Martina Lehner

Neu oder gebraucht?

Neu oder gebraucht?

„Hier ist die Rechnung, bitte.“ Der freundliche Mechaniker, dem Eva ihr Auto zur Durchsicht überlassen hatte, bemühte sich redlich die technischen Details und deren Reparatur ihres mittlerweile zwölfjährigen Wagens zu erläutern. Eva lächelte gequält, als er dienstbeflissen fortfuhr. Ihr Bauchgefühl gab deutliche Signale, wohin das Ganze hinauslief: auf eine Endsumme, die sich gewaschen hatte!

„Wir mussten die Bremsen komplett erneuern, ansonsten wäre ein Weiterfahren lebensgefährlich für sie geworden. Außerdem war die Belüftungsanlage hinüber. Es ist halt schon ein altes Auto, da häufen sich die Reparaturkosten natürlich,“ sagte er, als wolle er für sich die gigantische Zahl, die unten auf der Rechnung unbarmherzig Eva anzustarren schien, rechtfertigen.

Sie traute ihren Augen kaum! 960 Euro! Das war beinahe ein halber Monatsgehalt! Eva wurde übel. Auch das noch! Momentan schien sich die ganze Welt gegen sie zu verschwören. Ein Debakel folgte dem Nächsten. Als hätte sie nicht schon genug andere Sorgen! Sie war auf dieses Auto nun mal angewiesen und seit ihr Freund vor drei Monaten aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen war, musste sie gehörig auf ihr Geld acht geben. Die Miete und alle Lebenserhaltungskosten alleine zu bezahlen, dazu war ihr Gehalt nicht groß genug und bis sie etwas Günstigeres gefunden hatte, musste sie nun mal eisern sparen.

960 Euro! Zähneknirschend steckte Eva ihre Bankomatkarte in das blaue Kästchen und tippte hämmernd die Geheimzahl ein. Als das kleine Zettelchen surrend aus dem Gerät rollte, seufzte sie schwer und rang sich ein Lächeln für den netten Automechaniker ab. Wer weiß, wahrscheinlich würde sie noch öfter seine Dienste in Anspruch nehmen müssen.

Sie nickte ihm und der Sekretärin kurz zu und gerade als sie sich verabschieden wollte, fiel ihr Blick auf die vielen schönen Neuwagen, die in der Verkaufshalle im Sonnenlicht glänzten. Eine ebenso absurde wie völlig verrückte und absolut unrealistische Idee setzte sich in ihren Gedanken fest. Wie wär’s eigentlich mit einem gebrauchten Neuen? Und noch bevor sie darüber nachdenken konnte, hörte sie sich schon sagen: „Ich interessiere mich eventuell für ein neues Auto. Mit wem muss ich da sprechen?“

Die Sekretärin lächelte ihr freundlich zu und wies ihr die Richtung: „Herr Peters ist dafür zuständig. Wenn sie doch bitte dort hinten links Platz nehmen. Ich werde ihn rufen.“

Eva setzte sich auf einen bequemen Ledersessel. Der Schreibtisch vor ihr, der offensichtlich dem Autoverkäufer gehörte, war ordentlich aufgeräumt. Ein moderner Computer mit Flachbildschirm, ein silberner Füller mit Halter und ein schwarzes Modellauto – offensichtlich eine Sonderedition irgendeines Sondermodells – standen sauber angeordnet darauf.

„Guten Tag! Ich bin Ulrich Peters. Sie wollten mich sprechen?“ Eva schaute auf und streckte einem charmant lächelnden Mann mittleren Alters die Hand entgegen. Seine Haare waren blond und kurz, vorne schon etwas schütter. Eva schätzte ihn spontan auf etwa Mitte vierzig, also gut 15 Jahre älter als sie.

„Ja. Ich interessiere mich für einen Gebrauchtwagen mit wenig Kilometern. Ich möchte mich vorläufig nur informieren und noch keinen Kauf tätigen.“ Eva war beruhigt, dass sie gleich die Fronten klar abgesteckt hatte. Informationen einholen kostete ja nichts. Und außerdem hatte sie nicht im geringsten die Absicht sich ein neues Auto zu kaufen. Von welchem Geld denn auch?! Aber jetzt saß sie nun mal da und ein bisschen gucken würde sie vielleicht ein wenig ablenken.

„Entschuldigen sie bitte meine Frage. Aber sie kommen mir bekannt vor,“ sagte er und schaute ihr dabei offen in die Augen. Na typisch Autoverkäufer! Jetzt macht er auf Prinz Charming, damit ich auch ja einen Kaufvertrag unterschreibe, dachte sie gereizt.

