Florence Siwak

Das Weihnachtshasserhaus

„Das ist ein ruhiges, ein sehr ruhiges Haus...“
Diesen Satz hatte Jakob in den drei Wochen seit dem 1. Advent, als er in die kleine Erdgeschosswohnung des gediegenen Mehrfamilienhauses gezogen war, von allen Mietern immer wieder gehört. Entschuldigend, mahnend, selbstgefällig, aber immer leise.
 
„Superwohnung“ vertraute er seinem Kommilitonen bei einem Bierchen an. „Aber die Leute!“ und schwieg trübsinnig in sein Glas. Dabei hatte seine Großmutter so viel von deutschen Weihnachten geschwärmt. Und er war jetzt für zwei Semester nach Berlin gezogen  und hatte sich auf ein richtig altmodisches Fest gefreut. Mit seinen Freunden und Kommilitonen konnte er 364 Tage um die Häuser ziehen – aber Weihnachten – Weihnachten war eben nur einmal im Jahr.
 
So nahte der heilige Abend mit feinen nadelspitzen Tropfen, die sich noch nicht entschließen konnten, zu Schnee zu mutieren.
 
Es war kurz vor 18 Uhr. Alle Häuser der stillen Seitenstraße hatten leuchtende erwartungsfrohe Augen. Über den grauen Himmel war gnädige Dunkelheit gebreitet worden. Die wenigen Passanten eilten durch die feuchte Kälte und freuten sich auf einen schönen, fröhlichen Abend zu Hause oder bei Freunden.
 
Die Glocken der nahe gelegenen Kirche begannen gerade ihr dunkles feierliches Geläute, als sechs von sieben Mietern aus ihrem vorweihnachtlichen Missmut gerissen wurden. Ein Ohren betäubender Lärm – von Leuten unter 20 manchmal auch Musik genannt – brandete aus dem Erdgeschoss durch das Treppenhaus hinauf in den 1. Stock, dessen Mieter verreist waren, vorbei an den zwei Paaren im 2. Stock bis ins Dachgeschoss, wo er – der Lärm – auf echte Kenner stieß. „Yellow Sabbath – Klasse!“
 
Der Krach schwämmte alles zwischen 19 und 70 hinunter ins Parterre, wo sie sich – je nach Temperament – zornig, fassungslos und geschockt beratschlagten.
„Jakob! Das kommt von Jakob.“
„Dieser Lümmel.“
„Gehen Sie am besten – Sie sind am ältesten“ wurde der Herr vom 2. Stock beauftragt, den Wurzeln des Lärms nachzugehen.
„Warum ich?“ wehrte dieser empört ab. „Wer weiß, welche Drogen er genommen hat!“
„Wir gehen alle!“
Seine Nachbarin, eine kühle junge Blondine klingelte Sturm an Jakobs Tür, die sofort aufgerissen wurde.
 
„Was ist?“ brüllte er.
„Die Musik ist so laut, ich verstehe Sie gar nicht. Kommen Sie doch rein – bitte!“
Er zog sie nach und nach in den Flur, wo sie stehen blieben und sich die Ohren zuhielten.

„Machen Sie die Musik aus, Jakob, sofort!“

„Warten Sie, ich mache erst mal die Musik aus. Setzen Sie sich doch.“
Geschickt drängte er seine Nachbarn auf das breite rote Sofa und in die tiefen schäbigen Sessel, die so leicht keinen mehr hergaben, den sie verschluckt hatten.
„Wir wollten doch gar nicht...“
„Sie sollten doch nur....“ stammelten sie nacheinander, was der junge Mann völlig ignorierte.
Sie blickten sich in Jakobs Wohnzimmer um und schluckten.
Die Dame vom 1. Stock hatte sogar Tränen in den Augen.
„Ach wie hübsch“ hauchte sie, senkte aber gleich darauf beschämt die Augen, als sie den Blick ihres Mannes bemerkte.

Ein Tannenbäumchen mit bunten Kugeln und einer Lichterkette aus vielen winzigen Lichtern stand vor dem Fenster.
An den Wänden hingen rot-goldene Girlanden und überall standen dicke Kerzen, die einen warmen Schimmer verbreiteten.

„Augenblick nur, ich mache etwas Musik, dann gibt es Punsch...“
„Nein, keine Musik“ brüllten seine Gefangenen wie aus einem Munde, als Jakob auch schon den CD-Player aktivierte und  „White Christmas“ erklang.

„Na ja, ein Glas Punsch kann ja nicht schaden“ lenkte der Herr vom Ersten gnädig ein und sein Frauchen kuschelte sich erleichtert tiefer in die Kissen.

„Ich habe früher alles in Silber geschmückt“ gab die Yuppie-Blondine vom Dachgeschoss zu.
„Ist lange her“ ergänzte ihr Gefährte hastig.
Aber auch seine Augen hingen wie gebannt an den bunten Kugeln, auf die flackernde Kerzenflammen bunte Lichter zauberten.

„Ich habe für meine Tochter auch immer einen bunten Baum gemacht“ kaute die Dame von Oben sehnsüchtig.

„Nur alles Fresserei, Geldschneiderei, Gefühlsduselei“ brubbelte ihr Mann und fügte hinzu:
„reich mir mal die Nüsse, Margret.“
„Ach, ich kann doch die Kekse holen, die ich gebacken habe.
Nicht weil Weihnachten ist“ entschuldigte sie sich hastig. Ich backe immer am Wochenende...“
Großzügig wurde ihr verziehen, dass gar kein Wochenende war und Margret durfte Kekse und Hühnerbeine anschleppen, was mit großem Hallo begrüßt wurde.

„Ich habe auch Kekse oben...“ „Nein, Lolita, nicht unsere Kekse....“
„Hanf“ flüsterte der Psy-Jünger aus dem Dachgeschoss Jakob zu. „Nichts für die breite Masse. Wenn meine Oma nicht die Miete bezahlen würde,....“ Sehnsüchtig seufzte er, wahrscheinlich an seine wilden Kreuzberge Tage denkend.
„Für mich sind die auch nichts“ flüsterte Jakob zurück und ging für einen Moment hinaus.

Er kam zurück mit dem Arm voller Päckchen, gehüllt in glänzendes buntes Papier.
„Rot für die Damen und blau für die Herren“ meinte er und überreichte jedem eines davon.
Zigarren für den Herrn von Oben; Konfekt für dessen Lady. CDs für die beiden Hanfjünger und kandierte Früchte für Herrn und Frau Yuppie.

„Aber Jakob, wieso … Wir haben gar nichts…“ klang es verlegen durcheinander.
„Doch Sie haben was für mich! Sich!
Ich meine“ erklärte er „Durch Sie habe ich endlich ein richtiges Weihnachtsfest kennen gelernt. Das ist doch Grund genug – oder?
Außerdem macht es mir Spaß, wenn Sie sich freuen.“

Und sie freuten sich!

Und – wie alle nach vielen Stunden leicht besäuselt versprachen – waren sie bereit, sich im nächsten Jahr wieder so zu freuen – über richtige altmodische Weihnachten.


 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Florence Siwak).
Der Beitrag wurde von Florence Siwak auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.12.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Florence Siwak als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Nicht nur seelenverwandt: Kurzgeschichten in Episoden von Regina Elfryda Braunsdorf



Kurzgeschichten in zwei Abschnitten.
Im Abschnitt: die 12 heiligen oder rauen Nächte werden 12
Tages-Episoden von 12 Leuten aus diesem Zeitfenster erzählt.
Im zweiten Abschnitt trifft Elly ihre nervigenFreund:innen - eine Woche lang.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Weihnachten" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Florence Siwak

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Tiere sind doch bessere Menschen von Florence Siwak (Krimi)
schöne BESCHERUNG !? von Egbert Schmitt (Weihnachten)
Nach mir die Sintflut von Rüdiger Nazar (Wahre Geschichten)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen