Andreas Langer

Der Geldschein oder die Reise eines Sommertages



Als ich frisch gedruckt zur Welt kam, landete ich gebündelt in der Banca di Creavo und gelangte so in europäischen Umlauf.
Am Schalter wurde ich zwei Tage später, nachdem ich mit meinen Artgenossen in einem großen Banktresor in Kajüten ähnlichen Breitregalen genächtigt hatte, an eine dicke Frau mit Wurstfingern ausgehändigt. Unwirsch pfropfte sie mich in ihre Handtasche. Ich landete zwischen Lipgloss und einer Packung extra großer Tampons. Ihr Mann, an den sie mich weiterreichte, weil sie anscheinend die wirtschaftliche Hoheit dieses Haushalts an sich gerissen hatte, war ebenso dick, wurstig und unwirsch. Mir wurde angst und bang, als ich lieblos mit vom Leben bereits verblichenen und vergilbt-abgenutzten Artgenossen, in diese obszön nach Leder riechende Ausgeburt einer Geldbörsenhölle geschoben wurde. Schließlich landete ich in der Geldkasse eines mobilen Eisverkäufers. Der Mann brauchte wohl sein tägliches Sommergelato. Der Eisverkäufer hatte flinke, geschmeidige Hände, die Hände eines Mannes, die sich geschickt dem Tempo der erforderlichen Lebenssituation anpassen können.
 
In seiner Kasse war die Luft allerdings schnell verbraucht. Ich musste sie als einziger Schein mit unter meiner Würde stehenden, minderwertigen Geldstücken verbringen. Wenigstens entkam ich kurze Zeit später dem anstehenden Kassensturz (,- der Mann mit den flinken Händen hatte darüber geredet-) und landete beim erneuten Eisverkauf dann im Portemonnaie von Phillipe Tschesie.
 Woher ich das weiß fragen Sie?
 Nun ja, der Eisverkäufer sprach zu einem Mann:“ Und was darf´s heute sein Mr. Tschesie? Geht´s gleich wieder per Schiff auf die Insel?“
Nach getaner Überfahrt auf besagte Insel, rief ihn seine Frau bei seinem Vornamen und kündigte an, dass sie Besuch hätten. Ein gewisser Don Protectano palaverte vom unermesslichen Wert der Orangen- und Zitrusplantagen Tschesies und dass es doch ein Jammer sei, diese teuren und später so ertragreichen Jungbäume von irgendwelchen Vandalen zerstören zu lassen und dass er, Don Protectano, sich der Sache gerne annehme, während ich in seine öligen Finger rutschte.Dieser Mann schien keine Brieftasche zu haben. Daher llandete ich mit mir ähnelnden Brüdern und Schwestern, die im Vergleich zu mir doch recht blass aussahen, zusammengepfercht und mit einem Gummiband zusammengehalten in einer Hemdbrusttasche. Immerhin konnte ich, weil ich der äußerste Schein war, noch einen Blick auf die Idylle des Südostens der Insel des Vulkans und der als heiß besungenen Nächte erhaschen, bevor wir uns mit Don Protectano in einem Schnellboot Richtung Festland wiederfanden.
 
In Windeseile rasten wir von Küste zu Küste. Gleichförmig stark röhrte die Schraube des leistungsstarken Außenborders durch Wasser und Nacht.Wir erreichten eine Bucht, auf deren Sandstrand rückwärts geparkt ein in dieser Gegend häufig gesehenes Auto einer  luxuriösen Marke stand, dessen Fahrer den Don und uns wortlos empfing. Die Reifen drehten, kaum enden wollend, leer im Sand, wie in einer abgehalfterten Hollywoodfilmszene. Schließlich bekamen sie dann doch den nötigen Gripp und der Fahrer bretterte mit Pokerface wie eine besengte Sau durch die Nacht.Nach einer schier endlosen Fahrt, die wir unfallfrei überlebten, bremste der Wagen auf dem Kopfsteinpflaster eines Seitengässchens, das von nahtlos ineinander übergehenden Häuserfronten beidseitig umsäumt wurde. Turmhoch ragten sie in den Nachthimmel  der uns unbekannten Großstadt.
