Ernst Dr. Woll

Ferkel unter dem Weihnachtsbaum

Meine 6jährige Urenkelin fragte mich: „Warum spielen die meisten Kinder lieber mit Hunden, Katzen, Wellensittichen, Hamstern, Meerschweinchen, Zwergkaninchen und sogar Mäusen als mit Kälbern oder Schweinen? Ich war auf einem richtigen Bauernhof, da haben mir die kleinen Schweine, die Ferkel, und die Kälber besser gefallen als die beiden Hofhunde, die an einer Kette angebunden waren und bellten so lange wir dort waren.“ Sie sagte weiter: „Ich wünsche mir Weihnachten ein Ferkel, die sind gar nicht so schmutzig, wie immer behauptet wird. Vielleicht kann ich das sogar mit in das Bett oder zumindest aufs Sofa nehmen und streicheln. Der Bauer hat gesagt, er würde uns eines verkaufen.“
Gern hätte ich die Beantwortung dieser Fragen ihren Eltern oder Großeltern übergeben, denn die sind mit den Verhältnissen der Neuzeit besser vertraut als ich, der sich jetzt gern an seine eigene Kindheit erinnert. Vielleicht erzähle ich dann dem Kind Sachen, die gar nicht mehr in die Gegenwart passen? Außerdem tragen die jungen Leute die Verantwortung für die Erziehung, in die ich mich nicht mehr einmischen will. Im Übrigen verbiete ich meiner Urenkelin auch nicht gern etwas, das sollen gefälligst die „Erziehungsverantwortlichen“ tun! Und ein Ferkel unterm Weihnachtsbaum, wo soll das hinführen – wollen wir unsere Wohnungen in Nutztierställe umfunktionieren? Ich kann mich auch noch nicht damit abfinden, dass heutzutage oft auf dem Balkon Tomaten und allerhand neumodisches Gemüse produziert werden – das alles gehört aufs Feld oder zumindest in den Garten. Auch gefällt es mir nicht besonders, dass in der Neuzeit manche Kinderzimmer in einen Zoo mit zahlreichen kleinen Heimtieren verwandelt werden.
Sei es wie es sei, ich musste meiner Urenkelin antworten und fand einen Ausweg, indem ich ihr eine Geschichte erzählte, in der auch einige erlebte Wahrheiten steckten. Vielleicht kann ich sie überzeugen ihren Weihnachtswunsch zu begraben:
„Du weißt, dass ich seit meiner Kindheit Tierschützer bin und später als Tierarzt bis heute manches sah und erlebte, wie vernünftig aber auch oft sehr unvernünftig, Leute mit ihren Tieren umgingen. Noch jetzt engagiere ich mich im Tierschutzverein, um darüber aufzuklären, wie man Tiere artgerecht hält und sie vor Misshandlungen schützt. Gern setze ich mich auch dafür ein, dass unsere Mitgeschöpfe solche sind und bleiben aber deshalb jedoch nicht „vermenschlicht“  werden; das gefällt den Tieren nicht!“
Ich merkte: Meine Einleitung war zu lang – in der Kürze liegt die Würze! Ich kam deshalb zum Kern:
„Vor einigen Jahren riefen Bewohner eines großen Wohnblocks – wir sagten „Wohnsilos“ dazu - beim Tierschutzverein an, wiesen auf eine unsachgemäße Heimtierhaltung hin und baten um eine Kontrolle. In einer 3 Raumwohnung würden drei Erwachsene, zwei Kinder ein etwa 50 kg schweres Schwein, ein großer Hund, eine Katze und ein Wellensittich campieren. Außerdem gäbe es im Kinderzimmer, wo die Kinder auch schlafen, ein Terrarium mit einer Echse und einer großen Schlange sowie eine Mäusehaltung, um diese Kleinnager lebend verfüttern zu können.  
Wir wollten gemeinsam mit einem Vertreter vom Veterinär- und Ordnungsamt und dem Vermieter vor Ort besichtigen, wurden jedoch nicht in die Wohnung gelassen. Mir gelang es schließlich die Familie zu überzeugen, dass sie mich als Fachmann hereinließen und meine Ratschläge anhörten. Es war nicht zu vermeiden, die von den einzelnen Tieren ausgehenden Gerüche so abzuhalten, dass sie von uns Menschen nicht als störend empfunden würden. Gelinde gesagt: `Es stank in der Wohnung und das drang auch teilweise in den Hausflur.´ Insgesamt musste ich feststellen, dass man versuchte alles den Umständen entsprechend sauber zu halten – die Tiere machten keinen ungepflegten Eindruck – aber man sah ein, dass alle Tiere in viel zu engem Raum ohne ausreichende Bewegungsmöglichkeiten gehalten wurden. Die Familie zeigte sich als übertrieben tierlieb und scheinbar wusste man zurzeit auch nicht mehr, wie man mit der sich verschärfenden Situation fertig werden sollte. Ausweglos schien der Umgang mit dem relativ schnell wachsenden Schwein, das vor 3 Monaten unter dem Tannenbaum noch 10kg gewogen hatte. Ich will im Einzelnen nur auf dieses Tier eingehen, denn ich erreichte: Nur Hund, Katze und Wellensittich wurden behalten – wegen tiergerechter Haltung sogar noch ein zweiter Vogel und ein größerer Vogelbauer angeschafft – aber die Exoten und die Mäuse gab man an einen öffentlichen Zoo ab. Über dortige Haltungsbedingungen müssten wir uns vielleicht später noch einmal unterhalten.
Nun zum Schwein, weil  auch du dir ein solches wünschst. Die beiden Kinder hatten das Ferkel Weihnachten bekommen und in den nächsten Wochen auch intensiv mit ihm gespielt. Es bekam ein kleines Geschirr und wurde regelmäßig ausgeführt. Wegen des guten Futters wuchs das Tier sehr schnell und in der Wohnung fand man keinen geeigneten Platz mehr, denn die etwa 10 Quadratmeter große Küche wurde fast allein vom Schwein in Anspruch genommen. Die Familienmitglieder stellten fest, dass die Küchenarbeiten und gemeinsamen Mahlzeiten mit einem Schwein doch nicht das Richtige seien. Da tagte der Familienrat und der Vater forderte, dieses landwirtschaftliche Nutztier zurück in einen Bauernhof zu geben. Eine eigene Verwertung war ohnehin ausgeschlossen, da Erwachsene und Kinder sich vegetarisch ernährten. Mädchen und Junge protestierten, sie meinten, sie könnten es nicht zulassen, dass ihr Moritz, so war jetzt der Schweinename, je einmal geschlachtet würde.“
„Dabei musste ich an meine Kindheit denken, “ erzählte ich weiter. „Auch ich hatte als 10jähriger auf unserem Bauernhof eine Ziege, Hühner und Kaninchen in eigener verantwortlicher Betreuung, allerdings in richtigen Tierställen. Jedes Mal, wenn eines meiner Tiere geschlachtet werden sollte protestierte ich heftig, musste mich aber fügen. Dadurch lernte ich realistisch zu unterscheiden zwischen landwirtschaftlichen Nutztieren, die gehalten werden um sie zu verwerten und den Heim- und Luxustieren. Ich weiß, dass ich mich mit meiner Meinung bei einigen Menschen unbeliebt mache, aber Schweine und Rinder sind für mich keine für Wohnungen geeigneten Heimtiere.“
Ungeduldig fragte meine Urenkelin: „Was geschah denn nun mit dem zahmen Schwein?“
„Das ist schnell berichtet: Vater und Mutter setzten sich durch, es wurde zurück in einen Bauernhof gebracht. Als die Kinder sahen, wie schell es Anschluss an seine gleichaltrigen Artgenossen fand und sich im Stall sichtlich wohl fühlte, waren sie etwas beruhigt. Sie verwandten aber keine Gedanken mehr daran, dass ihr Lieblingsschwein eines Tages den Weg aller Schlachttiere gehen wird; deshalb besuchten sie auch den Bauernhof lange Zeit nicht mehr.“
 
