Peter Somma

Arbeitslos

 

 

Anton war fünfundfünfzig Jahre alt und arbeitslos. Es war November,  er war geschieden, mit seinen Kindern hatte er kaum noch Kontakt, lebte in dem kleinen Dorf, das weitab von den Zentren des Landes lag, allein in dem Haus, das er von seinen Eltern geerbt hatte und saß in seiner schlecht geheizten Küche und wusste nichts rechtes mit sich anzufangen.

 

Noch vor elf Monaten war er in einer kleinen Baufirma angestellt, bei der er schon über zwanzig Jahre lang beschäftigt gewesen war, hatte gerne dort gearbeitet, seine Arbeit ohne zu murren verrichtet, hatte sich wohl gefühlt in dieser Firma, auch wenn es manches Mal schwer gewesen war und er in einem anderen Betrieb vielleicht mehr hätte verdienen können. Nie hatte er daran gedacht sich eine andere Arbeitsstelle zu suchen, denn er gehörte zur Firma, wie ein Gerät, das irgendwann einmal angeschafft worden war, war von seinem Chef stets geschätzt worden, hatte über die Jahre Freunde unter den Kollegen gefunden, und er hätte dort wohl ausgeharrt, bis er das Pensionsalter erreicht hätte und deshalb hatte es  ihn völlig unvorbereitet getroffen, als, nach den kurzen Ruhetagen zwischen den Weihnachtsfeiertagen, das völlig unerwartete Aus gekommen war. Die Firma hatte Konkurs angemeldet und er war plötzlich ohne Arbeit dagestanden.

 

Zwar waren schon längere Zeit Gerüchte laut geworden, und manches Mal hatte er auf die Auszahlung seines Lohnes warten müssen, aber es war dann immer irgendwie wieder weiter gegangen. Das war für ihn nie ein Grund gewesen, sich Gedanken zu machen, oder die Firma zu wechseln, denn er war nicht einer, der dem  Betrieb beim ersten kleinen Gegenwind, der ihm entgegen blies den Rücken kehrte, ihn im Stich gelassen hätte.

 

         Zunächst hatte er sich auch keine Sorgen gemacht, denn er wusste was er konnte, glaubte, dass seine Erfahrung auch anderswo gebraucht werden würde und rechnete sicher wieder Beschäftigung zu finden, zumindest dann, wenn der Frühling ins Land ziehen, und auf allen Baustellen die Arbeit wieder aufgenommen werden würde. Aber dann war Monat um Monat vergangen und es war eine Absage nach der anderen gekommen. Der Sommer war ins Land gezogen und er war immer noch ohne Arbeit geblieben. Da war ihm klar geworden, dass er zu alt geworden war, dass man ihn schon zum alten Eisen zählte. Dabei hatte er sich nie für alt gehalten, hatte auf der Baustelle die schwersten Lasten getragen, hatte sich stark genug gefühlt, auch die schwierigste Arbeit zu verrichten. Und jetzt musste er sich überall anhören, wo er sich vorstellte, er wäre zu alt.

 

Deshalb saß er nun, nachdem beinahe schon ein ganzes Jahr vergangen war allein in seiner kleinen Küche und Missbehagen machte sich breit bei ihm und weil er es nicht gewohnt war, seine freie Zeit ohne Beschäftigung zu verbringen, und er nun im Winter auch nicht allzu viel im Garten oder am Haus erledigen konnte, langweilte er sich.

 

         Aus Langeweile blätterte er wieder und wieder die Tageszeitung durch, und blieb immer wieder bei den Stellenanzeigen hängen, obwohl er sie sicher schon zehn Mal vergebens nach einem geeigneten Angebot durchforstet hatte. Er war nicht wählerisch und er hätte jede Arbeit angenommen, wenn sie ihm nur dieses Gefühl genommen hätte, überflüssig zu sein. Da war ihm dann eine Annonce ins Auge gesprungen, die ihm bisher entgangen war, weil er so etwas gar nicht in Betracht gezogen hatte. „Supermarkt sucht Weihnachtsmann“ stand da zu lesen. Er war Maurer und kein Weihnachtsmann, aber er stellte sich vor, dass es nicht so schwer sein konnte, für ein paar Wochen eine solche Maskerade auf sich zu nehmen.

 

         Der nächste größere Ort, den man leicht mit dem Fahrzeug erreichen konnte, lag am Eingang des abgelegenen Tales, wo eine Straße vorbeiführte, die  einen wichtigen Gebirgsübergang erreichte. Dort war über die Jahrhunderte eine schmucke, kleine Stadt entstanden, in der es zahlreiche kleine Geschäfte gab, die seit Generationen immer von den gleichen Familien betrieben wurden, die vom Vater auf den Sohn übergingen. Auch ein uriger, großer Gasthof, der früher einmal den Fuhrleuten eine Unterkunft bot, die die verschiedensten Waren über den nahen Pass transportierten, hatte sich dort niedergelassen und beherrschte den Platz, der das Zentrum des Ortes bildete. Und ausgerechnet dort hatte vor kurzem ein Lebensmittelkonzern einen Großmarkt errichtet, der so gar nicht in das übrige Ambiente passen wollte, wie ein Fremdkörper dort wirkte und seither den ansässigen Betrieben das Leben schwer machte.

 

         Als er sich dort meldete, wurde er zu seiner großen Überraschung tatsächlich genommen und so war er eben zum Weihnachtsmann geworden. Anfangs schämte er sich ein wenig für diese Beschäftigung, die in seinen Augen gar keine richtige Arbeit war und er fürchtete, es könnte ihn, den alle im Dorf kannten, trotz des Kostüms jemand erkennen und sich über ihn lustig machen. Aber er war froh einmal aus seinen vier Wänden herausgekommen zu sein und wenigstens ein bisschen Geld verdienen zu können.

 

         Er hatte die Aufgabe, bekleidet mit einem weiten, roten Mantel und einem großen Sack am Rücken an die Kinder Süßigkeiten und andere kleine Geschenke zu verteilen, die stets mit dem Schriftzug des Großmarktes geschmückt waren, damit sich die Familien der Kinder auch dann noch an den Namen des Kaufhauses erinnerten, wenn die Süßigkeiten längst schon verzehrt worden waren. Das war keine schwere Arbeit und er bemerkte dabei die Freude der Kinder, die ihn belagerten und auf ein kleines Präsent warteten. die Größeren stets ein wenig frech, die Kleinen ehrfürchtig und ein wenig ängstlich und schüchtern. Er sah die fröhlichen Gesichter und die staunenden Augen der Kleinen, wenn er ihnen eine Kleinigkeit aus seinem Sack überreichte und langsam sprang die Freude der Kinder auf ihn über und sein Leben als Weihnachtsmann begann ihm zu gefallen.

 

         Noch am Weihnachtsabend hatte er sich bis spät am Abend kalte Füße geholt und war in seinem lächerlichen roten Kostüm vor dem Kaufhaus auf und ab gegangen, aber dann hatte auch der Supermarkt zugesperrt, seine Arbeit als Weihnachtsmann war zu Ende und er nahm ein wenig wehmütig Abschied von dieser Tätigkeit, die er ursprünglich nur ungern angefangen hatte.

 

Heute war also Christtag, jetzt wurde kein Weihnachtsmann mehr gebraucht und er war wieder arbeitslos und in der Kirche wurde das weihnachtliche Hochamt gefeiert. An diesem Tag ging auch er in die Kirche, nicht weil er allzu gläubig gewesen wäre, nein eher, weil sich das einfach gehörte. Die Kirche war, wie immer zu solchen Anlässen, bis auf den letzten Platz besetzt, der ganze Ort war versammelt und selbst hinten beim Weihwasserbecken standen noch Leute.

 

         Er fand in der letzten Bank noch einen Platz und ließ sich ein wenig von der feierlichen Stimmung berühren. Ein kleiner Junge, er mochte vielleicht drei oder vier Jahre alt gewesen sein, konnte mit der Zeremonie vorne am Altar nicht viel anfangen, langweilte sich und schlenderte durch den Mittelgang, während der Priester am Altar die Weihnachtsmesse las. Irgendwann spazierte der Bub zum Weihwasserbecken zurück und zeichnete mit seinen ungeschickten Fingern ein Kreuz auf seine Stirne. Eine Weile blieb er dort stehen, dann tauchte er wieder seine Finger in das Becken, überlegte ein wenig, rannte dann ein paar Reihen nach vorne, wo seine Eltern saßen, und malte auch ihnen ein Kreuz auf die Stirne. Das gefiel ihm, denn jetzt hatte er eine Beschäftigung gefunden.

 

 Unermüdlich lief er nun nach hinten zum Weihwasserbecken, und wieder nach vorne und bot wahllos einem nach dem anderen, in den Bänken sein Weihwasserkreuzchen an. Bis er schließlich auch zu ihm kam und ihm mit seinen kleinen Fingern ein Kreuz auf die Stirne malte.                

 

        Als der Bub ihm sein Kreuzchen auf die Stirne gemalt hatte, da schoss es Anton plötzlich durch den Kopf. Lag da vorne beim Altar nicht das Christkind in seiner Krippe und feierten sie nicht heute die Geburt Christi, der alle Menschen erlöste?

 

        Dieses Kind, das ihn eben mit dem Kreuzzeichen gesegnet hatte, war ebenso wenig das Christkind, wie er der Weihnachtsmann war. Aber als es ihn mit seinem Kreuzchen gesegnet hatte, war es für ihn das Christkind geworden. Das Christkind, das in Wirklichkeit ein kleiner Junge war, hatte ihn, den Weihnachtsmann gesegnet, der doch in Wahrheit nur ein Maurer war! Nichts hatte sich in seinem Leben dadurch verändert; er war immer noch ein arbeitsloser Maurer, der geschieden von seiner Familie allein lebte und seine Kinder schon ewig nicht mehr gesehen hatte. Aber für einen Augenblick war auch für ihn Weihnacht geworden denn ihn hatte das Christkind in der Gestalt dieses kleinen Buben gesegnet. Ein wenig glücklicher als er eingetreten war, verließ er nach der Messe die Kirche. Diese Szene mit dem kleinen Buben hatte ihm wieder Hoffnung gegeben. Vielleicht wird er ja doch wieder Arbeit finden, vielleicht werden ihn heuer seine Kinder wieder ein Mal besuchen. Denn nach diesem Vorfall mit dem kleinen Jungen schien ihm wieder alles möglich.

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.12.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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