Georges Ettlin

Das Kinderglück, es kommt nur von dem Weihnachtsbaum


Ich wusste schon als Kind im Jahre 1949, dass das Weihnachtsgeschenk der Eltern
aus selbstgestrickten Wollsocken bestand, wie immer, und dass die Wolle aus dem
aufgelösten Wollpullover von meinem Bruder kam. Ich war ja lange mit dem Aufwickeln der alten
grauen Wollschnüren beschäftigt, die meine Mutter aus verbrauchten Kleidungsstücken meiner älteren Geschwister
herauszog.
Zur Adventszeit wurde ich weniger oft vom Vater grundlos verprügelt (ohne zu wissen, warum) Meine Mutter aber weinte
noch immer jeden Tag und wohl auch in den Nächten. Im Jahre 1952 verschwand meine Mutter manchmal wochenlang
und eines Tages wollte sie sich vom 6. Stock über das Balkongeländer stürzen, aber nicht alleine,
sie versuchte auch mich über das Geländer des Balkons zu heben. Ich war ihr aber zu schwer
und habe mich mit aller Kraft gewehrt. Sie hat mich wohl nicht gehasst, aber sie wollte nicht
alleine sterben. Das habe ich begriffen und später solidarisch zu ihr... stillschweigen bewahrt.
Niemand hatte je Kenntnisse davon, denn "Nestbeschmutzer" wollte ich nicht sein, auch im eigenen Interesse,
ich wusste schon damals, dass ein gutes Familien-Image irgendwann wohl wichtig sei..Im hohen Greisenalter
fühle ich mich aber von den alten Wahrheiten nicht mehr bedroht.
Armut war damals in der kriegsverschonten, vermeintlich- reichen Schweiz schliesslich etwas Alltägliches.

Die herrliche Magie des Weihnachtbaumes aber hat mich damals glücklich gemacht : Das Glitzern und Funkeln,
das schneeweisse Engelhaar, der Duft der grünen Nadeln und das Träumen von-  und  -über sehnlichst
erwünschten Geschenken machten mich froh, obwohl ich wie immer zur Weihnachten
nur selbstgestrickte, graue Wollsocken erwartete. ...Das war wohl die Wiege meiner Fantasie und meiner kreativen,
erfolgreichen Lebensführung: Der Weihnachtsbaum hat mich gelehrt, wie man fantasievoll träumt und wie man sich durch
schöne Träume vor dem Elend schützen kann.

***

c/G.E.
 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Georges Ettlin).
Der Beitrag wurde von Georges Ettlin auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.12.2016. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

Bild von Georges Ettlin

  Georges Ettlin als Lieblingsautor markieren

Buch von Georges Ettlin:

cover

Alles - Nichts ist für immer von Georges Ettlin



Mein Buch beschäftigt sich mit Romantik, Erotik, gedanklichen und metrischen Experimenten, Lebenskunst, Vergänglichkeit und versteckter Satire .

Die Gedichte sind nicht autobiographisch, tragen aber Spuren von mir, wie ein herber Männerduft, der heimlich durch die Zeilen steigt.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Weihnachten" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Georges Ettlin

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Wer den Hut nimmt... von Georges Ettlin (Abschied)
Ein ganz besonderer Weihnachtsbaumschmuck von Irene Beddies (Weihnachten)
Bis an die Grenze - Ein Tatsachenbericht ( Fortsetzung 1 ) von Ralph Bruse (Autobiografisches)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen