Donata Frank

der neugierige Tannenbaum

Der neugierige Tannenbaum

Jedes Jahr kurz vor Weihnachten fuhren die Dorfbewohner, Kinder Mütter und Väter, auf ihren alten hölzernen Pferdeschlitten in den angrenzenden Wald und hatten sehr viel Freude daran, sich einen kleinen oder mittelgroßen Christbaum auszusuchen, um ihn mit nach Hause zu nehmen.
Die Pferde stampften schnaubend durch den frischen, weichen Neuschnee., als wollten sie mit ihrem warmen Atem dem schlafenden Tannenwald Leben einhauchen. Die Glocken an ihrem Geschirr durchbrachen mit ihrem Gesang die winterliche Stille.
Das Lachen der Kinder, der Frauen und Männer drang in das Herz des Waldes und es hörte sich an, als würden die Bäume es erwidern.
Im Herzen des Waldes, umringt von riesigen und mittelgroßen Tannen , stand eine winzige Tanne und lauschte wieder einmal die alten Geschichten, welche die riesigen Tannen, die zu mächtig für die gute Stube waren raunten.

Wieder einmal, wie jedes Jahr zur gleichen Zeit erzählten sie, dass die gefällten Tannen an einen warmen Ort gebracht werden, den die Menschen ihr “Zu Hause” nennen.
In der warmen Stube, werden dann ihre Zweige mit der hand geglättet und der schmerzende Stamm in einen Eimer mit frischem Wasser gestellt. Jung und alt, von Kind bis Greis versammelten sich die Menschen fröhlich um den Baum und schmückten ihn mit Strohsterne, Lebkuchen, Glaskugeln, bunte Spiegelornamente und Lametta. Auf die ausgebreiteten Arme des Tannenbaumes, setzten sie Kerzen.
Der Tannenbaum bekam einen Ehrenplatz in der Wohnstube und wurde immer wieder staunend, mit besonderem Glanz in den Augen betrachtet.
Die alten Bäume erzählten noch, dass die Menschen singen und feiern würden.
Schon seit ein paar Jahren wartete der kleine Tannenbaum, dass der Frühling, der Sommer und der Herbst wie im Flug vergingen und der Winter endlich kam. Wenn er den ersten frostigen Mantel über seinen Zweigen spürte, ging ihm das Herz auf vor Hoffnung.

Jedes Jahr sah er, wie die Erwachsenen seine Geschwister fällten, während die Kinder sich rückwärts in den Schnee warfen, die Ärmchen ausbreiteten und Engelchen in die weiche Schneedecke hineindrückten .
Irgendwann waren fast alle seine mittelgroßen Geschwister rings um ihn fort. Der Frühling setzte ihm Knospen auf die Zeige, im Sommer streichelte ihn die Sonne , im Herbst wusch ihn der Regen und er wuchs mehr als je zuvor.

Dieses Jahr biss der kalte Nordwind in seine Zweige und der Winter legte seinen Frostmantel darüber.
Schneebedeckt stand er da und beobachtete die Pferdeschlitten, die fröhlichen Kinder, die lauten Frauen und Männer, wie sie an ihm vorbeizogen.
Der Tannenbaum richtete sich auf um größer und schöner zu wirken. Die Sehnsucht rauschte in seinen Zweigen. “Ich will mit euch mit!”
Der Pferdeschlitten hielt an. Die Kinder stapften durch den Schnee auf den Tannenbaum zu Ein kleines Mädchen mit winterroten Wangen und frechen Augen rief:
“Sehr her wie niedlich dieser Christbaum ist! Genau richtig für uns.”
Der Vater schüttelte den Schnee von den Zweigen, holte die Axt vom Schlitten und schlug die scharfe Klinge in den Stamm.
Der junge Tannenbaum wiegte sich vor Schmerzen. Tränen tropften aus der Wunde als er in tiefe Ohnmacht fiel und in den Schnee stürzte.
Die Menschen hievten ihn auf den Schlitten und banden ihn darauf fest. Als der Tannenbaum aufwachte, hörte er Kinderlachen und es fiel ihm dann ein, dass er etwas Besonderes sein wird. Der Schmerz ließ nach und Hoffnung durchzog seine Zweige.

Als sich die Dunkelheit über das Dorf senkte und der Himmel sternenklar darüber wachte, hielt der Schlitten vor einem alten Bauernhaus an.
Eine alte Frau und ein alter Mann kamen heraus, um den Christbaum zu bewundern.
“Oh, wie schön der ist!“, rief die Frau.
“Er hat sehr schöne Äste und Zweige. Ein besonders schöner Baum haben wir dieses Jahr.” stellte der alte Mann fest.
“Oh, wie herzlich mich die Menschen willkommen heißen!” staunte der junge Tannenbaum. “Hier waren bestimmt einige meiner Geschwister zu Gast.”

Als die Lichter im Haus der Reihe nach ausgingen und die Kinderstimmen verstummten und es still um ihn herum wurde, sehnte er sich nach dem sternenklaren Nachthimmel.
Ein winziges Stück davon, entdeckte er als er zum Fenster hinaus sah.
Und wieder stieg die Hoffnung etwas Besonderes zu werden in seine Zweige. Mit diesem Gedanken fiel er in einen tiefen Schlaf.

Am nächsten Morgen wurde er noch vor Tagesanbruch geweckt. Kinder und Erwachsene trugen Kartons und Kisten. Drinnen lag kunstvoll geformter Baumschmuck, Lametta, Girlanden und wunderschön geformte Kerzen.
Der Baum hielt den Atem an, als er damit geschmückt wurde. Und dann. als eine Kerze nach der anderen angezündet und auf die Zweige gesetzt wurde strahlte er bis in die Nadeln.
“Oh, das ist wirklich genau so wie die alten Tannen es im Wald beschrieben haben.” staunte er.
“Und noch viel, viel schöner!”
Er steckte seine Zweige noch weiter aus, richtete sich auf, damit er stattlicher wirkte.
Als das kleine Mädchen vom Großvater hochgehoben wurde, um an seine Spitze einen riesigen goldfarbenen Stern zu befestigen, war der Tannenbaum glücklich wie noch nie in seinem Leben.

In jener besonderen Nacht , während die Kinder schliefen und der Christbaum ebenso eingenickt war und der große Stern mit dem hellen Stern, der durchs Fenster schien liebäugelte, schlichen sich die Erwachsenen in die gute Stube und legten kleine und große Geschenkpäckchen und die handgefertigte Krippe unter den Baum. Der Christbaum legte ein paar seiner Zweige auf das Strohdach, so als würde er die heilige Familie beschützen wollen. Alle Geschenke waren in schönem bunt glänzendem Papier eingewickelt und mit ebenso bunten Stoffresten verziert.
Auf den Tisch stellten sie eine Schale mit Äpfeln, Nüssen und Orangen. Am Fuße des Christbaumes stellten sie die handgefertigte Krippe auf .


Am nächsten Morgen wurde der Baum von zarten, dünnen Kinderstimmen aus dem Schlaf gerissen.
“Oh, wie schön!” staunten sie laut.
Emsig, mit strahlenden Augen rissen sie ihre Päckchen auf. Sie rissen Lebkuchen, Nüsse und Äpfel vom Baum und der Baum raschelte glücklich mit den Zweigen.
Das alte Jahr verabschiedete sich und der Baum stand in voller Pracht auf der Schwelle des neuen Jahres. Der große Stern hing nun schräg über seiner Spitze. Dennoch fühlte er sich als der glücklichste Baum der Welt.
Am Abend des heiligen Drei-Königstages wurden ihm der Christbaumschmuck abgenommen und in Watte gelegt. Die restlichen Lebkuchen und Nüsse wurden im von den Zweigen gerissen.
Mitgenommen, mit hängenden Ästen und struppigen Zweigen stand er da mitten und der guten Stube und verstand die Welt und den Menschen nicht mehr.

Der Vater zerrte den Christbaum unsanft durch den Türrahmen und warf ihn in eine Ecke vor dem Holzschuppen im Hinterhof.
Entsetzt schrie der Baum auf. “Ich friere, denn meine Äste und Zweige sind ausgetrocknet und meine Nadeln verliere ich schon!” Er fühlte sich in alle Zweige hinein, um zu spüren ob etwas gebrochen war.
“Wie schrecklich die Menschen sind!” klagte er. “Was habe ich denn Schlimmes getan, dass man mich an so einem kalten, verlassenen Ort hinschmeißt?” haderte er mit seinem Schicksal.
“Ich habe nur die Kinder erfreut und sie zum Staunen gebracht,”

Niemand aber hörte ihn. Und so blieb der Tannenbaum viele Tage und Nächte vor dem Holzschuppen liegen.
Eines Nachts sah der Baum zwei gelbe leuchtende Punkte und dies waren ein paar Katzenaugen. Eine streunende Katze suchte eines Nachts Unterschlupf unter seinen ausgetrockneten Ästen.
Schützend legte er ein paar Zweige auf ihren kleinen grau getigerten Körper. “Oh, mein liebes Kätzchen, weißt du vielleicht wann man mich hier abholen wird?” raunte er der Katze zu.
“Ha, ha, ha,” lachte die Katze. Sie zitterte vor Kälte, als ihr Samtpfötchen über seine rauen Nadeln strich. “Alles, lieber Baum, das Gute wie das Schlechte hat seine Endlichkeit.”
“Diese schöne Zeit, darf doch kein Ende nehmen!” rief der Baum erschrocken.
“Ja,” sagte de Katze und strich ihm sanft über die Nadeln. “ Neues folgt immer dem Alten!”
Die Katze kletterte unter die Äste und schlief ein. Der Baum beschützte sie vor dem eisigen Frost.

Am Morgen darauf hörten sie schwere Schritte auf sie zukommen. Die Katze sprang unter dem Baum hervor.
“Lebewohl lieber Baum!”
Ehe der Baum antworten konnte, wurde er unsanft gepackt und auf einen alten Stumpf geschmissen. Er sah eine riesige Axt und zwei starke Männerarme über sich und auf sich niedersausen. Er schrie entsetzt auf, spürte einen heftigen Schmerz und zersplitterte.
Als er aus seiner Ohnmacht erwachte, fand er sich in einer Ecke der guten Stube wieder. Er hatte zwar kein Nadelkleid mehr und seine Arme und Finger lagen auf einem Haufen.
Er erkannte die alten , die jungen Leute und die Kinder wieder. Alle saßen nun dicht vor dem Feuer mit seinen prasselnden Holzscheiten im Kamin.
Trotz seines Schmerzes, musste er über die Liebe, die alle miteinander verband lächeln.
Der alte Mann stand auf, legte ein Tannenzweig in das Feuer. Als die Flammen immer tiefer in seinen Herzkern vordrangen, begriff er, dass eine seiner wichtigsten Aufgaben darin bestand, Menschen Wärme zu spenden. Von innen durch Liebe zu wärmen und von außen durch Liebe gewärmt zu werden- ein immer wiederkehrender Kreislauf der Liebe.
Er brannte heller und stärker. “Oh, ich wusste es, dass ich vor Liebe brennen kann und somit Menschen Wärme schenke!” rief er und sein Holz zersprang in den Flammen und sprühte Funken.
Nacht für Nacht, Tag für Tag, gab sich der Tannenbaum diesem Feuertod hin. Er war zufrieden und brannte bis irgendwann nichts mehr von ihm übrig blieb, außer seine Asche unter dem Kaminrost.

Die alte Frau nahm die Asche sehr sorgfältig mit ihren weißen knochigen Händen von der Feuerstelle auf, dann schüttete sie alles in einen Beutel und hob ihn auf bis der Frühling kam.

Am ersten warmen Frühlingstag, nahm der alte Mann den Beutel mit der Asche des Tannenbaumes und streute sie über das Feld und düngte damit die Fruchtstöcke. Liebevoll arbeitete er die Asche unter die warm gewordene Erde.
Der Frühlingsregen wechselte sich mit der Sonne ab. Die Sonne wärmte die saatreiche Erde. Eines Tages spürte der Baum, wie sich alles unter ihm zu regen begann.
Durch seine Asche hindurch traten aus dem Boden winzige Keime.
Der Baum lächelte glücklich.
“Oh, ich habe es gewusst, dass ich lichterloh brennen kann , um Wärme zu schenken, dass ich zu Asche zerfallen und doch neues Leben hervorbringen kann.
“Von allen Dingen die vergehen und wieder neu entstehen, ist die Liebe, nur sie allein, das einzige was immer, immer fortbesteht.
Uns so lag der Tannenbaum unter dem Sternenhimmel, im Schoß der lebensreichen Erde und wärmte alle Samenkörner, alles Keimende und alle Wurzeln mit seiner Asche. In dieser wundersamen Erde, aus der er einst gekommen und wieder zurückgekehrt ist, schlief er tief und fest und träumte von etwas was größer und stärker ist als alles - die Liebe.

©zeitlos 2007


Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Donata Frank).
Der Beitrag wurde von Donata Frank auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.12.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Donata Frank als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Dicke Enden von Volker König



Einen Augenblick hatte die Welt ganz anders ausgesehen ... Tiefer, einfacher.
Ein Adventskalender mit 358 Türchen, ein Prost! in die Weiten des Alls oder ein Pfirsich, der nach dem Sinn des Lebens sucht.
Eine haarsträubende Sammlung aus Texten und Zeichnungen, der man gelassen entgegenblicken sollte.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Weihnachten" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Donata Frank

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Flirt mit dem Mond von Donata Frank (Besinnliches)
Elina, kein Tag wie jeder andere von Adalbert Nagele (Weihnachten)
Meine Bergmannsjahre (siebter Teil) von Karl-Heinz Fricke (Autobiografisches)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen