Heiligabend!
Ihre Gedanken gingen weit zurück.
Ja, früher, als ihr Mann noch lebte und ihre beiden Jungen noch im Hause waren, da strahlten auch in ihrer Stube Kerzen und glückliches Kinderlachen erfüllte das Haus.
Dann kam der Krieg.
Ihr Ältester fiel in Rußland. Das Haus wurde ein Opfer der Bomben. Nach entbehrungsreichen Jahren hatten sie sich eine neue Existenz geschaffen.
Der jüngste Sohn studierte und ging dann nach Amerika.
Lange schon hatte sie nichts mehr von ihm gehört.
Als ihr Mann starb, mußte sie ihre Wohnung aufgeben, weil das Geld nicht mehr reichte.
Einsam war sie jetzt im Alter.
Hier und da meldete sich mal eine freundliche Nachbarin, um für sie einzukaufen.
Aber im allgemeinen kümmerte sich jeder bloß um sich selbst.
Sie legte den Kopf zurück an die Lehne und schloß die Augen.
Sie war müde, müde des Lebens.
Es klingelte.
Einmal, zweimal, dann recht stürmisch.
Es fiel ihr schwer in die Wirklichkeit zurückzukehren.
Langsam, fast widerwillig, schob sie die Decke von den Beinen, erhob sich und schlurfte zur Tür.
„Oh, du fröhliche, oh du selige ...“, klang es ihr entgegen.
Ein kleiner Tannenbaum, liebevoll geschmückt, hüllte sie in Wärme ein.
Leuchtende Kinderaugen sahen sie an.
Eine Stimme sagte: „Frohe Weihnachten, Frau Jung!“
Jemand nahm ihren Arm, führte sie zu ihrem Sessel.
Mit fassungslosem Gesicht sah sie dem Treiben um sich herum zu.
In dem kleinen Ofen knisterte ein Feuer.
Auf dem Tisch stand eine Schale mit köstlichem Weihnachtsgebäck und aus einem Topf duftete Glühwein.
Ihr zu Füßen kauerten zwei kleine Mädchen und sahen sie strahlend an.
„Und morgen kommen Sie schon zum Mittagessen zu uns. In Zukunft wollen wir uns mehr um Sie kümmern. Eine Großmutter wie Sie, die fehlt unseren Kindern nämlich.“
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Nora Runge).
Der Beitrag wurde von Nora Runge auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.11.2006.
- Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
Nora Runge als Lieblingsautorin markieren
Im Takt der Tage
von Ilse Dunkel
„Im Takt der Tage" ist wirkliche Lyrik. Ganz unverbrauchte Wendungen und Bilder findet man in den Texten, und fast immer haben die Gedichte eine philosophische Tiefe. Sie sind (objektiv) wahr und gleichzeitig authentisch gefühlt. Das macht den Reiz dieses Buches aus. Immer wieder ist es die Wonne des Augenblicks, die Ilse Dunkel beschreibt, das Sich-Fallen-Lassen und Genießen im Jetzt. Der Augenblick - er ist das stille, verborgene Thema, das sich durch die 68 Seiten dieses Buches zieht. Die Angst, dass der Moment bleiben möge - und doch immer wieder die Hoffnung, dass sich alles noch weiter entwickelt und nach vorn stürmt. Vorfreude, himmelwärts, zum Gipfel. „Der Gipfel / höchster Genüsse / in der Höhenlage / aller Möglichkeiten", wie die Autorn schreibt.
Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!
Vorheriger Titel Nächster Titel
Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:
Diesen Beitrag empfehlen: