Christine Wolny

Der Weihnachtseinkauf

Es war ein harter Winter. Tagelang hatte es geschneit. Der Schnee lag hoch, sogar auf den Bürgersteigen räumte ihn niemand weg. Das war einfach nicht üblich. Der Schnee wurde festgetreten und nachts fror die Spur und es knirschte ordentlich.
Es war für Wattinchen nicht leicht, in die großen Fußstapfen der Erwachsenen zu treten. Doch es machte ihr Spaß, sich hüpfend fort zu bewegen.

Wattinchen war noch kein Schulkind, aber im nächsten Jahr sollte sie es werden.
Sie war auf dem Weg zur Oma. Es war ein weiter Weg, und es gab unterwegs so viel zu entdecken, dass es auch lange dauerte bis sie bei Oma ankam.
Heute Abend sollte bei Oma das Christkind kommen und Wattinchen durfte ein paar Tage bei ihr bleiben.
Oma wohnte in einem Dachzimmer im dritten Stock eines großen Hauses. Unten war eine Bäckerei und es roch immer so gut in diesem Haus.
Wattinchen nahm gleich zwei Stufen auf einmal, sang noch dabei, so dass sie dann keuchend an Omas Tür klopfte.
Oma war froh, dass Wattinchen früher kam. Sie brauchte noch einiges aus dem Laden im Dorf und selbst traute sie sich bei diesem Wetter nicht hinaus. Sie war gehbehindert und fürchtete den hohen Schnee und vor allem die glatten Stellen.


"Gott sei Dank, dass du da bist," mit diesen Worten begrüßte sie die Kleine.
Die roten Wangen leuchteten, ebenso das rote Näschen. Oma drückte ihr gleich einen Einkaufszettel und eine Tasche, in der eine Geldbörse lag, in die Hand. "Lauf schnell noch mal in den Konsum, wir brauchen noch einiges zum Fest," und eil dich, die machen bald zu und es wird heute sehr schnell dunkel." Mit diesen Worten drängte sie Wattinchen zur Tür, und schon war Wattinchen wieder auf der Treppe.

Oma wartete und wartete. Sie wurde langsam unruhig, denn draußen begann es zu dämmern. Dicke Flocken fielen vom Himmel. Sie wurden immer dichter. "Ob ich ihr entgegen gehen soll?" Oma schaute ständig auf die Uhr und an die Tür und lauschte, aber nichts war zu hören.

"Ich hätte doch selbst gehen sollen, sie ist einfach noch zu klein und so verspielt, wer weiß, wo sie sich wieder herum treibt." Das alles ging Oma durch den Kopf.

Und Oma hatte recht.
Kurz vor dem Konsum traf Wattinchen an einem Zaun eine schwarz-weiße Katze, die im hohen Schnee kaum vorwärts kam und jämmerlich miaute.
"Ich trag dich ein Stück, wo wohnst du denn?" Sie drückte die Katze ganz dicht an sich, spürte das weiche, etwas nasse Fell an ihrer Wange, streichelte das Tier und merkte ein leichtes Zittern. Die Katze war schwer, Wattinchen stellte sie wieder in den Schnee, aber sie lief nicht weg, miauend drückte sie sich an ihre Beine.
"Du kommst jetzt mit mir zur Oma, die kocht immer so einen guten Kakao und da kriegst du auch was davon ab."
Sie packte die Katze in ihre Tasche, vergaß vor lauter Katze natürlich den Weihnachtseinkauf und machte sich auf den Heimweg.
Mehrmals stellte sie die Tasche ab, streichelte das Tier und dann ging es wieder weiter. Der Weg führte bergauf. Es war nicht einfach für Wattinchen mit den kurzen Beinen und der schweren Tasche vorwärts zu kommen.

Oma stand im Mantel an der Haustür und war so froh, die Kleine wohlbehalten und mit voller Tasche zu sehen. "Da hast du aber schwer schleppen müssen, komm gib mir die Tasche."
Wattinchens innere Stimme mahnte sie zum Schweigen. Sie reichte Oma die Tasche und damit ging es die vielen Treppen hinauf. Bei jedem Absatz blieb Oma stehen und schnaufte.

"Jetzt machen wir es uns aber gemütlich," sagte Oma. "Oh ja, das machen wir und bald kommt das Christkind.

Oma stellte die Tasche auf den Tisch, aber die fiel plötzlich um. Ein Katzenkopf kam zum Vorschein.
Oma blieb fast das Herz stehen. Sie riss den Mund auf, brachte aber keinen Ton hervor. Und das war gut so, denn im ersten Moment hätte sie sicher etwas gesagt, das Wattinchen nicht gefallen hätte.
"Das ist also der Weihnachtseinkauf" stöhnte sie. "Frohe Weihnachten", aber dann hatte sie sich wieder gefangen.
Sie lächelte Wattinchen an mit den Worten: "Du bist mir eine," und dabei half sie ihr beim Ausziehen der nassen Handschuhe und der schneebedeckten Mütze.

Das war es, was Wattinchen so liebte an ihrer Oma bis zum heutigen Tag.

by Christine Wolny

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.11.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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