Ernst Dr. Woll

Weihnachten in der Familie I

Mitte der 1960 Jahre waren unsere beiden Jungen 12 und 10 Jahre und unsere beiden Mädchen 8 und 6 Jahre alt. Wir jungen Eltern waren Mitte 30 und wir wohnten in der DDR in Erfurt. Weil wir uns heute, nachdem wir vergangenes Jahr die Diamantene Hochzeit feiern konnten, gern an die damalige Weihnachtszeit mit den Kindern erinnern, will ich dazu einige Geschichten zu „Weihnachten in der Familie“ veröffentlichen.
Schön war für uns diese Zeit als die Sprösslinge zum Teil noch an den Weihnachtsmann glaubten. Problematisch war es aber, die Geschenke stets sicher versteckt aufzubewahren. In der DDR wurde vieles während des gesamten Jahres gekauft, weil wir zugreifen mussten, wenn das Gewünschte gerade im Angebot war. Oftmals erwarb man dabei auch Sachen, die gar nicht geplant waren. So hatten wir in einem Jahr so viel Baumkerzen und Lametta, dass wir damit mehrere Jahre reichten. Das wurde zwar als „hamstern“ verurteilt, aber das heimliche Anlegen von Vorräten war in der DDR in allen Familien gang und gäbe. Es war damit ja auch manchmal möglich, Bekannten zu helfen. Beziehungen und gegenseitige Informationen über die Verkaufsstätten, wo es Mangelwaren gab, waren von unschätzbarem Wert. Auf all diesen Gebieten entwickelte die Mutter meisterhafte Fertigkeiten. Nur passierte es auch, dass sie im Sommer Geschenke fand, die eigentlich für das vorherige Weihnachtsfest vorgesehen waren.
Als Verstecke eigneten sich besonders Mutters Wäscheschrank und Vaters Schreibtisch. Sicher sind wir jedoch nicht, ob die Kinder doch nicht heimlich vorher einiges ausspionierten. Sie hielten hierüber - dabei auch einmal untereinander einig - gegenüber uns Eltern immer dicht. Viel Freude und Spaß gab es bei uns in der Vorweihnachtszeit mit den Wunschzetteln und dem Raten, welche Geschenke es wohl geben werde. Wir amüsierten uns über die Rechtschreibung und wie unbeschwert die Kinder damals vieles niederschrieben. Unsere Kinder waren in ihren Wünschen immer sehr bescheiden. Solange bei den Kleinen der Weihnachtsmann der Gebende war, standen verständlicher Weise Preise außen vor. Als sie aber begriffen, dass alles etwas kostet, führten wir für die Realisierung der Wünsche in der Familie sehr vernünftige Gespräche. Wir waren nicht arm, aber auch nicht so begütert, dass wir uns unbegrenzt alles leisten konnten. Im Vordergrund stand für uns: Wir wollten unseren Kindern ein schönes und zufriedenes zu Hause zu bieten. Hierfür sparten wir gern an Stellen, die nur dem Prestige dienten; wir fuhren deshalb ein kleines Auto und hatten eine bescheidene aber zweckmäßige Wohnungseinrichtung. Nicht gespart wurde beim Essen. Eingedenk der Kriegs- und Nachkriegszeit galt für uns: „Nie wieder darben müssen“. Obwohl wir Eltern als Kinder in der Landwirtschaft aufwuchsen und uns zumindest hatten satt essen können, war uns noch in Erinnerung, dass es auch bei uns damals nicht an Menge, aber an der Auswahl von Schmack- und Nahrhaften mangelte. Die Bilder der Menschen, vor allem der Kinder, die zu uns in die Dörfer kamen und versuchten etwas zum Stillen des Hungers zu ergattern, waren uns noch sehr gegenwärtig. Besonders in der Vorweihnachtszeit war „Essbares“ für diese Kinder wertvoller als alle anderen sächlichen Geschenke.
Einige Wochen vor Weihnachten begann bei uns mit viel Spaß das Rätselraten welche Geschenke jeder bekommt? Besonders meine Mutter, die oft bei uns zu besuch war, konnte die Spannung so richtig steigern. Wir nannten Anfangs-, End- oder Mittelbuchstaben des Wortes von einem bestimmten Geschenk und die Kinder rätselten und kombinierten. Wir mussten dabei höllisch aufpassen, dass wir nicht zu viel verrieten und uns oft korrigieren, denn unsere Vier konnten schon sehr früh recht logisch denken und schlussfolgern. In dieser Zeit galt es auch, die Kinder am Heiligen Abend nachmittags zu beschäftigen, da sich die Spannung mit der herannahenden Bescherung steigerte. Meine Mutter unternahm mit ihnen deshalb einen Kirchgang oder auch einen Winterspaziergang im nahen Park, um sie abzulenken. Meist gegen 19,00 Uhr war Mutti in den Wohnzimmern mit der Vorbereitung fertig. Alle Jahre wiederholte sich nun der gleiche Ritus. Im Zimmer, in dem der geschmückte Weihnachtsbaum stand und die Geschenke aufgebaut waren, ertönte ein Klingelzeichen. Das war die Glocke, die der Weihnachtsmann mit sich führte, wenn er an den Adventssonntagen schon einmal gekommen war, um zu prüfen, ob die Kinder auch artig gewesen sind. Vor der Zimmertür postierten sich schnell die Sprösslinge dem Alter nach in einer Reihe. Als unser Hund Fasko, ein Langhaardackel, noch unter uns war, musste auch er dazwischen sein. Die Tür wurde geöffnet und wir erfreuten uns jedes Mal an den erstaunten erwartungsvollen Blicken der Kinder; schnell erkannten sie den jeweils eigenen Platz mit den Geschenken. Der Tannenbaum fand erst nach unserem Hinweis Beachtung und es wurde nebenbei bemerkt: „Ja, der ist auch sehr schön“. Nur der Hund roch, dass an dem Baum leckere Schokoladensachen hingen. Wenn er sich unbeobachtet fühlte, das war gleich, wenn wir uns noch mit der Besichtigung der Geschenke beschäftigten, sprang er hoch und versuchte diese Leckerbissen zu erhaschen. Es gelang ihm nicht immer die Kringel herunter zu reißen, aber den Baum brachte er meist in ein bedrohliches Wanken. Eingefügt sei hier noch, dass in der DDR der Schokoladenbaumbehang zur Mangelware gehörte. Für die Kinder gab es deshalb abgezählte Zuteilungen, bei denen der Hund nicht berücksichtigt war. Er war auf die Großzügigkeit unserer Mädchen und Jungen angewiesen und vertraute deshalb lieber seiner unerlaubten Selbstbedienung. Es erscheint uns heute fast wie ein Wunder, dass in den Jahren, in denen Fasko oft den Tannenbaum bedrohte, dieser nicht umfiel und nichts mit den brennenden Kerzen passierte.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.11.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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