Gerda Schmidt

Der Wunschzettel

Anouschka stand wieder, wie jeden Tag, wenn die Dämmerung reinbrach, am Fenster und schaute traurig raus zum Firmament. Ihre Eltern saßen am Kamin und beobachteten sie dabei ratlos. Was sollten sie nur tun? Es war inzwischen Mitte Februar und ihre 7-jährige Tochter konnte die Enttäuschung über den fehlgeschlagenen Wunschzettel nicht überwinden. Der Weihnachtsmann hatte sie vergessen und keinen Wunsch erfüllt.

Wie jedes Jahr in der Adventszeit bastelten die Kinder Sterne in der Schule, backten Plätzchen mit ihrer Mutter in der großen Küche und schrieben Wunschzettel an den Weihnachtsmann. Da Anouschka seit Sommer in die erste Klasse ging, konnte sie noch nicht so richtig schreiben. Deshalb malte sie neben die Wörter Bilder deren Bedeutung die schön gezeichneten Buchstaben unterstrichen. Dieses Jahr hatte sie lange überlegt, was sie sich wünschen sollte. Ihr Papa hatte ihr erklärt, dass man sich nicht sinnlos etwas wünschen soll, sondern das, was man auch gerne hätte. Nur dann kann man sich auch wirklich darüber freuen. Nicht die Anzahl der Geschenke ist wichtig, sondern was man damit macht. Der Weihnachtsmann sucht sich dann aus dem Wunschzettel genau das richtige aus. Da Anouschka ein intelligentes Kind war und sie ihren Wunsch auf jeden Fall erfüllt bekommen wollte, schrieb sie einen Wunschzettel, der nur einen einzigen Wunsch enthielt, der zu realisieren war.

WUNSCHZETTEL

1.10 kg Schneeflocken mit Vanillegeschmack
2.ein Paar Laufschuhe für einen Spaziergang durch die Milchstraße
3.Hitzefrei im Januar
4.einen Radiergummi, der singt, tanzt, rechnet und Gute-Nacht-Geschichten erzählt
5.einen warmen Mantel für den frierenden Schneemann
6.ein Hundebaby von unserem alten Husky Barry
7.einen Ritt auf einer Giraffe
8.ein Essen mit Schneewittchen und den 7 Zwergen


Voll Erwartung legte sie den Wunschzettel am 5. Dezember unter die Fußmatte vor der Haustür. An diesem Tag sammelte der Weihnachtsmann, ganz nach finnischem Brauch, die Zettel ein und suchte dann ein Geschenk für jedes Kind aus.

Anouschka lebte mit ihren Eltern und zwei Geschwistern in Nordfinnland. Hier herrschte stets ein langer, kalter Winter, der aber häufig sonnige, schöne Tage mit sich mitbrachte. Wenn im November der erste Schnee fiel, baute sie mit ihren Geschwistern und Papa einen großen Schneemann. Der stand dann meist bis Ende März im Garten und gehörte fast schon zur Familie. Sein freundliches Aussehen erhielt er durch eine Karotte, die ihm als Nase diente. Die Augen wurden durch zwei wunderschöne Kastanien dargestellt. Den Mund zierte ein alter rußiger Hanfstrick, der schon spröde war. Als Knöpfe auf dem Bauch steckte Papa ein paar Tannenzapfen in die Mitte. Da Anouschka nicht wollte, dass der Schneemann einen Sonnenstich bekam, holte Papa einen alten Hut aus der Werkstatt, den er früher zum Holzsägen trug.

Diesen Winter wurde es besonders kalt und überall sah man viel Rauch aus den Kaminen aufsteigen. Auch der Atem der kleinen Vögel erzeugte die reinsten Nebelschwaden. Oft setzten sie sich bei einer Zwischenlandung zur Erholung auf den Schneemann. Dabei verfehlte ein Vogel die Hutkrempe und stieß den steifen Hanfstrick so nach unten, dass der Schneemann richtig unglücklich aussah. Als Anouschka am nächsten Morgen durch den glitzernden Schnee lief, knirschten die Eiskristalle laut und funkelten in allen Farben. Auch den Schneemann bedeckte eine feine Eisschicht. Durch den Gesichtsausdruck und den frostigen Überzug glaubte sie, dass der Schneemann friert. Doch ihr Papa lachte sie nur aus. Im Geheimen wollte sie dem Schneemann helfen.


Für den Weihnachtsmann begann der Frühjahrsputz früher, als für gewöhnliche Leute. Er musste die ganze Unordnung von der Weihnachtszeit wieder beseitigen und das begann nach kurzer Pause im Februar. Kaum hatte er alle Werkbänke beiseite geräumt fand er unter einem Tischbein einen Brief eingeklemmt. Als er ihn öffnete, fiel ein Wunschzettel von einem kleinen Mädchen aus Finnland heraus. Wie konnte er sie nur vergessen haben! Beim Durchlesen erkannte er sofort worin der einzige Wunsch bestand. Anouschka wünschte sich einen Mantel für einen Schneemann. Doch Weihnachten lag fast 2 Monate zurück und er konnte doch unmöglich dieses Chaos hier liegen lassen. Er überlegte kurz und ging dann schnell ins andere Zimmer, wo sich ein großes Fernrohr befand. Kaum hatte er durchgeschaut, entdeckte er auch schon Anouschka, wie sie traurig am Fenster lehnte. Ein schlechtes Gewissen überkam ihn. Konnte er dieses Kind so unglücklich sein lassen?

Nach ein paar Berechnungen kam er zu dem Schluss, jemand musste dort hin, aber nicht er. In diesem Moment klopfte es an der Tür. Verärgert öffnete er die Tür und hereingehoppelt kam der Osterhase. Er wäre gerade auf dem Weg vom Einkauf hier vorbeigekommen und wollte sich bei einem Glas Glühwein aufwärmen. Das kam dem Weihnachtsmann gelegen. Er fragte Klopfer, wie er den momentan engagiert sei. Dieser erklärte ihm, dass er noch arbeitslos sei, da die Ostersaison erst ab Anfang März beginne. Da schilderte der Weihnachtsmann dem Osterhasen seine Not und bat ihn, den Auftrag zu übernehmen. Gerne tat das Meister Lampe, wenn man ihm ein Gefährt zur Verfügung stelle. Das war kein Problem, denn die Rentiere standen abrufbereit im Wald und kannten den Weg. Also sollte die Fahrt Morgen stattfinden.

Wie immer fanden sich die Rentiere Paarweise vor dem Schlitten ein und warteten ungeduldig auf das Startsignal. Nach kurzer Einweisung in die Zügelführung und Lichtsignalisierung brausten die erfahrenen Zugtiere und der unerfahrene Kutscher los. Der Osterhase hatte keine Ahnung, wie fest er die Zügel halten sollte. Deshalb geschah es immer wieder, dass er in den weitschweifigen Bögen aus Angst zu fest zog. Es dauerte nicht lang und die Rentiere begannen vor Ärger über die grobe Behandlung zu bocken. Beinahe wäre der Osterhase aus dem Schlitten gefallen, zumal er sowieso unter Höhenangst litt.


Anouschka sah verwundert zum Himmel auf. Im Zwielicht meinte sie einen Schlitten ganz klein am Horizont zu erkennen. Sofort rief sie ihren Eltern zu: „Der Weihnachtsmann. Ich glaube der Weihnachtsmann kommt doch noch.“ Die Eltern liefen zu ihrem Kind und wollten sie beruhigen. Dabei tauschten sie besorgte Blicke aus. Beim Rausschauen aus dem Fenster meinte die Mutter nur, es handele sich um die Lichter eines Flugzeugen. Anouschka wollte das nicht glauben :“Seit wann haben Flugzeuge mehr als zwei Lichter?“. Ihre Mutter brachte Anouschka bald darauf ins Bett. Sie wollte am nächsten Tag mit ihr den Arzt aufsuchen.


Dem Osterhasen war übel. Gleich bei der Ankunft musste er sich übergeben. Dann packte er den Mantel aus dem Geschenkpapier und zog ihn dem Weihnachtsmann über. Dabei sah er den hässlich verrückten Hanfstrick. Mit zwei Griffen hatte er ihn zurecht gebogen und an die richtige Stelle platziert. Als er die Karottennase sah bekam er Appetit, den er aber wegen der Rückreise zurückdrängte. Das Geschenkpapier ließ er ordentlich zusammengelegt neben dem Schneemann liegen. Bei der wilden Fahrt wäre es sowieso aus dem Schlitten gefallen. Der Auftrag war erfüllt. Zufrieden stieg er zurück in sein Gefährt und machte sich auf den Rückweg.

Am nächsten Morgen öffnete Anouschka den Fensterladen in ihrem Zimmer und sah die Überraschung. Der Schneemann strahlte sie glücklich mit seinem schönsten Lächeln an. In seinem blauen Mantel sah er stolz aus. Noch im Schlafanzug stürzte Anouschka runter an die Haustür. Ihren Papa zerrte sie am Ärmel in den Garten, um ihm das Geschenk zu zeigen. Er glaubte seinen Augen nicht zu trauen und hätte es für einen Trick gehalten, wäre da nicht das Weihnachtsgeschenkpapier gelegen. Als er in den gefrorenen Schnee sah, konnte er die Spuren von einem großen Schlitten erkennen und vorne dran viele Hufabdrücke.


http://www.eulenschreibkleckse.de/

Die Geschichte enthält 4 Elemente, die bei einem Schreibwettbewerb erfüllt werden mussten.
Die Geschichte stammt aus der Sicht eines kleinen Mädchens

s. http://www.autoren-im-netz.de/
Gerda Schmidt, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.01.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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