Daniela Springer

Die Betriebsweihnachtsfeier - oder: "Alle Jahre wieder....."

Alle Jahre wieder – kommt das Christuskind. Richtig. Aber an diesem Wochenende stand erst mal die Betriebsweihnachtsfeier an.

 
Die Feier an sich war ja immer ein Riesenspaß, nur der darauf folgende Montag, war dann meist eher unangenehm. Es gab regelmäßig Entschuldigungsschreiben, Versetzungen, Abmahnungen und Kündigungen. Na gut, hier und da kam es auch vor, dass nach neun Monate eine Stelle auf ganz natürliche Weise frei wurde. Aber bis heute gibt es keinen eindeutigen Beweis dafür, dass dies mit diversen Weihnachtsfeiern zusammenhängt.
 
Ich hatte mir mit meiner Lieblingskollegin den besten Platz, nämlich den, direkt an der Sekttheke, reserviert. Mit einem Gläschen in der Hand warteten wir auf das Eintreffen der Kollegen. Diese trotteten nach und nach mit gelangweilten Gesichtern ein.
 
Unser hochverehrter Chef Herr Dr. Müller-Lüdenscheid bat mit gequetschter Stimme alle Platz zu nehmen. Man konnte regelrecht hören, wie er im Geiste bereits die Kosten für dieses Event durchrechnete. Auf dieses Loch im Budget gönnte er sich erst mal eine halbe Flasche Jägermeister. Prost! Ich meine gut, machen wir uns nix vor! Er hatte sich nicht lumpen lassen. Seine Frau hatte für die gesamte Belegschaft - immerhin 480 Mann - Kartoffelsalat und Wienerwürstchen vorbereitet. Und dieses Jahr gab es auch noch eine Auswahl von verschiedenen Baguette-Sorten dazu. Mit Schimmel und ohne. Verbrannt oder knäckebrotartig. Knochentrocken oder zäh wie Kaugummi. Eben alles was das Herz begehrt. Die Frau vom Chef war übrigens nicht mit dabei, die Schwielen an den Händen vom endlosen Kartoffeln schälen und schnipseln sahen einfach unappetitlich aus und der Heilungsprozess dauerte doch länger als erwartet. Abgesehen davon, putzt Frau Müller-Lüdenscheid auch nach Feierabend noch unsere Büroräume und die Produktion. Das spart die Kosten für eine Reinigungskraft. Und die Schürze von Chanel und das Kopftuch von Dior stehen ihr echt gut.
  
Ich hatte das Vergnügen, mit dem Kollegen Krebs-Piepenbrinck aus der Mahnabteilung und mit der dicken Trine, Fräulein Koschinski  aus der Buchhaltung zusammen zu sitzen. Im Geiste verfasste ich bereits ein Schreiben an den Betriebsrat, wegen Mobbing. Denn das konnte der einzige Grund sein, warum ich an den Loser-Tisch musste.  Aber erst mal gute Mine zum bösen Spiel machen.  Ich erkundigte mich höflich, wie es denn so gehen würde, und bereute es bereits in dem Moment, als ich die Frage gestellt hatte. Der Kollege Krebs-Piepenbrinck sah mich mit leuchtenden Augen an, und erzählte mir ganz aufgeregt dass ihm jetzt wieder besser ginge. Konnte er doch tatsächlich seine Ü-Ei-Sammlung abermals um Schlaubi-Schlumpf erweitern konnte. Ich müsste nämlich wissen, dass diesen, Monate zuvor seine Angora-Katze namens „Muschi von der Abendröte“ gefressen hatte. Seine „Muschi“ wäre ja so verspielt und verschmust. Ich bat ihn peinlich berührt, doch etwas leiser zu sprechen, denn aus dem Augenwinkel sah, ich wie sich die Kollegen an den Nachbartischen bereits die Tränen vor Lachen von den Wangen wischten. Oder waren es gar Tränen des Mitleids?
 
Fräulein Koschinski, ließ das alles kalt. Sie wartete angespannt und hochkonzentriert, auf die Eröffnung des Büffets. Sie hatte bereits diesen gefährlichen Tunnelblick. Fest entschlossen sich alles aus dem Weg zu räumen, was sie daran hindern könnte, die erste an der Nahrungsstelle zu sein. Der Kollege Knickebein aus dem Versand läuft immer noch auf Krücken, vom letzten Jahr, als er nicht schnell genug zur Seite springen konnte und von Fräulein Koschinski auf dem Weg zum Büffet überrannt wurde. Wenn er Glück hat, werden in ca. 2 bis 3 Jahren die Eisenschienen und Schrauben entfernt und er kann mit der Reha-Therapie beginnen.
  