Don Protectano verließ das Vehikel ebenso wortlos, wie er es bestiegen hatte. Dann preschte der Fahrer durch die Nacht davon. Stille herrschte hier in den Gassen, es war mucksmäuschenstill, nur das Geklacker der Sohlen des Dons füllte die Luft und prallte von den Häuserreihen widerhallend zu uns zurück. Dann hielt er mit einem Schlag in der Bewegung inne, drehte seinen riesigen Körper robotergleich um 90 Grad nach rechts und eilte nun zielstrebig zu einem mit Holztarsien verzierten Hauseingang. Das Schloß ächzte, als der Don es mit einer, wie mir schien, selbst gebastelten Metallbügelverdrahtung ruckartig aufschloss, während er dabei das Tor leicht anhob. Das ´modrige Holz der Tür beschwerte sich mit einem langgezogenen Seufzer von seinem geliebten Rahmen getrennt zu werden. Jetzt ging es im Laufschritt eine nicht enden wollende schmale Steiltreppe hinauf. Vor einer Tür kurz unter dem Dachfirst machten wir abrupt halt und der Don richtete sich nun zu seiner ganzen Größe auf, ordnete seine maßgefertigte Kleidung und atmete zwei- dreimal die staubige Treppenhausluft tief ein. Er schien sich sammeln zu wollen. Uns ging es in der Hemdbrusttasche nicht anders, wir waren inzwischen doch recht derangiert.Was als nächstes geschah, entzieht sich ein wenig meiner Erinnerung. Womöglich habe ich es durch den Schock, den das Ganze in mir auslöste, auch verdrängt. Es war ein einziger und schneller Bewegungsablauf der sich wie folgt gestaltete:
Nachdem Protectano mit der linken Hand zweimal kurz und knackig klopfend auf die Wohnungstür eingehämmert hatte, öffnete sie die Tür, während seine rechte einen Revolver zog.Mit Furcht in den Augen, aufgeschreckt wie ein Reh, fuhr ein junger Mann von seiner Schlafpritsche hoch, wurde jedoch von zwei schallgedämpften Schüssen in Kopf und Herz wieder auf sie zurückgeworfen und war sofort tot. Daraufhin griff der Don nach uns, zog uns aus seiner Hemdstasche und schmiss uns mit den Worten: „Und hier ist Dein Geld, - Bastardo!“ in die Nähe der Blutlache, die den toten Körper mittlerweile umgab. Ich bekam ein winziges Bisschen leichter Spritzer des Lebenssaftes ab und war, wie meine Kameraden, völlig benommen.
Ich muss wohl eine Zeitlang das Bewusstsein verloren haben, denn als ich wieder zu mir kam, füllten mir nicht vertraute Schritte den Raum. Ein Mann mit wenig Haaren, maßgeschneidertem Anzug und einem fratzengleichen Grinsen trat auf uns zu. Während er noch das Gesicht des toten jungen Mannes musterte, gefror die Fratze seines Grinsens. War das etwa Schmerz, sorgsam getarnt? Ein erfahrener und weltgewandter Mann hätte darin wahrscheinlich die verlorene Seele erkannt, die sich auf ewig dem Bösen verschrieben hatte. Er hätte gesehen, dass sie den entscheidenden Moment verpasst hatte sich zu bessern und dass ihre Strategie sich nicht völlig zu verlieren eben die war, sich immer konsequenter und unumstößlicher dem Bösen zuzuwenden. Aber wie hätte ich das sehen sollen? Ich bin ja nur ein Geldschein.Jedenfalls hob uns der Mann auf und setzte sich in Bewegung. Wir verschwanden in der Innentasche seines Jackets. Der Mann schien einflussreich. Überall wo er erschien, wurde er mit einem überschwänglichen „Buonasera signor!“ gegrüßt. Die Worte entwichen den Mündern der Leute, denen er begegnete, wie Pistolenschüsse. Seine bloße Erscheinung schien sie schneller reden als denken zu lassen. Von oben leuchtete noch immer das Abendlicht der untergehenden Sonne auf uns und nach dem Stimmengewimmel zu urteilen, bewegten wir uns in den Straßen einer Großstadt. Doch als die Dämmerung hereinbrach, betrat der Signor eine Art Nightclub. Laut dröhnende Bässe, Elektrosound, Beats, diesmal sehr weibliches Stimmengewimmel.