Er schaute in seinen Computer, wo er offensichtlich Zugang zu allen Kundendaten hatte. „Sie sind Frau Eva Millauer aus Rasthofen? Haben sie zwei Schwestern namens Claudia und Brigitte?“

Eva bejahte erstaunt. Woher kannte er ihre Schwestern? Er beugte sich etwas nach vor und sagte mit einem jungenhaften Lächeln, das ihr Herz ungewollt schneller schlagen ließ: „Ich kenne sie von früher. Von meiner aktiven Zeit beim Fußballverein. Wir waren in derselben Clique. Dann sind sie also die kleine Schwester. Ich kann mich sogar noch an sie erinnern, da waren sie etwa so groß.“ Er deutete mit seiner Hand eine Höhe von ca. einem Meter an.

„Erstaunlich, wie die Zeit vergeht, nicht wahr?“, erwiderte sie und konnte sich dabei einen leisen spöttischen Unterton nicht verkneifen. Doch er schien ihn nicht zu bemerken, sondern blickte sie gerade heraus mit seinen hellen blauen Augen an. Eva hielt seinem Blick stand und für einen Bruchteil einer Sekunde spürte sie eine Vertrautheit, die sie angenehm erregte. Verlegen räuspernd wandte er sich mit einer Handbewegung den umstehenden Autos zu. Was war nur mit ihm los?

Es war nun mal der Lauf der Natur, dass aus kleinen Mädchen erwachsene Frauen werden. Aber diese hier vor ihm, gehörte zu den besonders Attraktiven. Schon als er sie vorhin begrüßt hatte, waren ihm ihre großen braunen Augen und das weiche brünette Haar aufgefallen, das sie lose zusammengesteckt hatte. Außerdem machte sie in ihrer gut sitzenden Jeans und der weißen Bluse einen adretten Eindruck.

Ulrich versuchte ganz Geschäftsmann zu klingen, als er sagte: „Wollen sie mal einen Blick auf unsere Wagen werfen?“

„Gerne!“ Eva erhob sich, erleichtert, etwas tun zu können.

Er führte sie zu einem kleinen roten Auto, das einen sehr wendigen Eindruck machte. „Dieser hier gehört zu unseren kompakten Kleinwagen. Klein, aber durchaus komfortabel, leistungsstark und zuverlässig. Dem Vorbesitzer wurde er allerdings durch Familienzuwachs dann doch zu klein.“ Eva versuchte seinen Ausführungen zu folgen, aber eigentlich genoss sie es nur seiner weichen tiefen Stimme zu lauschen. Und wenn er ihr ein giftgrünes Schrottauto als Neuwagen andrehen wollte, sie würde unterschreiben. Sein Charme hatte sie komplett aus dem Tritt gebracht!

„Wollen sie sich nicht mal reinsetzen?“ Er hielt ihr die Tür auf. Eva streifte unabsichtlich seine Hand, als sie sich beim Einsteigen am Türrahmen festhielt. Ein wohliges Kribbeln durchlief sie und ihre Blicke trafen sich erneut. „Ein schönes Auto“, sagte sie, um ihre Verlegenheit zu überspielen. Ulrich nickte und da war wieder sein jungenhaftes Lächeln. Er musste Eva einfach näher kennenlernen. Sie weckte in ihm Gefühle, von denen er glaubte, sie nie wieder spüren zu können, zu sehr hatte ihn die Scheidung von seiner ersten Frau mitgenommen. Er war lange – zu lange – wie er jetzt feststellte, nicht mehr für die Liebe offen gewesen. Und plötzlich hörte er sich sagen: „Jetzt mal unabhängig ob sie bei mir ein Auto kaufen oder nicht. Aber ich würde sie gerne zum Essen einladen, wenn sie möchten.“ Eva sah ihn von diesem spontanen Vorstoß erstaunt, an.

„Danke, das würde mich sehr freuen,“ nahm sie seine Einladung an.

„Wie wär’s mit heute Abend? Oder ist das zu kurzfristig“, sagte er rasch.

„Nein. Das passt gut.“

„Mögen sie mexikanisches Essen?“

„Ja, das wäre toll.“

„Ich werde uns einen Tisch reservieren. Also um 20 Uhr beim Mexikaner?“

Eva nickte, streckte ihm ihre Hand lächelnd entgegen und er half ihr beim Aussteigen aus dem kleinen roten Auto, in das sie sich soeben verliebt hatte und nicht nur in das……..

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 31.12.2017. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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