Bodo Mario Woltiri

Dreikönigstreffen

Die drei Männer begegneten sich auf dem Weg zu einem Weihnachtsevent, das in Bethlehem stattfinden sollte. Sie mochten wohl alle drei so um die fünfzig Jahre alt sein. Gestandene Männer, jeder in seinem Beruf ein Könner, ein Kenner, ein King. Jeder von ihnen führte ein besonderes Mitbringsel im Gepäck, doch darüber wollte keiner von ihnen ein Wort verlieren – obwohl sie ja eigentlich sonst mit Worten nicht sparten. Denn sie beherrschten die Kunst der freien Rede, des gekonnten Smalltalks sowie der nichtssagenden, aber wohlklingenden Phrasen.
 
„Ich finde, dass Weihnachten im Goldenen Zeitalter der Globalisierung erst richtig seine eigentliche Bedeutung entfalten kann“, schwallte der erste im Brustton der Überzeugung. Er war Manager eines multinationalen Konzerns. „Dass Jesus nie einen richtigen festen Wohnsitz hatte, macht ihn für uns Manager sympathisch. Schließlich haben wir ja auch mehrere Wohnsitze und sind doch eigentlich nur unterwegs“, philosophierte er und setzte verträumt seufzend hinzu: „Wir sind die Nomaden der Weltwirtschaft.“ „Ja, stattdessen gibt es no made in Germany mehr“, fiel ihm der zweite Mann ins Wort, was auch typisch für ihn als Politiker war, denn die sind es ja gewohnt, den anderen nicht ausreden zu lassen. „Das müssen gerade Sie sagen, wo doch Ihre Partei – genau wie die anderen auch – ohne unser Geld gar nicht handlungsfähig wäre, geschweige denn einen Wahlkampf führen könnte.“ „Unser Programm ist nicht von Geld abhängig!“ entrüstete sich der Politiker. „Natürlich nicht, die Selbstbeweihräucherung in Parteitagsritualen kommt auch ohne viel Firlefanz aus. Eine Maschine, die Stärke und Länge des Applauses nach der Parteitagsrede misst, reicht völlig aus!“ höhnte der Manager, um sich dann dem dritten Mann zuzuwenden: „Und Sie, vermissen Sie nicht manchmal den Applaus, die lautstarke Bestätigung durch Ihre Zuhörer?“ „Oh, ja, besonders am Schluss der Predigt, wenn der letzte Satz und das Amen so in der Luft hängen bleiben. Und dann der Zweifel, was überhaupt bei den Zuhörern hängengeblieben ist“, schilderte der Bischof mitleidheischend eines seiner beruflichen Handicaps. „Sie haben gut reden“, meinte der Politiker mit einem mürrischen Unterton in der Stimme, ohne seinen Satz fortzusetzen. Apropos myrrhisch – das bringt mich zu unserem Ausgangspunkt zurück: den Geschenken der drei Männer und ihrem gemeinsamen Zielort.
 
Während der letzten Etappe des Weges war jeder nur noch mit sich selbst beschäftigt. Der Manager schaltete sein Handy wieder ein und versuchte ein Netz zu bekommen. Dabei pfiff er die Melodie von „Wie soll ich dich empfangen…“ vor sich hin. Der Bischof schüttelte heftig den Kopf angesichts solcher Blasphemie und versuchte sich innerlich auf die Begegnung mit seinem Herrn vorzubereiten. … „und wie begegn‘ ich dir?“ summte es in seinem Kopf weiter. Der Politiker legte sich insgeheim ein paar knackige Statements zurecht, die er vor laufenden Kameras in die Mikrofone absondern würde: „Es ist doch kein Zufall, dass dieses Event in Bethlehem stattfindet“. Oder einen Satz wie: „Dies ist die Geburtsstunde des palästinensischen Staates!“
 
Nach Flug und Busreise betraten die drei Männer nun die Herberge „Joe & Mary“, ein schmuckes Touristenhotel für christliche Pilger aus der ganzen Welt, deren Zahl inzwischen diejenige christlicher Einwohner Bethlehems bei weitem übertraf. Es dürfte ungefähr dem Verhältnis auswärtiger Touristen gegenüber bayrischen Maß-Haltern beim Oktoberfest entsprechen. Das Dreigestirn kam jedenfalls gerade rechtzeitig, um die mitternächtliche Vorstellung zu erleben. Um die Krippe herum war ein Festsaal eingerichtet worden, damit sich die Gäste wirklich rundum wohl fühlten. Joe und Mary hatten bereits begonnen, die Gäste zu bedienen, während sich Ochs und Esel in Gestalt zweier sehr attraktiver junger Damen, auf deren knapp bemessenen T-Shirts die Jobbezeichnung „Jesus Nanny“ prangte, um den Säugling in der Krippe bemühten.
 