Ein Körper schmiegte sich an die rechte Seite des Signors, der auch hier von jedermann gekannt und gegrüßt wurde. Manchmal einen Hauch zu schnell, wie mir schien und manch Stimme, die ihm  begegnete, schien dabei gebrochen. Jedenfalls nahm uns der Körper an seiner Flanke die Möglichkeit irgendetwas zu erhaschen, geschweige denn gescheit Luft zu bekommen. Dem Signor schien auch der Atem zu stocken, als die Stimme der Frau leise in sein Ohr flüsterte. Als sie geendet hatte, ertönte sein überbordendes Lachen in tiefen Tönen und so hatte ich erneut die Fratze seines Grinsens vor meinem geistigen Auge. Er sprach fäkal, er erwiderte sonor, er war der Bass, der Raum war der Bass, Bumbum und schließlich setzten wir uns. Die Frau war nicht von seiner Seite gewichen, eher zu einer mutierenden Weiterführung seiner Physiognomie geworden. Ich sah das, als er uns unvermittelt auf den Glastisch pfefferte. Das und ein weißes, trockenes Etwas, das in Linien den Tisch zierte und aufstaubte, als wir dort aufschlugen. Wir saßen in einer Sitzecke aus schwarzer Schweinsledergarnitur. Der Signor war eigentlich ein Senior. Sie war schon erwachsen, aber deutlich jünger als der Senior und ihre nackte weiße Haut kontrastierte mit dem Schwarz des Sofas. So räkelte sie sich über dem Senior. Sie ließ ihn immer wieder tiefe Einblicke in ihr üppiges Dekolltée nehmen und nahm dann und wann sogar seinen Kopf zwischen ihre Rundungen, so dass er eigentlich keine Luft bekommen konnte. Obwohl er entspannt schien, steigerte sich die Fratze seines Grinsens, wenn er zwischendurch wieder zu Atem kam, zu etwas Diabolischem. Der Signor Senior nahm er ausgerechnet mich wieder auf, beschloss sein tete à tete mit einem sonoren „Bene!“ und versetzte dem Mädchen im Gehen einen Klaps aufs´ Gesäß. Ihr Fleisch platschte. Dann erhob er sich und steckte mich ihr im Vorübergehen in die Busentheke. Angeschmiegt und eingerollt, schlummerte ich beim wohligen leichten Auf und Ab während sie ging ein. Es war wie bekömmlicher Seegang. Ich darf so etwas empfinden. Als Geldschein bin ich in meinen biologischen Anlagen im eigentlichen Wortsinn durchaus asexuell.
Ihr Name entwich dem Mund eines jungen Mannes, das bekam ich in meiner Schlaftrunkenheit wohl mit. Auch wenn ich ihn nicht deutlich verstand, so hatte er doch wohlklingend helle Vokale. Leider entriss mich die Schöne mit einem Ruck dem Hort ihrer Schlaftheke und drückte mich zerknüllt (ächz) in die Hand des jungen Mannes. Er hatte lange zottelig filzige Haare und ein Basecap auf, das von Kopfhörern gehalten wurde.
„Das ist aber das letzte Mal! - das weißt Du…“
„Ok“  antwortete der Jungspund, um schnelle Antworten nicht verlegen, setzte er sich sofort halb laufend in Richtung der Rolltreppe des Bahnsteigs in Bewegung.
 Über Kopf konnte ich rückblickend durch die Gucklöcher der mich umfassenden Hand sehen, wie die Schöne unserem Blickfeld langsam entschwand. Heute Morgen hatte sie jedoch ihren Glanz verloren und wirkte um Jahre gealtert. Mit sorgenvollem Blick winkte sie uns zu. Der junge Mann hatte einen nach innen gerichteten Blick der Gier und schien gedanklich in einem ganz anderen Film als ich.Wer war jetzt das schon wieder (, langsam wurde ich wacher)? Bevor ich auch nur einen klaren Gedanken fassen konnte, hatte der junge Mann Ebene und Gleis innerhalb des Bahnhofs gewechselt. Andere Jugendliche zogen an uns vorbei  grüßten ihn als Alfonso.
Zu meinem Entsetzen schwang er sich ungesehen auf das hintere Ende eines anfahrenden Zuges und hielt sich dabei an Metallstangen, die diesen Zweck nicht vorsahen, fest.
Nun schob er mich zwischen seine zusammengebissenen Zahnreihen und drückte die Playtaste seines MP3-Players.
Surfin´USA von den Beach Boys erklang, obwohl ich mir sicher war, das wir da gerade nicht waren. Während der Zug beschleunigte, landete ich wieder in seiner Hand, diesmal eingeklemmt zwischen seinem kleinen und seinem Ringfinger. Dann fing er doch tatsächlich an sich an der Zugwand kletternd entlang zu hangeln. Ich war zu erschöpft, um mich in erneute Angst hineinzusteigern. In den letzten 24 Std war das ganze Universum auf mich eingeschlagen, was sollte da noch passieren? Alfonso jedenfalls hangelte immer weiter Richtung Fahrerkabine. Zugwind schlug uns wie Faustschläge ins Gesicht, sobald Züge aus der Gegenrichtung schlagartig an uns vorbeirauschten. Ich begriff nicht, warum er mich nicht ordentlich weggesteckt hatte. Dorthin wo ich weder sehen konnte was er tat und (, was viel wichtiger war,) ich ihn bei seinem halsbrecherischen Stunt nicht behindern konnte. Die Bretter zwischen den vorbeirauschenden Schienen und der Fahrtwind bildeten die Melodie einer Realität, die nicht war sein konnte. Jetzt versuchte dieser Urmensch doch tatsächlich das Dach zu erreichen. In einem Affenzahn raste die Landschaft an uns vorbei. Der Himmel war immer mal wieder zu sehen, dann verschwand er hinter dunklen Tunnelwölbungen. Signale, Oberlichter, Menschentrauben in Bahnhöfen, die wir zügig durchquerten und dann fiel er…
Als ich wieder zu Bewusstsein kam war ich zwar endgültig verstört, wollte aber doch gerne wissen wo der junge Mann war. Die Frage erübrigte sich, als mich die Männerhand eines Uniformierten in eine durchsichtige Plastiktüte schob und ich Zeuge folgenden Dialogs wurde: „Noch andere persönliche Dinge, die wir den Eltern geben können?“
„Schau doch mal genau hin Neuer, wenn Dein Kind tödlich verunglückt, würdest Du dann einen blutigen Geldschein zurückbekommen wollen?“
Auch wenn es nicht das Blut von Alfonso war, was die beiden ja nicht wissen konnten, spielte das grade keine Rolle mehr. Ich musste schlimm aussehen.
 
Jedenfalls ging der Neue später in Zivil in die Stadt zur Bank um mich umzutauschen. Giacomo Pedantettie bekam zwei niegelnagelneue Scheine, die zusammen meinen Wert ergaben. Ich landete also wieder in der Banca di Creavo und kann mich nun endlich wieder ausruhen. Im Grunde bin ich froh, dass ich kein Mensch, sondern ein Geldschein bin. Ich repräsentiere einen klaren Wert, auch wenn es nur Kaufkraft ist. Erst im Umlauf der Menschen werde ich mitunter für Dinge genutzt, mit denen ich nicht gut oder zumindest nicht an jeder Stelle, warmwerde.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.02.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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