Jessica Fischer

Geliebter Weihnachtsabend

Manchmal kommen Momente, in denen man klar sieht. Manchmal kommen Momente, in denen man sich selbst liebt, oder in denen man sich hasst. Eines haben alle diese Momente gemeinsam: sie kommen zu Weihnachten.

Ich weiß nicht, ob ich dabei allein bin, aber dafür hasse ich Weihnachten. Weihnachten wurde geschaffen für glückliche Familien. Für Menschen, die andere Menschen haben. Nur eine Sache wurde dabei nicht bedacht: Was ist mit Menschen ohne Familie? Was ist mit Menschen in der Schwebe, mit modernen Zigeunern? Ich frage also: Was ist mit mir?

Mir stellt sich dann automatisch die Frage, ob ich Freunde habe. Hmm… eine schwere Frage. Vielleicht bin ich in letzter Zeit zu oft umgezogen, vielleicht ist zuviel im letzten Jahr passiert. Ich bin kein Mensch des Stillstandes, aber ich fürchte, ich habe eine Sache aus dem Jahr 2008 gelernt: Zuviel Veränderung ist auch nicht gut. Freunde haben mir das Messer in den Rücken gerammt. Wie ich das hasse. Da lieber ein ordentlicher Schlag ins Gesicht als ein Messer im Rücken. Mir ist nicht viel geblieben. Meine Familie habe ich schon lange vorher verloren. Meine Freunde waren über Jahre meine Familie. Doch nun haben sie mich hintergangen und ich habe sie dafür verbannt, für diese bodenlose Unmenschlichkeit ohne Grund. Ja, das war das, was mich am meisten getroffen hat: dass sie es grundlos taten. Sonst könnte ich es vielleicht verstehen und bereuen, aber so? Ich habe also weder Familie, noch Freunde. Aber ein Zuhause werde ich doch haben? Verzeihung, aber bei dem Gedanken muss ich lächeln. Ein weiser Mensch sagte einmal: „Zuhause ist da, wo dein Herz ist.“ Ich habe kein Zuhause, nur einen Ort, an dem ich schlafe, und selbst dieser Ort ändert sich oft genug. Es tut weh, nirgendwo Zuhause zu sein. Dabei bin ich schon oft genug umgezogen, immerzu auf der Suche danach und verbissen danach bestrebt, es mir als ein Zuhause einzurichten. Ein warmer Ort mit Wärme, Geborgenheit, Liebe. Stattdessen habe ich mir dieses Jahr das schrecklichste Zuhause eingerichtet, was nur möglich war: voll Trostlosigkeit, ohne Hoffnung, Kälte, Einsamkeit und mit dem stetigen Lächeln zur Außenwelt, den trockenen Tränen hinter müden Augen. Wie jedes Jahr versuche ich, Weihnachten ausfallen zu lassen, aber das lässt die Welt nicht zu. Meine restlichen Blutsverwandten bestehen wieder darauf, mich bei sich zu haben. Also wieder Weihnachten in schwarz, und wieder alle Trauerfeiern der geliebten Verstorbenen an Heiligabend wiederholen. Wie ich das hasse, inzwischen ist es eine althergebrachte Tradition. Alte Videobänder anschauen, den alten Zeiten nachtrauern, den Verlust tränenreich begießen. Und im Hintergrund „Süßer die Glocken nie klingen“. Bei unseren Familienfesten sollte es „Bitterer die Glocken nie klingen“ heißen. Nach diesem ‚besinnlichen’ Fest geht es wieder nach Hause, zurück in die Einsamkeit, auf dass das Messer im Rücken heißer und versengender glühen kann als je zuvor. Jeder Mensch ist im Herzen allein, jeder kämpft für sich selbst, jeder ist sich selbst der nächste. Doch all diese bekannten Phrasen des Lebens können zu Weihnachten nicht trösten. Ich bin allein und werde es bleiben, weil es keine wahren Freunde gibt, es gibt keine Hoffnung, keine süßen Glocken, kein warmes behagliches Zuhause – es gibt nur den bitterkalten Winter und die Einsicht, sich allein durch den Nebelschleier des Lebens zu tasten.  

 

man sollte sich dazu folgendes anhören:
http://de.youtube.com/watch?v=Sr64NI33qUo
Jessica Fischer, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.12.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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