Enno Ahrens

Uhr-ige Weihnachten

Mutters hölzerne Tischuhr, die ihren Platz auf dem Wohnzimmerschrank gehabt hatte, war kurz vor Weihnachten stehen geblieben und zwar just in dem Augenblick, als ein Löffelverbieger, eine Art Uri-Geller-Verschnitt, im Fernsehen experimentierte.

Nun war unsere Verwandtschaft heftig am Diskutieren, ob es sich um einen Zufall gehandelt hatte oder ob es tatsächlich diesem mysteriösen Medium zuzuschreiben sei. Das Uhrwerk zu reparieren lohnte sich jedenfalls nicht mehr.

Heiligabend waren Opa, Tante Adele und ich dann bei Vater und Mutter eingeladen. Ich brauchte noch ein Weihnachtsgeschenk für Mutter. Es lag auf der Hand, mich für eine Uhr zu entscheiden. Aber was würden Opa und Tante Adele tun? Ich besann mich darauf, als Einziger der Runde Schachspieler zu sein, und die denken ja bekanntlich weiter. Die anderen würden vielleicht überlegen, eine Uhr zu wählen, dann aber sicher darauf verzichten, um der Peinlichkeit aus dem Wege zu gehen, ein zweiter oder gar dritter könnte gleiches tun. Also würde ich gerade deswegen eine Uhr schenken. Ein Schachspieler denkt eben weiter.

Exklusiv im Privatfernsehen wurde eine Porzellantischuhr angeboten, mit puttenähnlichen Figuren und feinem Goldrand verziert. Das gute Stück war originalgetreu einer berühmten Uhr aus dem siebzehnten Jahrhundert nachgebildet und in einer limitierten Auflage erhältlich. Ich war begeistert. Das musste genau das Richtige für Mutter sein. Ältere Leute mögen so etwas.

Heiligabend, wir sangen ein paar Weihnachtslieder, dann öffneten wir die Geschenkpakete. Vor Mutter standen drei Pakete gleicher Abmessungen, eins von Opa, eins von Tante Adele und eins von mir. Mutter packte eine Uhr nach der anderen aus, jede mit denselben wundervollen puttenähnlichen Verzierungen.

Zuerst schauten wir uns untereinander ziemlich betreten an. Aber als Vater anfing schallend zu lachen, trugen wir es mit Humor. Und ich gelangte zu der Erkenntnis, dass auch Nicht-Schachspieler weiter denken können.

Wir trösteten Mutter, falls ein Uhrwerk nicht mehr exakt funktionieren sollte, hätte sie ja Ersatz. Die Uhr von mir wurde eingelagert, die von Adele bekam ihren Platz auf dem Flur und die von Opa auf dem Wohnzimmerschrank, wo die alte Tischuhr gestanden hatte.

Nach einem halben Jahr gestand Mutter mir, dass sie Porzellanuhren mit Putten kitschig fände, außerdem passten sie nicht zu ihren Möbeln. Sie verbannte sie an unscheinbare Orte in Bügelzimmer und Speisekammer. Nur wenn Opa oder Tante Adele ihren Besuch ankündigten, wanderten die Uhren geschwind auf ihre auserwählten Plätze. Ich fragte Mutter, ob ich die ungeliebten Uhren nicht auf dem Flohmarkt veräußern solle. Das lehnte sie entschieden ab, denn man dürfe keine Geschenke verhökern. Außerdem wären Opa und Tante Adele untröstlich gewesen.

Ungefähr drei Jahre gingen ins Land und die Uhrwerke der Porzellanuhren funktionierten nach wie vor mit beängstigender Präzision. Mutter befürchtete, sie würden ewig halten. Auf mein Drängen hin brachte Mutter die unverwüstlichen Zeitmesser endlich zum Trödler in die Geibelstraße. Der Verwandtschaft schwindelten wir vor, Mutter hätte die Uhren mit einem Spezialpflegemittel gereinigt und auf den Terrassentisch zum Trocknen gestellt. Dummerweise hätte ich an eines der Tischbeine meinen bulligen Rottweiler Bonzo angebunden, der bei der spontanen Verfolgung des Briefträgers den kleinen Tisch mitgerissen habe. So seien die Uhren jäh auf den Fliesen zerschellt.

Opa und Tante Adele meinten, so ein Missgeschick könne auch nur mir passieren mit meiner mangelnden Umsicht. Aber ich ertrug geduldig ihren Spott, hatte ich doch Mutter eine große Bürde genommen.

Heiligabend stand abermals vor der Tür. Diesmal kamen nur Opa und ich auf Besuch bei Vater und Mutter. Tante Adele musste mit ihrer Familie feiern. Ich wollte den leeren Platz auf dem Wohnzimmerschrank ausfüllen. Mutter zeigte mir eine Holzuhr in einem Katalog, die ihr gefiel und in deren Stil ich ihr eine schenken sollte. Opa war an jenem Heiligabend bereits morgens eingetroffen und begleitete mich in die Stadt, um ebenfalls noch ein Geschenk zu besorgen. Wir trennten uns bald im gegenseitigen Einvernehmen. Keiner sollte sehen, was der andere für Geschenke erwarb. Wir legten Wert auf Überraschungen.

Vater ließ abends den Tannenbaum im Lichterglanz erstrahlen. Wir sangen dazu, wie jedes Mal. Dann öffneten wir die Präsente. Mein Geschenk, eine schöne hölzerne Tischuhr, packte meine Mutter als Erstes aus. Sie bekam sofort den zentralen Platz auf dem Wohnzimmerschrank. Opas drei Geschenke mit mir vage vertrauten Abmessungen, packte Mutter als Nächstes aus. Im Nu standen drei gleiche Uhren aus Porzellan mit Putten vor ihr auf dem Gabentisch, die einmal in limitierter Auflage im Privatfernsehen offeriert worden waren. Opa triumphierte stolz. Er hätte möglicherweise die drei letzten Exemplare, die es auf dem ganzen Globus noch käuflich zu erwerben gegeben hätte, erstanden, und der Trödler in der Geibelstraße hätte ihm nicht gerade einen billigen Preis gemacht. Aber für Mutter sei ihm kein Opfer zu groß, und ich solle mich tunlichst von diesen Wertanlagen fernhalten.

Mutter machte indes ein Gesicht, als ob sie sich nicht schlüssig war, ob sie vor Verzweiflung lachen oder weinen sollte. Seitdem stand immer eine jener Porzellanuhren in der Glasvitrine im Esszimmer und ich hatte zuweilen das Gefühl, als grinsten die Putten mich hämisch an.

*

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.06.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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