Gaby Wehr

Das 9. Türchen


                                                Das   9.  Türchen

Morgen ist  Advent .  Ein  Zauberbild  hat die Mutter für die kommenden   24 Tage vor
dem  Fest  für mich aufgehängt . Ein Bild voller Magie in tintenblau :
In der eiskalten Winternacht leise rieselnder Schnee über der verschneiten Dorfidylle.
Die Mondsichel baumelt am Nachthimmel  und wirft ihren fahlen Schein in die Weite
.Der Winterwald glänzt . Geduckte Holzhütten tragen im tiefen Schlaf ihre dicken
Schneemützen . Verschneite Pfade ,vom Mondlicht erhellt, führen an einem Stapel
Kaminholz vorbei , das wartend am  weiss gezuckerten Lattenzaun  lehnt . Sie führen
an schneebedeckten Kleingärten vorbei , in dem zwei hungrige Rehlein mit grossen
Augen den Betrachter anblicken .Heller Lichtschein dringt aus den
Häuschen  ins Dunkel hinaus  und taucht die Umgebung in warmes
Licht . Irgendwo träumt eine Katze auf dem Fenstersims ihren wohligen  Weihnachts-
Katzen - Traum .
Dort tanzen lustige Zwerglein mit roten Zipfelmützen auf flinken bestiefelten Beinchen
um einen festlichen Christbaum herum . Mit bunten Kugeln im Überfluss geziert ,funkelt
und strahlt er hell ;  und lässt auch mein Herz in froher Erwartung höher schlagen . Das
A l l e r s c h ö  n s t e  aber   ist der  Glitzerstaub  ! Silbrig liegt eine üppige Pracht von
Geklitzer und Gefunkel über dieser Winternacht .
Doch schon braust aus dem Hintergrund ein überdimensionaler Holzschlitten , mit
Päckchen  in schiefer Turmhöhe beladen , hervor. Nikolaus , ein dicker Mann im
hellroten Mantel eingepackt , Glühweinnase , Rauschebart . Seine kräftigen Hände
stecken in  Fellhandschuhen und erinnern so  eher an kleine ,buschige Murmeltiere.Er
friert nicht . Gütig lächelnd hockt er auf seinem schnellen Gefährt , die Rosse zügelnd,
eine gewisse Autorität nicht ganz verbergend . Sein Körperumfang ist beträchtlich .
Noch dazu sein Blick , den er jetzt direkt auf mich richtet .



So stehe ich am frühen Morgen des 1. Advent  noch barfuss vor dieser
winterprächtigen Verheissung : dem durchnummerierten Traum aus
Pappe,Seidenpapier  und Glitzerstaub . M e i n e m Adventskalender .



Mein Bruder steht daneben .Er bestaunt seinen Kalender .
Ich verweile  bei meinem Zauberbild , sehe mir  die liebevoll gestalteten
Details  meiner überzuckerten Dorfszenerie an,; lasse mich in eine süsse
Weihnachtsgeschichte einlullen . Sie befördert mich ,eh ich mich versehe , in einen
kurzweiligen Tagtraum ins Lala-  Land , bevor ich fröstelnd daraus erwache und vor
der Tür stehe .  Vielmehr vor 24  davon , die nur darauf warten geöffnet zu werden .
Sie springen  mich förmlich an und eine leise Stimme  flüstert mir  beschwörend zu :
“ Öffne mich . Öffne mich .” D a s  ist der Gewissenkonflikt , in den man unverschuldet
gestürzt wird  !
Zwölf Stunden hat der zähe Tag im Advent . Nach dem Aufstehen darf ich das 1. Türchen
endlich öffnen . Dann das 2 .Dann das 3........
Soweit befolge ich tagtäglich diese Spielregeln , sage ich mir . Aber wenn das so
weitergeht ,den lieben langen Tag dahinstarren zu müssen auf Türchen 4  .
Ich  nähere mich dem schneeweissen Refugium an der Wand um es anzutippen :  Halt ,warten
bis zum nächsten Morgen ! 
In Anbetracht einer verschlossenen Tür , hinter der sich eine Überraschung ,
verbirgt , lohnt sich das  Warten ,sage ich mir .

Der rote , dicke Typ aber auch !  Hockt da breitbeinig auf seinem Kufengefährt .
Zu faul zum Gehen stiebt er da herein, wo er garnicht hingehört !  Blickt
mir tief in die Augen . Was soll das ?!  Aber nicht mit mir  . Abschrecken lasse ich mich
von  d e m nicht .  Dennoch , warum schaut er mich so allwissend an ?   Die gewaltigen
Fäuste : Würgegriff ?    Die dicken ,roten Backen : Umpusten, beissen ?  Ich bin mir nicht
mehr so sicher ,wie das mit dem Grinsen von ihm gemeint ist .
Aus diesem Grunde halte ich mich an das  Spiel  ,übe mich im Warten auf jeden neuen
Morgen und gehe täglich weiter zu Tür Nummer 4  , 5 und 6  ,um bei Hausnummer  7 und 8
angelangt , endlich einen Entschluss zu fassen . Da prangt das Objekt der Begierde
und lockt mich hinter meiner Kaba-Tasse hervor  . Jetzt reicht’s !!!
Mein Plan steht fest :
Türchen laaangsam mit Fingernagel aus der Falzlinie lösen .Vooorsichtig muss das
geschehen ,um nur einen Spalt weit zu öffnen , reinschielen   u  n  d  wieder schliessen
Sobald ich alleine im Zimmer sein werde, passiert’s !




