Ingrid Armstrong-Boehk

WEIHNACHTSERINNERUNGEN

(Eine Immigrantengeschichte der fünfziger Jahre)

Helga starrte mit ausdruckslosem Gesicht und verlorenem Blick durchs Fenster. Ihre Mutter bobachtete sie besorgt und wusste genau: das Kind hatte mal wieder Heimweh.
`Ist ja auch verständlich,' dachte Frau Schmidt. ‘In einem fremden Land wo man die Sprache nicht verstand, zwölftausend Kilometer entfernt von der alt-vertrauten Umgebung, und ganz ohne die Freunde die man einmal hatte, das muss für so ein junges Mädel wie Helga besonders schmerzhaft sein. Es ist ja ganz natürlich dass die Einwanderer hier in Australien öfters mal heimwehkrank sind. Sie selbst dachte auch noch sehr oft an das alte Zuhause, aber was solls? Die Nachkriegsjahre waren wirklich nicht leicht und man wollte doch seinen Kindern eine bessere Zukunft verschaffen. Man muss sich halt damit abfinden und das beste aus allem machen.'
Aber etwas musste sie tun um die Kleine aus der trüben Stimmung in der sie sich zu oft befand wieder heraus zu locken.
"Du, Helga," sagte sie nun, "ich moechte heute gerne einpaar Weihnachtsplätzchen backen, aber mir fehlen noch einige Zutaten. Könntest du sie mir bitte besorgen?"
Das Mädchen drehte langsam den Kopf vom Fenster als ob sie gerade aus einem Traum erwacht wäre. "Wozu?" murmelte sie mit den gleichen traurigen Augen die sie letztes Jahr schon vor der ersten Weihnacht hier hatte. "Es fühlt sich doch gar nicht an wie Weihnachten. Schau doch mal aus dem Fenster." Sie deutete auf das Stück Feld hinter der Mietswohnung. "Sieht das etwa wie Weihnachten aus? Ich wette dass es jetzt daheim schon schneit." Ihr Blick wanderte wieder durchs Fenster über das sonnenverbrannte Gras und die drei Kühe die vergebens unter dem ausgetrockenetem Skelet eines Baumes nach Schatten suchten. "Ach, Mutsch, wie gerne möchte ich jetzt daheim durch den Schnee stapfen und den Duft der Tannenbäume im Wald geniessen," seufzte sie und wünschte sich von ganzem Herzen dass ihr plötzlich Fluegel wachsen würden um weit über die Meere zu fliegen..
"Ich doch auch, mein Kind," beruhigte Frau Schmidt ihre Tochter, "aber wir sind nun mal in Australien und kännen das nicht ändern."
Helga antwortete nichts darauf und träumte weiter. "Weisst du noch wie wir zur Mitternachtsmesse gingen?" fragte sie, "und wie schön die Kirchenglocken läuteten? Und überall wurden Weihnachtslieder gesungen? Hier feieren die Leute als wenn ein Clown Geburtstag hätte anstatt Gottes Sohn. Letztes Jahr hatten die Nachbarn zu Weihnachten bunte Luftballons aufgehängt und einen plastischen Christbaum auf der Terrasse stehn. Und Würstchen hatten sie im Garten gegrillt. Und Bier dazu gesoffen. Und laut gequatscht und gebrüllt. So feiert man doch keine Weihnachten, Mutsch." Sie sah ihre Mutter so vorwurfsvoll an als ob diese daran schuld wäre. "Und ausserdem," fuhr das Mädchen fort, "ist doch die Jahreszeit hier ganz verkehrt. Wie kann denn da ein Mensch in Weihnachtsstimmung geraten? Heute haben wir mindestens 38 Grad im Schatten. Die Kinder von nebenan laufen in Badehosen rum. Also wirklich, Mutsch, nach Weihnachten ist es mir garnicht zu Mute."

“Das glaube ich Dir gern, mein Kind," sagte Frau Schmidt. “Mir geht es doch auch nicht anders." Auch sie hatte während Helgas Schilderungen schmerzlich an die alte Heimat gedacht. Vor ihrem geistigen Auge sah sie glitzernde Eiszapfen an schneebedeckten Dächern hängen, und den warmen Glanz brennender Kerzen hinter frostverzierten Fenstern. Sic konnte sogar den Christbaum und das schmelzende Wachs der kerzen riechen, und den appetitlichen Geruch von gebratenen Äpfeln und einer Weihnachtsgans. Und die Sehnsucht nach all dem das einmal war, schien sie fast zu ersticken. Trotzdem, sie musste realistisch bleiben und sich, wie auch ihre Tochter, aus dieser Melancholie herausziehen. "Also geh schon, Kind," sagte sie nun etwas zu forsch, "ich brauche noch Butter und einpaar Eier. Egal wie heiss es draussen ist und egal wie andere Leute das Weihnachtsfest feiern, wir bleiben bei unserer Tradition. Nächste Woche ist Heiligabend. Nachher kannst Du das Plastik Bäumchen fertig schmücken und die elektrischen Kerzen anschalten. Und zu Heilig Abend machen wir dann den Ventilator an, das Licht aus, singen Weihnachtslieder und essen uns satt mit Weihnachtsplätzchen, Nüssen und den Äpfeln die ich noch im Backofen braten werde. Aber jetzt musst du dich beeilen denn die Geschäfte machen in einer Stunde zu."
"Ich kann mich aber doch kaum in englisch verständigen, Mutsch," meinte Helga klenlaut als sie sich vom Stuhl erhob.
"Macht nichts. Dann deutest du eben." Damit gab Frau Schmidt ihrer Tochter einen gutmütigen Klaps auf den Hintern und schob sie sachte zur Tür hinaus.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.12.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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