Evelyn Goßmann

Jonas und 'sein Weihnachtsmann'


 
In einer kleinen verfallenen Hütte am Waldrand wohnte ein kleiner, unscheinbarer alter Mann. Keiner kannte ich recht, niemand wusste wer er war, was er tat, woher er gekommen war, wovon er lebte. Es erschien jedem als sei er aus dem Nichts aufgetaucht.
Seine Kleidung war zerrissen, ein etwas zerbeulter, löchriger Hut saß keck auf seinen grauen struppigen Haaren. Er sah schon eher wie ein Landstreicher aus und hin und wieder stapfte er, einen alten Rucksck auf dem gebeugten, schmalen Rücken, und auf einen knorrigen Stock gestützt durch den Wald.
Da diese Hütte inmitten von Unkraut und Gestrüpp etwas windschief dastand, rankten sich ständig neue Geschichten um diese kleine, unscheinbare, etwas unheimlich wirkende Behausung und die seltsame Gestalt die dort offenbar wohnte und Schutz suchte.

Besonders die Jungen hätten gerne mehr über den seltsamen Gesellen erfahren und so entstanden im Laufe der Zeit immer mehr Geschichten um diesen Mann im Wald von dem keiner etwas Genaues wusste.
Inzwischen stand Weihnachten vor der Türe, und manchmal durfte Jonas mit in den Wald und freute sich wenn er dabei helfen durfte das Wild zu füttern oder eifrig versuchte Spuren lesen zu lernen.

Eines Tages hatte der Vater Jonas zurückgeschickt weil er etwas vergessen hatte und der Kleine war stolz dass der Papa ihm das allein zutraute. Schneeflocken tanzten vom Himmel, deckten den Waldboden rasch mit einer weißen Decke zu. Jonas sperrte den Mund weit auf um die weichen Flocken mit der Zunge aufzuschnappen. In dieses Spiel vertieft bemerkte der Junge kaum dass er nah an die Hütte des geheimnisvollen Mannes gekommen war und schrak zusammen als ihm das bewusst wurde. Dabei übersah er eine dicke Baumwurzel weil der Schnee alles zugedeckt hatte und schlug der Länge nach hin. Sein Fuß schmerzte und er konnte nicht gleich aufstehen. "Vater wartet, was soll er nur denken" sagte er sich, und versuchte es wieder und wieder, was ihm nach einigen Versuchen auch gelang. Schließlich schaffte er es und humpelte weiter um seinen Auftrag zu erledigen.
"Hey Junge, bleib mal stehen" hörte er da dicht hinter sich jemand leise sagen. Oder war es nur Einbildung, hatte er etwa Angst?

Inzwischen war ihm ja schon bewusst dass er ganz nah bei der halb verfallenen Hütte war. Vorsichtig, etwas zweifelnd schaute er sich um und bemerkte dann dass wirklich er gemeint war. Weit und breit war ja auch sonst niemand zu sehen. Dort stand der kleine alte Mann und winkte ihn zu sich heran. Er zögerte, wusste er doch um all diese Gerüchte um diesen Sonderling von dem man nichts wusste. Aber Angst zeigen? Nein, das wollte er nicht. So nahm er sein kleines, tapferes, laut pochendes Herz in beide Hände und wartete bis der Mann dicht neben ihm stand und ihm ein Büschel Kräuter unter die kleine, rotgefrorene kalte Nase hielt. Unsicher schaute der kleine Junge ihn an und fragte was er damit anfangen solle, und der kleine, unscheinbare stille Mann erzählte ihm mit sehr ruhiger Stimme von der Heilkraft und wie er es verwenden sollte. Mit großen Augen hatte Jonas zugehört, nahm etwas zögernd das Büschel an sich, bedankte sich artig und schaute dass er weiterkam.

Mit großer Verspätung kam er später wieder bei seinem Vater an und erzählte was geschehen war. Der schaute ihn unter seinen buschigen Augenbrauen lange an, nahm ihn schweigend bei der Hand und trat bald darauf mit ihm den Heimweg an.
In dem immer dichter werdenden Schneegestöber konnte man den Weg kaum mehr erkennen. Jonas Vater bog plötzlich vom gewohnten Weg ab und schlug den zugewachsenen Pfad zur alten Hütte ein was Jonas verwundert bemerkte, doch er schwieg. Der Vater klopfte an die morsche, schiefe, löchrige Tür und vernahm bald darauf schlurfende, sich nähernde Schritte.

