Heike Wenig

Ein himmlisches Konzert

Ein kleiner Engel saß auf seiner Wolke und übte auf seiner Harfe. Er konnte alles um sich herum vergessen, wenn er mit seinen kleinen Fingern die Saiten erklingen ließ. Petrus ließ ihn gewähren, während die anderen Engel auch so profane Aufgaben ausüben mussten wie Sterne wieder blank wienern oder Wolken verschieben.
Er aber übte tagaus tagein und sein Spiel wurde immer perfekter. Schon bald kannte er alle Komponisten, die Melodien für Harfe geschrieben hatten. Gern hätte er einmal als Solist ein richtiges Konzert gespielt, aber er musste ja hier oben im Himmel auf seiner Wolke bleiben.
Nur in der Weihnachtszeit, da hatte er einen besonderen Job und diesen übte er auch ganz besonders gern aus. Der Weihnachtsmann zog mit seinem Schlitten und den Rentieren zur Erde hinunter, um all die vielen Päckchen an die Kinder zu verteilen. Nun war der Weihnachtsmann schon so alt, dass er manchmal etwas vergesslich wurde. So war es schon vorgekommen, dass er mit dem voll beladenen Schlitten wieder zurück in den Himmel gekehrt war, weil er vergessen hatte, warum er eigentlich unterwegs war. So hatte Petrus beschlossen, ihm auf seiner Reise einen Weihnachtsengel mit zu geben, der hinten auf dem Schlitten stand und aufpasste, dass kein Kind bei der Bescherung vergessen wurde. Unser kleiner Engel hatte sich sofort für dies Amt beworben. Petrus fand das gut, dass er auch einmal etwas anderes leisten wollte als Harfe zu spielen und übergab ihm diese wichtige Aufgabe.
So stand der Weihnachtsengel jedes Mal hinten auf dem vollbeladenen Schlitten und begleitete den Weihnachtmann zur Erde. Die Fahrten machten ihm viel Spaß, konnte er so viel von der Welt sehen. Er lugte in alle Konzerthäuser hinein, um zu sehen, ob es auch eine Harfe im Orchester gab.
Da, was war da los im Essener Konzerthaus. Da gab es ein großes Orchester mit einer zauberhaften Harfe, aber von dem Harfenspieler fehlte jegliche Spur. Der Dirigent verkündete gerade, dass der Harfinist akut erkrankt sei und sie deshalb einige Änderungen im Programm vornehmen müssten.
Der Weihnachtsengel hatte eine Idee und besprach sich mit den Rentieren. Diese nahmen eine kleine Kursänderung vor und der Schlitten zog hoch oben durch den Saal des Konzerthauses. Der Weihnachtmann war eingeschlafen und bekam nichts mit. Die Rentiere verlangsamten die Fahrt und der Engel glitt an einer schnell ausgerollten Himmelsleiter hinunter zu der Harfe. Schnell verließ der Schlitten zur anderen Seite des Saales wieder hinaus. Der Engel setzte ich an die Harfe, warf einen kurzen Blick auf die Noten vor ihm, die er kannte und auswendig spielen konnte. Das Konzert begann. Zuerst fiel es keinem auf, dass die Harfensaiten sich wie von selbst bewegten und genau an den richtigen Stellen erklangen. Dann wurde der Dirigent aufmerksam und beobachtete die Harfe. Sie stand still, wenn nur die anderen Instrumente spielten und erklang melodisch und kraftvoll, wenn es der Komponist so vorgesehen hatte. Beinahe wäre er beim Dirigieren aus dem Takt gekommen, aber er war so sehr Profi, dass er ohne Nachzudenken weiter dirigierte.
Diese Ouvertüre von Humperdinks Hänsel und Gretel hatten sie hervorragend gemeistert und der Applaus war entsprechend gut. Viele im Publikum hatten gar nicht bemerkt, dass die Harfe wie von selbst gespielt hatte. Der Dirigent dachte kurz nach und besprach sich mit seinen Musikern. Dann spielten sie wie im Programm angekündigt das Konzert für Harfe und Orchester. Er verließ sich auf seine Intuition, dass alles klappen würde. Und so geschah es auch. Der kleine Weihnachtsengel wuchs über sich hinaus und spielte und spielte und alle schauten inzwischen gebannt auf die Harfe und vergaßen, dass der Solist gar nicht vorhanden war, so sehr waren sie von dem Spiel gefesselt.
Ein tosender und lang anhaltender Applaus war die Belohnung für die Musiker, die angeregt durch das Harfenspiel sich selbst übertroffen und göttlich gespielt hatten. Sie alle verbeugten sich immer wieder vor dem Publikum und auch der Weihnachtsengen an seiner Harfe tat es ihnen gleich. Nur schade, dass ihn keiner sehen konnte.
Da plötzlich vernahm er ein Klingeln zwischen dem Applaus. Und wer unter den Konzertbesuchern sich sein kindliches Gemüt bewahrt hatte, konnte sehen, wie ein Schlitten mit einem Rentiergespann mit dem Weihnachtsmann auf dem Kutschbock durch ein Fenster oben im Konzertsaal hereingeflogen kam. Eine Leiter entrollte sich von selbst. Der Weihnachtsengel, der für diese Menschen jetzt auch zu sehen war, kletterte hurtig hinauf zum Schlitten und schwang sich auf seinen Platz. Der Schlitten glitt zum gegenüberliegenden Fenster hinaus und verschwand, nicht ohne dass der Weihnachtsengel übermütig allen Menschen eine Kusshand zugeworfen hatte.
In der Zeitung am nächsten Tag konnte man eine fette Überschrift lesen: Wahrlich ein himmlisches Konzert.

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