Herr Dr.  Müller-Lüdenscheid stand derweil immer noch am Rednerpult und gestikulierte wie wild. Hin und wieder drangen unverständliche Wortfetzen zur mir durch.  Die diversen Weinbrand-Cola, zum Benetzen der Stimmbänder, waren nicht gerade förderlich für seine Aussprache. Kam es mir nur so vor, oder schwankte er bedrohlich von einer Seite zur anderen? War ja auch egal, ich versuchte Herrn Krebs-Piepenbrinck zu meiner Linken so gut es ging zu ignorieren, der nicht müde wurde mir  immer noch heiß und innig von seiner geliebten „Muschi“ zu erzählen. Ich war in der Zwischenzeit damit beschäftigt aus meiner Serviette einen Jumbo-Jet zu basteln. Tosender Applaus und Gelächter rissen mich aus meiner Konzentrationsarbeit und ich schaute auf.
  
Ich nahm an, Herr Dr. Müller-Lüdenscheid war endlich fertig mit seiner Ansprache – doch weit gefehlt. Er war betrunken umgefallen. Hatte dabei jedoch noch das Mikrofon zu greifen bekommen. Auf dem Rücken liegend, alle Viere von sich gestreckt, weigerte er sich nach Aufforderung seiner Sekretärin dieses aus der Hand zu geben und stimmte ein Lied an. Wie gesagt, die Aussprache war mittlerweile mehr als undeutlich. Aber ich glaube er sang: „ Bier her, Bier her, oder ich fall um“. Na, das Bier brauchte er ja nicht mehr, hatte er es doch auch erfolgreich ohne geschafft.  Nach einigem Gerangel war es Frau Schneider, seiner Tippse,  gelungen, ihm das Mikro zu entreißen und Herr Dr. Müller-Lüdenscheid robbte auf allen Vieren zu seinem Platz zurück.
 
Die Belegschaft tobte, applaudierte und gab eine Laola-Welle zum Besten als Dank dafür, dass er endlich aufgehört hatte zu singen. Obwohl er sich, meiner Meinung nach, dieses Jahr echt gut gehalten hat. Letztes Jahr wollte er sich die Kosten für einen Alleinunterhalter sparen und hatte diesen Job kurzerhand selbst übernommen. Nachdem er es mit Stand-up-Comedy versuchte, und kläglich gescheitert war – schrie er uns an, dass wir alle gekündigt sind wenn wir das nicht sofort witzig finden.
 
Gott sei Dank war er schon total voll, so dass er sich nach ein paar Stunden nicht mehr daran erinnern konnte. Aber Ehrgeiz hatte er ja, dass musste man ihm lassen. Da es mit der Comedy-Nummer nicht klappte, probierte er es mit einem Strip.
 
Nur noch in Schiesser-Feinripp-Unterhose und Tennissocken bekleidet holte er aus dem Publikum die Kollegin Schmittchen und forderte sie auf Sahne von seiner weißen, schlabberigen Brust zu lecken. Als diese sich vehement und mit angeekeltem Gesicht weigerte (sie ist übrigens am darauf folgenden Montag wegen Arbeitsverweigerung gekündigt worden), meldete sich freiwillig der Kollege Schmidhuber aus dem Archiv und nutzte die Gelegenheit gleich dazu, sich das Mikro unter den Nagel zu reißen und schrie: „Ich bin schwul und find es cool“! Jetzt machte Herr Dr.Müller-Lüdenscheid ein angeekeltes Gesicht. Aber wie gesagt, dass war letztes Jahr.
 
Nachdem der Alte endlich auf allen Vieren seinen Platz erreichte, wurde das Büffet für eröffnet erklärt. Das war der Startschuss für Fräulein Koschinski. Ohne Rücksicht auf Verluste sprang sie auf. Ihr Stuhl flog meterweit nach hinten und sie hechtete über Tische und Bänke um die Erste zu sein. Gottlob war dieses Jahr niemand so lebensmüde sich ihr in den Weg zu stellen. Einige hatten sich sogar zum Schutz Knie- und Ellenbogenschoner mitgebracht. Andere liefen zum Schutz mit Fahrradhelm auf dem Kopf rum.
  
Nachdem die Koschinski das halbe Büffet leer gefressen hatte, und erst mal eine kleine Pause einlegte, trauten wir uns zaghaft näher und teilten uns mit 476 Mann eine 3 l-Tupperschüssel Kartoffelsalat.