Jonas war etwas unbehaglich zumute, und insgeheim fragte er sich was das werden sollte. Knarrend öffnete sich bald darauf die Tür um einen Spalt und das alte Männlein erstaunt über die beiden Menschen, forderte sie freundlich auf in die Hütte zu kommen um sich bei einem heißen Tee aufzuwärmen.
Mit Papa zusammen kann ja nichts passieren tröstete sich der Junge, aber er hat mir ja eben auch nichts getan sondern mir Kräuter für den verletzten Fuß gegeben, beruhigte er sich selbst. Bei all den Geschichten die man sich erzählte ohne Genaues zu wissen, war ihm doch etwas unwohl in seiner Haut.

Fast fühlte er sich in das Märchen von Hänsel und Gretel versetzt. Verwundert, staunend, und zunehmend interessierter blickte er sich in der bescheidenen Hütte um, die ihm plötzlich wie eine Zauberhütte erschien. Überall hingen von der Decke Büschel mit Kräutern herab und es duftete richtig gut in der armseligen Behausung. Nach einem ersten unsicheren Schnuppern an dem stark duftenden heißen Tee, wagte Jonas mal einen Schluck zu probieren, und leckte sich plötzlich genüsslich den kleinen Mund und bekam strahlende Augen. "Hmhm," sagte er überrascht und freudestrahlend, "der schmeckt ja wie Lakritze."
Der alte Mann zwinkerte ihm freundlich aus hellen, grauen, sehr wachen Augen zu. Dann erklärte er ihm und seinem ebenfalls staunenden Vater was er hineingetan hatte. Erzählte, welche Kräuter welche Krankheiten oder auch Verletzungen lindern oder Erkältungen heilen konnten und wie es dazu gekommen war, dass er nun hier allein und einsam in der Hütte lebte.

So kam es, dass diese drei Menschen die sich auf diese ungewöhnliche Weise begegnet waren, über den interessanten Erzählungen des alten Mannes bald die Uhr vergaßen, und sich nach der kurzen Zeit am Ende fast wie gute alte Freunde trennten.
Die Mutter hatte schon besorgt gewartet weil sie bemerkt hatte dass der Schneefall immer heftiger geworden war, und war sehr erleichtert als ihre beiden "Schneemänner" endlich wohlbehalten heimkamen.
Beide erzählten von der unverhofften, seltsamen Begegnung und dass es ein ganz kluger aber einsamer Mann war, der aus Not dort in der Hütte am Wald wohnte. Seine Familie hatte er durch ein großes Unglück verloren und schlug sich mit einfachsten Mitteln durchs Leben. Er wusste sehr wohl welche Märchen man sich über ihn erzählte, aber er war so gutmütig dass er das alles hinnahm und niemand zur Last fallen wollte. Deswegen sammelte er nun im Wald bestimmte Blüten, Kräuter und Beeren, stellte daraus heilsame Tees, Salben und Tinkturen her um so etwas Geld für seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

Die Mutter schüttelte immer wieder ungläubig den Kopf, und umwickelte den Fuß von Jonas nach Anweisungen des Waldmenschen mit dieser Kräutermasse. Sie konnte das Gehörte kaum glauben und wollte nicht recht an diesen ganzen Hokuspokus glauben. Der aufregende Tag hatte Jonas müde gemacht, und er ging schnell schlafen.
Am nächsten Morgen hüpfte er fröhlich in die Küche. Keine Spur mehr von Schmerzen am Fuß und nicht das geringste Humpeln war zu bemerken. " Siehst du Mama, das alte Kräuter-Männlein hat mir geholfen, der Fuß ist wie neu." Das musste auch die zuerst etwas misstrauische Mama zugeben, und der hinzukommende Papa brummelte freundlich dass man sich da wohl einfach etwas eingebildet hatte weil man den Mann nicht kannte der dort in der verfallenen Hütte am Waldrand wohnte. Er war schon sehr beeindruckt von der Geschichte des Mannes und auch dem Mut sein Schicksal so tapfer anzunehmen, und beschloss ihm zu helfen wie er Jonas geholfen hatte.

