stieß.

Stampfende Schritte hörte man im Flur und ein Geräusch, wie wenn eine Eisenkette über den Steinboden gezogen würde. Alle Anwesenden waren jetzt „Mucks Mäuschen“ still und lauschten.

Dann polterte es gegen die Wohnzimmertüre.

Klein Rudi war aufgesprungen und in Windeseile hinüber zur Mutter gerannt, er drückte sich eng an sie und versteckte sich unter ihrem ausladenden Rock.

Einer der Anwesenden rief: „ Herein!“ und mit einem mächtigen „HoHo“, stampfte da jemand durch die Türe.


Klein Rudi spähte aus dem schützenden Rock der Mutter hervor, riss Mund und Augen auf.
„Knecht Ruprecht“ flüsterte er leise.

Da stand Ruprecht, mit seinem zottigen weißen Bärenfellmantel der bis zum Boden reichte.
Eine schwarze Pelzmütze thronte auf seinem Kopf und sein langer weißer Bart hing bis zu seinem dicken Bauch hinunter. Er sah zum Fürchten aus.

Knecht Ruprecht sprach mit tiefer mächtiger Stimme: „Draußen vom Walde da komme ich her...............................und ich hab all den Kindern etwas mitgebracht, die artig, fleißig und folgsam waren. Denen aber, die nicht gehorsam waren, die faul waren oder gelogen haben,
die stecke ich in den Sack und nehme sie mit.“
Während er dies sprach, zog er mit einer ruckartigen Armbewegung einen riesigen Sack von seiner Schulter und stellte ihn vor sich auf den Boden.

Klein Rudi hatte genau zugehört, er zitterte jetzt am ganzen Körper, aber keiner beachtete ihn.

„Klara!“ rief Knecht Ruprecht in die Runde „ Du bist die Älteste, was hast du für ein Gedicht gelernt, sprich!“

Klara trat hervor und trug mit Engelsstimme ihr Gedicht vor und machte zum Schluss noch artig einen Knicks.
Knecht Ruprecht schaute hinüber zu den Eltern und fragte: „War sie auch immer fleißig und folgsam, und hat sie in der Schule auch immer aufgepasst?“

Als die Eltern dies bejahten, fasste Knecht Ruprecht in seinen großen Sack hinein und reichte Klara ein Geschenk.

Es folgte nun ein Kind nach dem anderen, und meistens sagten die Eltern: „Ja, sie war fleißig, oder sie bemüht sich doch sehr.“ Dann gab es manchmal mahnende Worte von Knecht Ruprecht, sich ja im nächsten Jahr mehr anzustrengen.

Knecht Rupprecht schaute sich jetzt um, seine wilden Augen blitzten und suchten hin und her, und dann rief er: „Nanu, wo steckt der Rudi?“

Rudi klammerte sich jetzt ganz fest um Mutters Beine und wagte kaum zu atmen,
doch die Mutter bückte sich zu ihm hinunter und zog an ihm. „Komm Rudi, komm endlich unterm Rock hervor.“

„Ich will nicht zum Knecht Ruprecht“, sagte Rudi ängstlich und leise.

Knecht Ruprecht rief jetzt zornig zu ihm hinüber: „Ich hab gehört du folgst deinen Eltern nicht, tust nicht was man dir sagt und du schlägst die Türen immer laut zu.
Ich hab gehört du willst morgens nicht aufstehen und willst nicht in den Kindergarten!“

Die Mutter schubste den klein Rudi an, „Komm Rudi geh schon, sag schön brav dein Gedicht.“

„Willst du jetzt wohl kommen!“ rief Ruprecht mit seiner mächtigen Stimme.

„Nein !“ schrie Rudi, flehend schauten seine Augen hinauf zur Mutter und Tränen liefen über sein kleines Gesicht.

„Dann werde ich dich holen “ rief Ruprecht, kam heran, packte klein Rudi, der wie angewurzelt dastand, mit einer Hand am Kragen und versuchte ihn in den Sack zu stecken.

Klein Rudi strampelte und schrie dabei so herzzerreißend, bis die Mutter rief:

„Franz! Lass gut sein, lass ihn wieder aus dem Sack.“ doch Knecht Ruprecht, dachte nicht daran.

Opa, Oma, ja alle die da waren, sie bogen sich schon vor Lachten, bekamen Freudentränen in die Augen, klopften sich vor lauter Begeisterung auf die Schultern und juchzten vor sich hin.

Doch für klein Rudi war das kein Spaß, er zappelte jetzt im Sack und schrie aus Leibeskräften.

Dann endlich, Ruprecht öffnete den Sack.
Klein Rudi krabbelte heraus, er stand nun da, jabste nach Luft und ein Schluckauf ließ seinen kleinen Oberkörper beben. Tränen liefen ihm über die Wangen, er schaute in die Runde, sah wie der Knecht Ruprecht seine Kapuze und den Bart vom Kopf zog und er erkannte den Onkel Franz.

Doch da rief Erna, Rudis Schwester plötzlich los: „Schau mal Mama! Schaut mal alle her!“
sie deutete mit dem Finger auf Rudis Hose „Der Rudi hat in die Hose gemacht!“

Und wieder lachten sie alle, Onkel Artur der sich vor lauter Freude auf die Schenkel schlug rief mit überschlagender Stimme: „Ja so ein lustigen Heiligen Abend hab ich schon lang nimmer erlebt, mein Gott ist das schön!“

Klein Rudi senkte seinen Kopf, drehte sich um und ging zur Türe hinaus, hinaus in die dunkle Nacht und Kälte, er hatte genug vom Heiligen Abend, er wollte keine Geschenke mehr.

Der Onkel Franz rief ihm noch nach: „ Aber Rudi, bleib doch da, das war doch nur Spaß.“


Klara, Rudis älteste Schwester wurde nach einiger Zeit unruhig. Wo Rudi nur so lange bleibt? Warum ist er noch nicht zurück? Draußen ist es doch bitter kalt, dachte sie.

Sie verließ die Stube, trat vor die Haustüre und rief: „Rudi! Rudi wo bist du denn?“
Doch Rudi antwortete nicht.
Nun machte sie sich langsam Sorgen, eilte in den Hausflur zurück, nahm eine Petroleumlampe vom Boden auf, zündete den Docht der Lampe an und trat ins Freie hinaus.

„Rudi ! Rudi!“ rief sie immer wieder in die dunkle Nacht hinein.
Und dann entdeckte sie im flimmernden Lampenschein die kleinen Fußspuren im frisch gefallenen Schnee, sie folgte der Spur die hinüber führte zum nahe gelegenen Stall.

Die Stalltüre war nur angelehnt, Klara trat ein und sprach leise in die Dunkelheit hinein.
„Rudi, Rudi bist du hier?“

Sie lauschte einige Sekunden, da vernahm sie ein leises Wimmern und Schluchzen, sie hob die Lampe in die Höhe, ging zum Gatter hinüber und beugte sich darüber.

Sie sah die alte Ziege mit ihren beiden Jungen auf dem Stroh liegen und mitten unter ihnen der Rudi.

„Aber Rudi! Dein schönes Sonntagszeug, du machst dich doch ganz schmutzig.“
sagte Klara vorwurfsvoll.

Doch Rudi gab keine Antwort, er schluchzte erneut auf und schmiegte sich noch näher an die
alte Ziege.

Klara öffnete das Gatter, kniete sich auf den Strohbelag zu Rudi nieder und streichelte über seinen lockigen Kopf. Sie hob ihn auf, drückte ihn ganz fest an sich und tröstete seine kleine traurig verletzte Kinderseele.
„ Schau dich mal um Rudi, hier ist es ja fast so wie beim Christuskind in Bethlehem, ich glaube es gibt gar keinen schöneren Platz um dein Gedicht aufzusagen.“

Rudi schien zu überlegen, dann wischte er sich mit dem Hemdsärmel über die feuchten Augen und mit zaghafter Stimme fing er an: „ Die - Hick! Die drei - Hick! “ es blieb bei dem Versuch, denn jedes mal wenn er beginnen wollte unterbrach sein Schluckauf.

„Ach lieber Rudi, lass gut sein.“ sagte Klara, nahm ihn bei der Hand und sie gingen zum Haus zurück, gingen ins Kinderzimmer und dann flüsterte sie ihm ins Ohr: „ Du darfst heute bei mir im Bett schlafen.“ und Rudis Gesicht strahlte auf, ja für ihn war es immer etwas ganz Besonderes im Bett bei seiner großen Schwester zu schlafen, und so dauerte auch nur wenige Minuten da war er tief und fest in ihren Armen eingeschlafen.


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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.10.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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