Daniel Reiser

Die Weihnachtskugel hinterm Sofa

Beim Aufräumen, wenn man es denn so nennen will, wenn ich einmal im Jahr einen scheinbaren Anstieg an Sauberkeitsfanatismus bekomme, fand ich eine Christbaumkugel. Klein, rund, dunkelrot. Wohl vom vorletzten Jahr hinter die Couch gefallen und da lag sie und wartet darauf wieder das Licht der Welt vor dem Sofa zu sehen. Vorsichtig gehe ich mit meiner Hand gefolgt vom ganzen Arm hinter den kleinen Spalt zwischen Zimmerwand und Sofa. Beim Tasten nach der Kugel ergreifen meine Finger noch ganz andere Sachen die dort wohl teils schon länger als vorletztes Weihnachten liegen. Einiges davon ist weich anderes wirkt hart aber eins haben all die Gegenstände, bis auf die Kugel, gemeinsam. Allein schon mein Tasten lässt erkenne, dass die Sachen wenig ansehnlich sein würden.
 
Die Finger haben die Kugel ergriffen. Ich nehme sich behutsam in meine Hand,  umschlinge sie mit allen Fingern und presse meinen Daumen leicht dagegen, dann manövriere ich meine Hand zurück aus dem Spalt, in der Hoffnung die Kugel nicht fallen zu lassen, während ich fast mit dem Ellenbogen stecken bleibe. Ein leichter Schmerz, mit einem kräftigen Ruck ziehe ich den Rest der Hand nach draußen und bin erfreut, dass ich sie mir nicht abgerissen oder gebrochen habe.
 
Ich setze mich auf das Sofa an die Fensterseite. Die Kugel ist etwas verstaubt, an meinem schwarzen Pulli reibe ich sie ab und betrachte sie erneut. Kein Kratzer ein perfektes Farbbild, an der dunkelrot glänzenden Oberfläche spiegelt sich mein Gesicht, die Biegung der Kugel lässt meine Nase so groß erscheinen als könnte man sie vom Weltraum aus sehen. Ich drehe den Kopf nach links und rechts und grinse. Bei dem Gedanken daran wirklich so aussehen zu müssen beschleicht mich ein vergnügtes Gefühl.
 
Eine Schleife hängt am oberen Ende der Kugel. Ein kleines hellgrünes Band oben mit einem Knoten zusammengebunden. Ich erinnere mich sogar noch daran wie ich vor Jahren den Knoten gemacht hatte. Ich lasse die Kugel an meinem Zeigefinger hin und her baumeln. Fange an mich an die letzten Weihnachten zu erinnern. Pfeife unbewusst bereits Weihnachtslieder und schmecke schon den Duft von Zimtkerzen und Mandelplätzchen im Ofen.. Höre das Schleifen eines Holzschlittens der von den kleinen Nachbarskindern über den vom Schnee befreiten Bürgersteig. Spüre schon die Schneeflocken auf meiner kalt werdenden Nase.
 
Ich erinnere mich an den letzten Schneemann den ich gebaut habe und wie ich ihm eine lustige Nase aus einem alten Stück Holz geschnitzt aufsetze. Und daran wie  ich mich nachdem ich damit fertig war in den Schnee warf und wie ein vergnügter Junge einen Engel in den weißen Boden formte und dabei den wild tanzenden Schneeflocken in der Luft und den verwunderten Blicken meiner Nachbarn, die mich wohl für durchgeknallt gehalten haben müssen, zusah. Dabei den unverkennbaren Winterduft in meiner erkälteten Nase einsaugte. Egal, es ist Weihnachten, in meinem Kopf jedenfalls und ich liebe den Gedanken an diese schöne Zeit.
 
Warum auch immer, ich höre auf die Kugel in meiner Hand zu schaukeln und stehe auf um aus dem Fenster zu blicken. Draußen scheint die Sonne. Die Nachbarskinder die in meinen Gedanken noch eben den Schlitten zogen spielen vergnügt im Garten Fangen. Ein Eiswagen fährt um die Ecke, klingelt mit diesem unverkennbaren Klingeln, welches ich schon als Kind immer für das schönste Geräusch neben dem Einschlaflied meiner Mutter vernahm. Die Kleinen unterbrechen mit himmelgroßen Augen ihr Spiel und betteln ihre Mutter um einen Euro für eine Kugel Schokoladeneins mit Sahne an.
 
Ich beeile mich bevor der Wagen wieder weiterfährt, Eis... Schokolade, Vanille, Erdbeere, Banane  und dazu noch ein kräftiger Klacks Sahne. Mhhh, lecker. Ich sehe die Kugel noch mal an, lache wieder bei dem Blick auf die große runde Nase die sich darauf spiegelt. Danach lege ich sie wieder sorgfältig hinter den Spalt zwischen Couch und Wand. Vielleicht erinnere ich mich in ein paar Jahren wieder daran dass da etwas liegt? Vielleicht vergesse ich es auch und entdecke sie beim Aufräumen neu? Egal jetzt, ich will ein Eis. Es ist Sommer! Ich liebe den Sommer.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.10.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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