Mara Krovecs

Das glücklichste aller Weihnachtsfeste

Wie wehte in jener Nacht der Wind.
Am Morgen war alles eingeschneit, bis hoch zu den Fenstern, die Haustür war kaum zu öffnen, denn die Schneewehen hatten sich bis unter die Regenrinne aufgetürmt.
Nach einigen Mühen konnten wir die Tür dann doch öffnen und was wir sahen verschlug uns die Sprache: unser ganzes Dorf schien nur aus Schnee zu bestehen. Flugs holten wir unsere Wintermäntel, Mützen, Schals und Handschuhe aus den Schränken und stürzten uns in das wundervollste Paradies der Welt.

Nachmittags standen etliche Schneemänner im Dorf vor den Häusern, trotzten angefangene Iglus und blinkten herrliche Schlitterbahnen. Unsere Wangen und Hände waren rot wie Kirschen, unsere Füße so kalt, dass sie kaum noch zu spüren waren. Aber wir blieben den ganzen Tag draußen und nach dem Abendbrot schlitterten wir auf unserer tollen Bahn unter den Sternen, der glitzernde Schnee weckte die schönsten Träume in uns.

Mit meiner Schwester wanderte ich noch einmal durch das Dorf, bevor wir heim gingen.
„Stell dir vor“, flüsterte ich, und tänzelte und hopste mit schrecklichen Grimassen vor ihr her, „was wäre, wenn es Schneegeister gäbe. Huuu huuu“
Meine Schwester schubste mich energisch zur Seite. „ Du trittst mir auf die Füße, lass das!“,zischte sie dabei. Ich verdrehte die Augen bis sie dann doch lachte und friedlich gingen wir weiter, an dem verschneiten Dorfteich vorbei.
Plötzlich hörten wir ein Geräusch. Es kam direkt aus dem vertrocknetem Schilf am Ufer des Teiches. Wir erschraken uns sehr, denn es war ziemlich dunkel und die Schneegeister steckten uns noch in den Knochen. Es war ein Wimmern, wie von einem Lebewesen, das weiter weg war.
„Was war das?“ fragte meine Schwester und ich konnte den Schrecken in ihrem Gesicht sehen. „Vielleicht ein Schneegeist“, versuchte ich zu witzeln, aber mir war ganz anders zumute, denn das Wimmern wurde lauter und in der Stille des Abends klang es wie ein unüberhörbarer Hilferuf. „Ich schau mal nach“ sagte ich dann zögernd und ging in die Dunkelheit, dem Geräusch nach.
Nicht weit entfernt sah ich dann eine Gestalt, die im Schnee lag. „Hallo“ rief ich ängstlich, mein Blut rauschte wie ein reißender Fluss in meinen Ohren.
„ Hilfe“ hörte ich dann eine menschliche Stimme, die so schwach war, dass mein Atem lauter schien als das eben Gehörte.
Ich beugte mich über die Gestalt und erkannte eine Dorfbewohnerin, die alte Hilde.
Sie lag seltsam verrenkt und wie mir schien schon eine ganze Weile da, denn sie war so kalt wie Eis, als ich sie mit meiner Hand berührte. „ Hol schnell Hilfe“ schrie ich meiner Schwester zu,“ die alte Hilde liegt hier, sie ist verletzt!“ Dann beugte ich mich zu ihr herunter und versuchte ihre Hände warm zu reiben. Sie stöhnte leise und ich wusste nicht, ob ich weitermachen oder aufhören sollte. Vorsichtig hauchte ich ihr meinen warmen Atem über das kalte Gesicht, ich glaube ich weinte vor lauter Angst und Sorge ihr nicht helfen zu können.
Die Minuten, bis eine erwachsene Person kam, um die arme Hilde zu retten, schienen endlos lang.
Dann wurde ich zur Seite geschoben, zwei kräftige Männer versuchten die alte Frau auf eine Liege zu heben. Das war sehr schwierig, denn die Alte hatte starke Schmerzen; schließlich gaben sie es auf und wärmten sie mit einer Decke. Einige Zeit später kam endlich ein Krankenwagen und ich hatte das beruhigende Gefühl, dass jetzt alles gut wird, so ging ich mit meiner Schwester nach Hause.


Weihnachten stand vor der Tür.
Der prächtige Schnee war liegengeblieben und neuer hinzu gekommen. Es schneite und schneite und wir Dorfkinder waren bestimmt die fleißigsten Schneekinder der Welt; wie verzaubert war unsere Umgebung, denn unzählige Schneemänner und Schneemauern flimmerten in der Wintersonne wie ein riesiger Märchenpalast.
Am heiligen Abend schneite es immer noch und es gibt ja wirklich nichts, was Menschen glücklicher machen kann, als Schneeflocken an diesem einen Tag im Jahr.

Bei uns gab es traditionell Pute und der Duft dieses leckeren Geflügels schwebte in allen Räumen. Wir Kinder schmückten den Tannenbaum und hörten Weihnachtslieder. Letzte Vorbereitungen wurden auch noch getroffen: „ Wo ist die Schere?“ oder „wer hat die Tüte mit den Marzipankartoffeln einfach angebrochen ?“ so flogen unsere Stimmen fröhlich durchs Haus und wir wurden immer hungriger dabei, die Spannung bis zur Bescherung stieg fast ins Unerträgliche.

Es war kurz nach dem leckeren Mahl, die Kerzen im Leuchter brannten festlich auf dem Tisch, die Bescherung stand bevor, als es an der Tür klingelte.
Nun, wir waren alle aus dem Alter heraus, an dem man noch an den Weihnachtsmann glaubt.
Wer könnte das, so unerwartet am heiligen Abend sein?
Wir rannten alle wie wir da waren zur Tür und öffneten neugierig.
Vor uns stand die alte Hilde, ein Bein eingegipst, aber sie lachte uns fröhlich an. Ihre beiden Söhne hatte sie mitgebracht, der eine stützte seine Mutter und der andere hatte einen Sack in der Hand. Wir baten die kleine Gesellschaft herein und luden sie ein etwas Warmes mit uns zu trinken. Hilde, wie wir sie dann von Stund an nannten, wollte sich bei uns bedanken. Sie war davon überzeugt, dass wir ihr das Leben gerettet hatten. In dem Sack waren viele kleine Geschenke für uns und unsere Geschwister. Wir packten neugierig aus, was sie mitgebracht hatten. Es waren wunderschöne und liebevoll ausgesuchte Kleinigkeiten.
Aber was für mich viel wichtiger war, war, dass es der alten Hilde wieder gut ging.
Dass ich das richtige getan und ihr in meiner Hilflosigkeit nicht geschadet hatte.
Das machte mich glücklich.
Und draußen schneite es und schneite; es war der schönste Winter, den ich Erinnerung habe und das glücklichste aller Weihnachtsfeste.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.12.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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