Eine Stunde später sah man Jonas mit dem Papa durch den Schnee stapfen, zwischen sich einen großen Korb voll der leckersten Sachen die die Mama eingepackt hatte, und einem dicken Rucksack der vollgepackt war mit warmen Sachen die er im Winter gut würde brauchen können.
Das Kräutermännlein bekam glänzende Augen vor Freude als es die beiden Menschen vom Vortag erkannte. Er war es nicht mehr gewohnt dass jemand ihn beschenkte und freundlich mit ihm redete, und die dankbaren, grauen, hellen, gutmütigen Augen füllten sich mit Tränen der Freude und Dankbarkeit.
Das war aber nicht alles was sich Jonas und seine Eltern ausgedacht hatten. Sie luden den bis dahin Fremden zu sich nach Hause ein, um gemeinsam Weihnachten zu feiern was dieser nach kurzem Zögern ungläubig staunend und dankend annahm. Offensichtlich war er sehr gerührt, zu lange hatte er menschliche Gesellschaft und Wärme vermisst.

So wurde aus einer ungewöhnlichen Begegnung eine dicke Freundschaft. Jonas lernte dass man Menschen erst kennen lernen muss um sagen zu können ob diese gute oder böse Absichten haben, und dass sie auch manchmal in Not geraten sein können ohne daran die Schuld zu tragen.
Er begriff, dass es Freude macht sich gegenseitig zu helfen und darüber glücklich zu sein, und wie schön es ist einen Teil dazu beitragen zu können.
Niemals mehr wollte er einfach über jemand urteilen von dem er nichts wusste, hatte er doch viel darüber lernen können in den letzen Tagen. Bald schon hatte er in dem alten Mann vom Waldrand einen tollen Großvater-Ersatz gefunden der ihm sehr lieb war und den er nicht mehr missen mochte. Sie wurden zu einer großen glücklichen Familie.

Der alte Mann konnte sein Glück kaum fassen, sah froh in die schimmernden Kerzen am Weihnachtsbaum, und holte lächelnd seine alte Geige hervor. Gemeinsam sangen sie Weihnachtslieder, aßen in der guten warmen Stube leckeren Braten und knabberten später noch wunderbar duftende Plätzchen.
Jonas hatte ihn gleich als Familienmitglied adoptiert. Der "neue Großvater" wie er ab da liebevoll genannt wurde durfte eine ganze Weile bei ihnen wohnen, denn das war längst nicht alles gewesen was man an Überraschungen vorbereitet hatte.
Der kleine Junge hatte seine Erlebnisse stolz seinen Freunden erzählt und all denen die immer so dumme Witze gemacht hatten weil sie nichts wussten über diesen alten Mann. Sie schämten sich nun und da Weihnachten war erklärten sich alle gerne bereit das gutzumachen indem sie helfen würden die alte, kaputte, zugige, baufällige und kalte Hütte am Waldrand neu aufzubauen.

Es war ein besonders glückliches Weihnachtsfest für alle. Im nächsten Frühjahr klopfte manches Mal eine Horde kleiner Jungen und auch Mädchen an die Türe und begrüßte den alten Mann wie einen alten guten Freund. Immer hatte er schöne, oft geheimnisvolle und daher besonders spannende Geschichten parat, erzählte über seine Kräuter oder spielte und sang mit den Kindern. Da die Hütte am Waldrand stand hing schon bald auch eine Schaukel am Baum, ein kleines Baumhaus wurde gebaut, und eine große hölzerne Bank auf der alle Platz finden konnten um seinen spannenden Erzählungen zu lauschen.

Bald konnte sich niemand mehr vorstellen dass sie nicht immer zueinander gehört hatten. Alle lebten fortan in glücklicher Freundschaft miteinander und lernten vieles das sie sonst nie kennen gelernt hätten.
Schnell waren sich alle einig: es war toll dass er nun einer der Ihren war,  und da das alles in der Weihnachtszeit geschehen war nannte man ihn nun liebevoll: "unser Weihnachtsmann".
Natürlich war er von nun an der Allerbeste, überall und zu jeder Zeit herzlich willkommen in jedem Haus, sein Rat wegen seiner Klugheit sehr gefragt und einer von ihnen, der fortan hochgeschätzt war.   
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.12.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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