Mit einer hungrigen Koschinski war schließlich nicht zu  spaßen. Durch ihr Knurren und Zähnefletschen (in den Zahnlücken hingen übrigens ganze Wienerwürstchen, welche wir hungrig betrachteten ) machte sie uns deutlich, dass sie noch keineswegs satt war. 

 
Gut, wenn wir schon nichts zu Essen bekommen, dann eben trinken. Die einzelnen Tischgruppen lockerten sich ein wenig auf und man kam hier und da zu Gesprächen zusammen. Auch der DJ fing endlich an Musik zu spielen. Nur das mit der Lautstärke hatte er nicht so drauf. Es war so laut, dass man besten Willen keine Unterhaltung mehr führen konnte. Da niemand von uns die Zeichensprache beherrschte standen wir schweigend rum. Ok.

Nicht essen. Nicht reden. Einfach nur trinken. In mir keimte die Vermutung, dass dies ein geschickt durchdachter Schachzug der Geschäftsleitung war. Umso weniger wir essen (die hatten die Koschinski bestimmt 2 Wochen lang, vertraglich festgelegt, auf Diät gehalten), desto weniger konnten wir vertragen und waren somit schnell betrunken. Eine schlaue Methode die Kosten auf Sparflamme zu halten. Wissend lächelte ich in die Runde.

 
Der Plan jedenfalls schien gut zu funktionieren. Die ersten Totalausfälle lagen bereits auf und unter den Tischen. Andere hingen über ihren Stühlen. Einige Schnapsdrosseln wiederum hüpften über die Tanzfläche wie Epileptiker die man gezwungen hatte, barfuss über brennende Kohlen zu laufen.
 
Horst der Hausmeister nutzte den Toilettengang des DJ´s schamlos aus und aus den Lautsprechern erklang auf einmal der Radetzkymarsch. Mit dem Mikro in der Hand torkelte Horst auf die Bühne und schrie: „Damals war alles besser. Dieses Land braucht wieder Zucht und Ordnung.  Nicht solche Bürohengste und Langeweiler wie Euch! Und noch nicht mal geile Weiber hier, da kann ich auch gleich nach Hause zu meiner Alten, sonne Scheiße. Wenigstens ist der Fusel hier umsonst!“ Es traute sich niemand zu widersprechen. Einige klatschten sogar.  Horst der Hausmeister war der Halbgott im grauen Kittel. Ohne ihn ging hier nix. Wollte man im Winter nicht in einem Büro mit Minusgraden sitzen oder im Sommer eingehen vor Hitze weil Horst aus lauter Boshaftigkeit die Klimaanlage abgeklemmt hatte, war es ratsam ihm nicht in die Quere zu kommen.
   
Ein Kollege hatte es mal gewagt sich bei Horst zu beschweren, dass das Ventil seiner Heizung kaputt ist  und das doch endlich mal repariert werden sollte. Das Ganze auch noch in Horst seiner Frühstückspause. Es endete damit, das der Kollege sich nur noch im Schneeanzug und Handschuhen in sein Büro begeben konnte (komischerweise ließ sich ab dem Zeitpunkt der Beschwerde auch das Fenster nicht mehr schließen) und er dann 6 Wochen lang im Krankenhaus auf der Intensivstation lag um seine fiese Lungenentzündung auszukurieren. Also fügten wir uns unserem Schicksal und hörten nun 3 Stunden den Radetzkymarsch. Horst der alte Fuchs hatte nämlich die Repeat-Taste gefunden.
 
Der Höhepunkt der Feier war dann die Poloneyse an der alle Kollegen (jedenfalls die, die sich noch auf 2 Beinen fortbewegen konnten) teilnahmen. Es war allerdings ein bisschen beschwerlich über die ganzen Schnapsleichen einen Bogen zu machen, oder sie zumindest nicht zu verletzen. Soviel mir bekannt ist, hat es keine Schwerverletzten gegeben. Bis zu dem Zeitpunkt als der Juniorchef, vor lauter Übermut  auf die Bühne krabbelte und eben von dieser sprang, in der Hoffnung er würde von seiner Belegschaft aufgefangen werden, so wie er es schon mal in einem Rockvideoclip gesehen hatte. Was soll ich sagen. Der Aufprall muss wirklich schmerzhaft gewesen sein. Und wenn er Glück hat, wird er keine bleiben Schäden davon tragen. In diesem Sinne; ein Frohes Neues Jahr!!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.12.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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