Christine Wolny

Der Christbaumschmuck

Nun war es mal wieder so weit. Jede Kugel, jeder Stern und Engel und sonstiger Christbaumschmuck wurde vom Tannenbaum abgenommen und in die Schachteln verstaut. Ach, nun waren sie auch wieder froh, auf dem stillen Dachboden ziemlich heil angekommen zu sein. Es war schon jedes Jahr eine große Aufregung bei den Menschen, bis alles so nach ihrem Sinne verlief, und es ging hektisch zu.

Aber auch beim Christbaumschmuck herrschte schon in den Wochen vor Weihnachten reges Geschwätz und eine gewisse Vorfreude über das Kommende. Die Kugeln wünschten sich, für das nächste Jahr, in die oberen Äste des Baumes zu kommen, da sie in diesem Jahr erlebt hatten, dass zwei Katzen ihre wahre Freude daran hatten, mit den kleinen Pfoten nach ihnen zu schlagen, ja sie zerrten sogar an dem Faden, so als wollten sie die Kugeln abreißen, und das würde für sie den Tod bedeuten. Sie waren ja so dünn und zart.

Wie sollten das die dummen Katzen wissen? Früher waren es nur die kleinen Kinder, die ab und zu nach ihnen fassten. Das fanden sie sogar nett. Aber jetzt wurde es ihnen ganz schwindelig, wenn die kleinen, schwarzen Vierbeiner sie hin und her bewegten.


Zum Glück kam dann ein Kind dazu und verjagte die lebhaften Tiere. Dann gab es wieder eine Ruhezeit für die schönen Glaskugeln.
Das Schaukelpferd genoss es, wenn es von der Kleinsten des Hauses hin und her bewegt wurde. Ihm tat es gut, und es konnte die Glaskugeln nicht verstehen, die darüber schimpften.

"Mir war es vielleicht heiß. Ich hing genau über einer Kerze. Am Anfang dachte ich, ich würde mich verbrennen, doch zum Glück wurde die Kerze immer kleiner, und das war meine Rettung," berichtete eine lilafarbene Kugel, die erst seit zwei Jahren zum Baumschmuck gehörte.
"Ich will das nächste Mal nicht mehr in die Nähe einer Kerze, schau mal, wie ich aussehe, meine ganze Schönheit ist dahin von dem Wachs, das ständig auf mich herab tropfte," jammerte eine Silberkugel.

"Das ist doch nicht so schlimm," antwortete eine goldfarbene Kugel. "Mir haben sie beim Aufhängen die Befestigung herausgerissen und mich dabei ganz schön verletzt. Erst meinte ich, sie würden mich wegwerfen, doch die Frau hat versucht, mich noch zu reparieren. So bin ich jetzt noch unter euch, aber ich weiß nicht, wie es mir im nächsten Jahr ergehen wird. Denkt an die wunderschöne, grüne Glitzerkugel, sie weilt nicht mehr unter uns. Ihr Fach ist leer. Zu dumm, dass sie beim Herunterfallen vom Baum nicht auf dem Teppich gelandet ist. Dann wäre ihr nichts passiert. Aber die harte Tischkante war es, die sie zerplatzen ließ. So ein Unglück für sie!"

In der Schachtel wurde es einen Augenblick still. Jedes Teil vom Christbaum hatte es miterlebt, was dann passierte. Die Scherben wurden aufgekehrt und in den Mülleimer geworfen, der schon sehr voll war und deswegen einige Splitter sogar daneben fielen. Nur die Frau stellte die Frage: "Warum ist die Kugel eigentlich herunter gefallen?" Doch keiner wusste eine Antwort.

Damit war sie vergessen, aber nicht für die anderen Kugeln, die jahrelang zusammen in der Schachtel verbrachten.

Der Holzengel, der jedes Jahr an die Spitze des Tannenbaumes gehängt wurde, hatte von da oben die beste Sicht. Er berichtete den anderen, die nicht so einen guten Platz wie er hatte, was so alles im Zimmer passierte. Die Kugeln auf der Rückseite hörten zwar was gesprochen wurde, aber sehen konnten sie leider nur wenig. So waren sie dem Engel dankbar für den Bericht, und der Engel verstand es besonders gut, die schöne Dinge hervor zu heben.


So erzählte er ihnen, was jedes Kind unter dem Tannenbaum am Heiligabend fand, wie das Spielzeug aussah und wie die Augen der Kinder strahlten. Es war schon ein Erlebnis, wenn die Menschen vor dem Baume standen, ihn bewunderten, wenn die Kerzen angezündet wurden und die Kinder Weihnachtslieder sangen.

Im Lauf der Jahre nahm die Lärmkulisse zu. Früher wurde das Radio eingeschaltet, und man hörte an den Weihnachtsfeiertagen schöne Musik. Jetzt läuft schon am Nachmittag der Fernseher, und die Kinder sitzen vor dem Kasten und schauen hinein. Es hört sich gar nicht weihnachtlich an, was da geboten wird. Da hört man Schreie und Laute, und die Weihnachtskugeln zittern manchmal vor Angst, wenn sie diesen Lärm hören. In solchen Momenten denken sie an die Stille auf dem Dachboden und sehnen sich wieder nach der Ruhe.


Die Glocken strahlten dieses Jahr besonders hell. Sie wurden vor dem Aufhängen ganz liebevoll und zart von einer zarten Hand mit einem weichen Tuch auf Hochglanz poliert. Das war auch nötig, denn sie verloren im Laufe der Monate durch den Staub ihre Schönheit. Sie passten nicht in den Karton, wo die Kugeln lagen. Deswegen kamen sie in eine Plastiktüte, die aber schon etwas beschädigt war, und so konnte der feine Staub im Laufe des Jahres bis zu ihnen hervor dringen. Deswegen war die Reinigung unbedingt nötig.

Gerne denken sie alle noch an ein schönes Erlebnis, welches sie kurz vor dem Abräumen des Tannenbaumes hatten. Am 6. Januar, nachmittags, klingelte ganz schrill die Türglocke. Wer kam zu Besuch? Alle waren gespannt. Der kleine Junge schaute aus dem Fenster und rief: " die Sternsinger kommen."

Das hatten die Kugeln noch nicht erlebt. Noch ehe sie sich gegenseitig die Nachricht zukommen ließen, stürmten schon einige Kinder, verkleidet als Könige in das Haus.

Auch ein schwarzer König war dabei. Er sah zum Fürchten aus, und die Katzen verließen blitzschnell ihren Ruheplatz im Wohnzimmer und versteckten sich im

Haus. Der Pfarrer folgte den heiligen drei Königen ins Wohnzimmer. Sie stellten sich in einem Halbreis vor dem Tannenbaum auf. Dann sangen sie ein wunderschönes Lied, der Pfarrer begleitete den Gesang mit der Gitarre und sang laut mit.

Die Könige sagten ein Gedicht auf, schauten sich kurz im Zimmer um, und ihr Blick blieb auch für kurze Zeit an dem Weihnachtsbaum hängen. Der Pfarrer sprach noch einen Segen aus, und da wurde es dem Engel ganz warm ums Herz. Es sah so aus, als ob er lächelte.

Nun warten sie alle wieder auf das nächste Weihnachtsfest. Es sind nur elf Monate, die sie auf dem Dachboden verbringen müssen, dann wird es für sie wieder ein aufregender Monat. Doch jetzt können sie sich erst einmal ausgiebig erholen, und sie erzählen noch lange von ihren Eindrücken.

by Christine Wolny

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.11.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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