Irene Beddies

Der Weihnachtsstern




Es läutete an der Tür.
Siegfried stand unter der Dusche und konnte nicht öffnen.
Es läutete erneut. Wer war so hartnäckig oder penetrant?
Er stellte die Dusche ab, schlang sich ein Handtuch um die Hüften und ging nachschauen.
Niemand vor der Tür. Er machte sie dennoch einen Spalt auf. Sein Blick fiel auf ein in gelbes Seidenpapier gewickeltes...Blumengesteck?
Er nahm es auf und merkte, dass es ein Blumentopf sein musste. Es schloss die Tür wieder, entfernte neugierig die Karte vom Papier und las:
"Entschuldige das Theater vorgestern."
Keine Unterschrift, keine Anrede. Das musste ein Irrtum sein.
Trotzdem öffnete er das Seidenpapier einen Spalt weit. Ein roter Weihnachsstern streckte ihm eines seiner Scheinblütenblätter entgegen. Nichts Besonderes, - ein Weihnachtsstern. Als Entschuldigung vielleicht genug. Aber für wen? Auf keinen Fall für ihn!
Vorgestern war Mittwoch gewesen, da hatte es mit niemandem ein "Theater" gegeben, weder mit Kollegen noch mit seinen Eltern. Die würden ja auch keinen Weihnachtsstern schicken.
Wem also sollte die Blume zukommen? Einer Nachbarin? Einem Nachbarn? Warum wurde aber ausgerechnet bei ihm geklingelt?
Tropfen aus seinen nassen Haaren fielen auf die Karte. Mist!

Siegfried zog sich an, frühstückte grübelnd.
Am Nachmittag machte er sich entschlossen auf die Runde zu den Nachbarn. Bei jedem klingelte er und stellte als erstes die Frage, ob der oder die Betreffende vorgestern mit irgend jemandem ein "Theater" gehabt hätte, einen kleinen Streit vielleicht, eine Schererei, ein Midssverständnis? Alle verneinten, konnten sich nicht erinnern, alle schauten ihn misstrauisch an. Jedem erklärte er dann den Grund, woraufhin jeder die Angelegenheit seltsam fand. Fast schämte Siegfried sich für seine Bemühungen. Er hätte die Pflanze lieber gleich behalten sollen, jetzt blieb ihm nichts anderes übrig.

Er stellte den Weihnachtsstern auf die Fensterbank in seinem Arbeitszimmer.
Ach...gießen musster er ihn wohl gleich und ihm einen Übertopf suchen. Da er keinen fand, stellte er den Topf in seine große Kakaotasse. Im Internet suchte er nach der Pflegeanleitung. Es könnte ja sein, dass doch noch jemand die Blume für sich reklamierte.
Mitten in der Nacht wachte er auf. Natürlich: es hatte ein kleines Theater gegeben im Kaufhaus! Er hatte sich einen Schal ausgesucht, aber eine junge Frau hatte behauptet, den Schal zuerst gesehen zu haben, weshalb sie ihn "rechtmäßig" zur Kasse trug und bezahlte. Siegfried hatte ihr wütend einen Vogel gezeigt und sich abgewandt.
Sie sollte ihm eine Wiedergutmachung gebracht haben? Kaum realistisch, er kannte sie nicht. Aber vielleicht möglich?
Tausend Fragen schwirrten ihm den Rest der Nacht durch den Kopf, keine konnte er sich beantworten oder erklären. Das einzige, was ihm klar war: er musste der Frau danken....

Da es Samstag war, nahm er seine Schlittschuhe und fuhr ins Einkaufszentrum, um sich auf der Eisbahn zu vergnügen. Beim Laufen sah er sich die jungen Mädchen an, die, wie es schien, mehr konnten als er.Er hielt ein Mädchen an und bat es, ihm ein paar Schritte zu zeigen.

Da! Der Schal !
Er ließ das Mädchen stehen und folgte dem Schal. Eine junge Frau hatte ihn so um den Hals gelegt, dass die losen Enden lustig hinter ihr her flatterten. Siegfried verkürzte seine Runde und kam kurz vor ihr zum Stehen, so dass er ihren Weg blockierte. Sie musste sich an ihm festhalten, um nicht zu fallen.
Siegfried schaute ihr ins Gesicht.
"Was fällt Ihnen ein!", rief die Frau.
"Der Schal", rief er. Da erkannte sie ihn. "Danke für den Vogel...", lachte sie.
"Danke für den Weihnachtsstern", antwortete er. Sie tat, als ob sie ihn nicht verstand, wurde aber rot dabei.
Siegfried gab ihr spontan einen Kuss auf die Nasenspitze. Völlig verdattert schob sie ihn von sich.
Dann lachten beide herzhaft.


(c) I. Beddies



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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.11.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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In fernen Ländern begegnen dem Leser Paschas und Maharadschas. Ein Rabe wird sogar zum Rockstar.
Auch der Weihnachtsmann darf in dieser Gesellschaft nicht fehlen.

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