Norbert Friehe

Was schenken wir zu Weihnachten

 
©Norbert Friehe
 
 
 
 
 
 
 
Bald ist es wieder so weit. Weihnachten steht vor der Tür.
 
Das Fest der Liebe und des Gebens. Bekanntlich ist geben seliger denn nehmen. Zumindest wurde es so und nicht anders überliefert. Wir, meine kleine Frau und ich betrachten es aus diesem Blickwinkel und viele andere Menschen wohl auch. Der Rest ist damit beschäftigt, die übrigen Angehörigen der von Konsumwut infizierten Gesellschaft in ihrem Kaufrausch zu übertrumpfen. Wir brauchen keinen Kalender, um zu wissen, wann Weihnachten ist. Das können wir auch so mühelos feststellen.
 
 
 
In der Nachbarschaft schleichen bei einbrechender Dunkelheit vermummte Gestalten mit Kabeln und Lampen gebückt durch die Vorgärten und behängen ihre armseligen Büsche und Tannen. Ein regelrechtes Wettrüsten hat begonnen. Wehe, wenn einer mehr hat als der andere, dann kommt am Nachmittag des nächsten Tages garantiert der Lieferwagen und bringt noch schnell einhundert Meter Lichtschlauch für die Hauswände. Direkt aus dem Baumarkt. Eine Leiter gibt’s als Draufgabe. Manche lassen sich extra einen Stromgenerator einfliegen, damit das hauseigene Stromnetz nicht zusammen bricht.  
 
In den Städten wird geschmückt, dass sich die Bäume biegen. Lichterketten sollen uns vorgaukeln, wie schön es doch an Weihnachten ist. Was ist daran schön, wenn die Stromrechnung in schwindelnde Höhen steigt?
 
Manche Einkaufsmeilen sind wegen der sinkenden Kaufkraft schon so verarmt, dass sie nicht einmal wissen, wovon sie den Strom für ihre Registrierkassen, geschweige denn für eine unnütze Ausleuchtung noch unnützerer Geschäftszeilen bezahlen sollen.
 
Der Kunde von heute ist bequemer geworden. Mit der Lightshow in den Strassen lockt man keinen Menschen mehr hinter dem Ofen vor. Wozu durch die Kälte oder schlecht beheizte, überdachte Fußgängerzonen gehen, wenn man daheim ohnehin alles im Internet bestellen kann.
 
Ein Mausklick genügt und der Kredit für die Geschenkorgie ist genehmigt. Mit einem leichten Druck der Returntaste wird die Sammelbestellung abgeschickt und nach wenigen Tagen von keuchenden Paketboten angeliefert.
 
Schöne neue, faule, einfallslose Welt.
 
 
 
Es geht das Gerücht, dass sich die Werbeindustrie und die Kreditgebermafia der Banken eigens zu Weihnachten zusammentun und ein geldsaugendes Instrumentarium entwickeln. Alle Jahre wieder versammeln sie sich, um neue Strategien zwecks Steigerung der Verkaufszahlen auszutüfteln. Da sitzen dann die zusammen, die den potentiellen Käufern goldene, supergünstige Kredite einräumen. Damit sollen sie dann Produkte kaufen, die zuvor von der Werbung in den schönsten Farben ausgemalt wurden. Und genau dieselben Liebenswerten Geldvermittler treiben anschließend den dummen Kunden in den Ruin.
 
Die Vorgehensweise des Betrugskonsortiums funktioniert so gut, dass der eigene Wille der Kundschaft auf Eis gelegt wird. Die armen Schweine merken es nicht einmal. Meister Luzifer steht an jeder Ecke und reibt sich vor Freude die Hufe, weil er wieder einige tausend geschenkgeile Seelen unter den Umhang schieben kann. Den schüttelt er nach Weihnachten beim Insolvenzverwalter aus.
 
Es ist schon so weit gekommen, dass die Anzahl der erhaltenen Präsente mit Lebensqualität gleichgesetzt wird. Dabei steht die innere Leere in direktem Verhältnis zur Menge der Gaben.
 
Es wundert mich nicht, wenn Jesus die Händler aus dem Tempel gejagt hat. Heutzutage würde er viele Helfer brauchen, um Herr der Lage zu werden. Es gibt zu viele Tempel und noch mehr Händler.
 
Ein schönes Beispiel sind unsere Nachbarn. Sie sind sich spinnefeind und können sich nicht leiden. Monsieur Meier hat seinem Sohn eine Spielkonsole gekauft. Als Herr Müller das sah, bestellte er sofort den allerneuesten Computer für irres Geld.
 
Es geht doch nicht mehr darum, sich gegenseitig eine Freude zu bereiten, sondern den Nächsten zu übertrumpfen. Besser noch, ihn zu blamieren.
 
 
Verdammt, wo ist das Herz geblieben? Hat es einer Rechenmaschine Platz gemacht, die nur noch registriert, was man wofür bekommt? Geschenke sind zum Schenken da aber doch nicht, um eine Erwartungshaltung zu befriedigen. Sie sollen Freude bereiten und keine Schuldgefühle vermitteln oder Neid erzeugen.
 
Zumindest habe ich das so gelernt.
 
Wir, meine Frau und ich, freuen uns über ganz andere Dinge. Wir sehen dem verrückten Treiben zu, freuen uns, dass wir gesund sind und unser Hund gleichermaßen. Unser Kühlschrank ist brechend voll und die Wohnung ist gut geheizt. Wir haben sogar unsere Fenster ein wenig geschmückt und ein paar Tannenzweige mit Kerzen bestückt. Unseretwegen muss kein Bäumchen sein Leben aushauchen.
 
Uns ist aufgefallen, dass wir das ganze Jahr über schenken können. Es muss gar nicht mal teuer sein. Meiner Frau treibt es heute noch Tränen in die Augen, wenn ihr alter Griesgram mit einem Strauss Blumen nach hause kommt, den er ihr verlegen in die kleine Hand drückt, weil er mal wieder nicht die passenden Worte findet. Es darf auch mal ein leckeres Essen beim Italiener sein.  
 
Viel wichtiger ist, dass wir uns immer wieder unser Vertrauen schenken, gegenseitige Aufmerksamkeit. Das verhindert ein Absterben der zwischenmenschlichen Gefühle. Wir schenken uns Geborgenheit und Wärme, Verständnis und das Bewusstsein, dass der eine für den anderen da ist, wenn er ihn braucht. Wir schenken uns das Wissen, dass wir im Lauf der Jahre unseres Zusammenseins zu Stützpfeilern geworden sind, die eine gnadenlos belastbare Brücke tragen. Wir können jederzeit ohne Angst darüber gehen und jeder weiß vom anderen, dass er sich selbst in der größten Not auf ihn verlassen kann.
 
 
Dieses Geschenk haben wir auch für unsere Freunde.
 
Es ist unbezahlbar.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.12.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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