Nun kam Weihnachten heran und wir wurden am 1. Feiertag von den Eltern unserer Urenkelin zum Mittagessen eingeladen – sie waren erfreulicher Weise keine Vegetarier und es gab traditionell Gänsebraten.
Ich traute meinen Augen nicht: Als wir in die Wohnstube eintraten saß das Mädchen mit einem Ferkel auf dem Sofa und unter dem Christbaum stand noch das Körbchen mit Stroh, in dem es wohl zur Bescherung gelegen hatte. Ich war enttäuscht, meine Geschichte war wirkungslos geblieben – eine neue Zeit, neue Erziehungsmethoden, ein neues Verhältnis zu Tieren brechen an!
Die Argumente, die ich zu dem eigenartigen Weihnachtsgeschenk hörte, überzeugten mich nicht – für mich gilt unwiderruflich: Tiere gehören nicht unter den Christbaum, auch wenn sie in der Weihnachtskrippe zu sehen sind!
Ja, man versicherte mir, das Schwein würde ganz anders gehalten als ich es in meiner Geschichte dargestellt hatte. Ich bekam eine Beruhigungspille, es wurde - wie in meiner Geschichte - Moritz genannt, obwohl es ein weibliches Tier war. Im Übrigen hatte Moritz einen schönen warmen Platz in der Gartenlaube im Hausgarten, die in der kalten Jahreszeit sogar geheizt wird. Er kam nur in Ausnahmefällen in die Wohnung. Großzügig verkündete unsere Urenkelin: „Wenn Moritz so groß geworden ist, dass er nicht mehr von mir ausgeführt werden kann und nicht mehr in die Wohnung passt, kommt er zurück zum Bauernhof – dagegen werde ich auch nicht protestieren.“ Ich gab mich geschlagen, denn ich bin, welche Beruhigung, kein Erziehungsberechtigter mehr, sondern ein echter Urgroßvater!
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.11.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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