Hausnummer 9
Es ist soweit . Am knorrigen Fuss eines Baumes ist sie versteckt , meine Numer 9 ,die
ich soooo suche. Na, war wohl die Aufregung.  Die Erfüllung meines Glücks naht . Ein Moment
als öffne ich das Allerheiligste . Ich vermeide jeglichen Blickkontakt mit dem rotnasigen Kerl
im Bild oben . Als ob sie knarren würde , geht die Tür auf : Wuuunderschöööön   !   
Keiner stört die Stille ,als mir aus dem  Innenleben des Schreins aus Seidenpapier ein
inniges Bildchen erscheint : Die  knusprig braune Brezel . Ich lasse meinen Finger gleiten zu...

Hausnummer 20
böte sich alsdann an , aber soll ich nun ganz der Sünde verfallen ?!  Zu dem Aufseher
auf seinen Kufen schiele ich hoch . Versöhnlich und stabil ist seine Sitzhaltung . Er hat
also nichts gemerkt . Oh , ein Schaukelpferd .Nur noch die 11  jetzt . Dann ist Schluss ,
sonst rächt sich der  rote Wärter , der über seine ganze Türensammlung wacht, womöglich noch .
Was macht mein Zeigefinger mit mir ?

Hausnummer  11
Ein blaues Spielzeugauto .  Hm, das war jetzt enttäuschend . Was soll ich mit Autos ?!
Aber der ganze Zauber ist für Jungens und Mädels gemacht ,unisex  ,ich will nicht
unfair werden .  Hab eh schon Schuld auf mich geladen .Jetzt noch beschweren geht
garnicht . Daraus ergibt sich...

Hausnummer  13
Glänzend an den beiden oberen Rundungen der Herzform , spitz auslaufend zur
unteren Mitte hin . Dazu eine saftig -rote kandierte Frucht in der  Mitte . Das
Lebkuchenherz zum Reinbeissen .  The way of no return ....

Hausnummer  23
D i e  Puppe ( für mich ). Inbegriff aller Schönheit und Liebe mit blonden Zöpfen ,
weissem Rüschenblüs-chen .In ihren schwarz -glänzenden Lackschuhen ( ach, was
gäbe ich alles für ein solches Paar Lacklederner ..) steht sie in  blütenweisse Söckchen . Adrett und
brav ....    A  propos  b r  a  v  .  Davon entferne ich mich immer weiter . Sündig bin ich .
mea culpa ;und deshalb kommt’s nimmer drauf an ...

Hausnummer  15
Routiniertes Öffnen zeichnet mich aus. Ratsch, der Fingernagel . Gegendruck von
hinten . Sesam ,öffne dich ! Oh, der Stern von Bethlehem !



Da!  Eine bucklige Gestalt  hinterm Busch ! Ist dieser Oberweihnachtsrat also nicht
alleine unterwegs in der Landschaft  meines Kalenders . Dacht ich mir’s doch , dass mich da einer
beobachtet ! Der Handlanger des Chefs . Dass einem aber auch jede Freude an dem
lächelnden Kinderfreund der Vorweihnachtszeit gleich wieder jäh getrübt wird durch  diesen  Kumpanen .
Diese Folter-figur Knecht Rupprecht listigen Blickes mit voluminösem Jutesack . Schreck lass nach !
Es eilt  .Türen allesamt  schliessen ,wenn sie auch etwas windschief in der Um-Rah-
mung hängen jetzt . Versöhnlich bleibe ich ,indem ich eine gute Tat beschliesse :Ich ge-
lobe  allen  Verführungen  zu widerstehen  ,morgen und übermorgen  und .....  na ja . Damit
hebe ich mich durch Askese und Abstinenz von meinem neugierigen Bruder ab,der sich
am Morgen an den Ort des Geschehens stürzt ,seinen Kalender .I  c h    pausiere . Nein,
ich stehe über diesem Kinderkram und will garkeine Tür öffnen . So !
Stattdessen strafe ich den grinsenden Menschen auf seinem Flitzegefährt samt
Zechkumpel  hinterm Busch mit Verachtung ... bis zu  Hausnummer  werweisswieviel .

Und wie ich glaube meine Sünden durch den Verlauf der  Zeit  u n d  so mancherlei
guter Taten abgebüsst zu haben , stehen wir vor der 24 . Himmelstür . Weihnachten ist
da !  Wir singen in der Grundschule  “ Lasst uns froh und munter sein !”  und vertrauen auf
die Belohnung aller Kinder dieser Welt.  Ganz sicher bin ich mir ,die Beiden hatten
einen heissen Draht zum Christkind gehabt !   Sie haben sich nämlich übelst an mir
gerächt am Heiligenabend :  Handgestricke  Strickstrümpfe und Strickunterhosen in braun
aus dieser harten Wolle der 50ger Jahre .
EINE  einzige  kratzige Strafe .

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.11.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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