„Möchten Sie auch ein Plätzchen?“ fragte Joe den Politiker. „Nein danke, ich möchte lieber stehenbleiben“, antwortete dieser gedankenversunken, die Schale mit Weihnachtsgebäck ignorierend. Er vermisste die Kamerateams und Mikrofone. Da erklang des Lied der Engel: „Kommet ihr Hirten!“ „…und Oberhirten!“ setzte der Bischof in Gedanken hinzu. Er war angewidert von der säkularen Aufmachung der Veranstaltung, tröstete sich aber damit, dass Mary doch ganz seinen Vorstellungen von einer unbefleckten Jungfrau entsprach. Der Manager hatte gerade sein Handy wieder ausgeschaltet, um sich ungestört mit dem Eventmanager von „Christmas Enterprises“ unterhalten zu können. Da läuteten mit einem Mal tausend helle Glöckchen aus den vielen Lautsprechern ringsum, und von oben erschallte eine Stimme: “Zeit für die Bescherung!“ Alle stürmten an die Krippe, wo Joe und Mary und die beiden Nannys bereits warteten. Die vier ließen jeden Gast einzeln vortreten, sein Geschenk auspacken und es mit liebevollen Worten dem Jesuskind zu Füßen legen.
 
„Ich bringe dir einen Goldbarren, weil Gold das Kostbarste auf der Welt ist – und vor allem wertbeständig“, sagte der Manager. Das Jesuskind schaute ihn mitleidig an. Sein Blick schien sagen zu wollen: „Diese Art von Werten ist es nicht, die Bestand haben. Ich will dein Gold nicht. Geh zurück in dein Land und verschenke den Goldbarren an Bedürftige.“ Traurig wandte sich der Manager ab. Der Politiker trat vor, räusperte sich vernehmlich, schaute noch einmal in die Runde, und wandte sich dann der Krippe zu: „Liebes Christkind!“ Bei dieser Anrede bekam Jesus einen Schreikrampf, der eine Minute andauerte und von Radio Gaza live übertragen wurde mit dem Kommentar des Reporters, es handle sich hierbei um den Ruf des Bethlehemischen Muezzins. „Sehr geehrter Herr Jesus!“ versuchte der Politiker es erneut. Diesmal dauerte der Schreikrampf eine Viertelstunde. Radio Jerusalem übertrug ihn unkommentiert als O-Ton von der Klagemauer.
 
Als Jesus sich beruhigt hatte, verzichtete der Politiker endlich auf die Anrede und löste mit dem Satz „Ich verstehe Ihren Zwischenruf gar nicht!“ allgemeine Heiterkeit aus. „Ich verstehe das nicht“, wandte er sich kopfschüttelnd an die Eltern. „Er meint“, sagte Josef, „dass Sie Ihren Weihrauch nicht ihm und schon gar nicht in aller Öffentlichkeit schenken sollen. Für Ihre Selbstbeweihräucherung ist er zu schade. Nehmen Sie ihn mit nach Hause, und lassen Sie den Duft durch alle Straßen ziehen. Ihre Wähler werden sich freuen, und können Sie dann vielleicht auch wieder besser riechen.“ Der Politiker zog scheinbar geläutert von dannen und begann schon auf dem Rückflug sein nächstes Buch zu schreiben: „Mein langer Weg zu Jesus – und zu mir selbst“.
 
Nun trat auch noch der Bischof vor und kniete vor Jesus – oder doch eher vor Maria? – nieder. „Oh Herr, wie habe ich begehrt dich zu sehen!“ Das Kind in der Krippe verzog das Gesicht, als wollte es sagen: „Spar dir deine Myrrhe und deine salbungsvollen Worte. Salbe lieber die Gläubigen deiner Gemeinden mit Öl, denn sie sind die wahren Hirten.“ Der Bischof raffte sein Gewand und dann sich selber auf, nahm die Myrrhe wieder an sich und den nächsten Flieger nach Deutschland.
 
Und wenn die Drei nicht an Herzinfarkt oder Selbstüberschätzung gestorben sind, dann fliegen sie auch noch heute noch jedes Jahr zu Weihnachten nach Bethlehem – nun aber gleich mit Herodes Airlines!

 
Bodo Mario Woltiri 2015

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