Klaus-D. Heid

Weihnacht

Weihnacht, du wunderschön verlogenes Fest der käuflichen Sinne! Wie glücklich machst du all die Kinder mit deinem kommerziellen Geklingel und Gebimmel. Strahlend leuchtende Kinderaugen können unter dem Baum deiner Leuchtreklame konsumieren und können dich mit weitaufgerissenen Mündern verzehren, bis ihnen die Marzipankotze im Halse stecken bleibt. Dein liebevolles Bescheren der Kleinen und Großen lässt die wahre Güte dümmlicher Raffgier in bunten Geschenkpapieren verschwinden, bis endlich der große Tag des Umtauschens beginnt. Unter dem Deckmäntelchen der Nächstenliebe ertränkst du den gesunden Menschenverstand in Glühwein, damit nur besoffen ertragen werden kann, wie dein wahres Gesicht aussieht. Du mutierst zu einem rotvermummten dickleibigen Kerl, während deine tumben Schäfchen den Dünnsten der Welt ihre Almosen spenden, um ihrem Gewissen einen alljährlichen Dienst zu erweisen. Du singst mit glockenklarer Stimme von Gott – und weißt doch nicht, von wem du singst. Du singst von Gnade – und peitscht gnadenlos deine überteuerten Slogans auf uns herab.

Weihnacht, du verkommenes Symbol nichtexistenter Gläubigkeit! Du kommst als Schokolade zu uns und trägst dein eigenes, längst abgelaufenes Verfalldatum auf der Stirn. Du füllst die Kaufhäuser mit all deiner verlockenden Pracht, damit niemand dich übersieht. Du füllst die Fernsehprogramme mit jenen Weichspülern, die bereits zum Jahreswechsel Schnee von gestern sind. Gemeinsam mit deinem besten Freund Werbung dringst du in die Gehirne der Menschen ein, vermischst ihr Denken mit Schlagsahne und Stollenkrümeln, bis jede Mark und jeder Euro in deinem Säckchen klingelt.

Weihnacht, du perverses Instrument paranoider Tiefflieger! Was hast du mit Gott zu tun? Wer gibt dir das Recht, Gott mit einem Barcode zu versehen? Wie kannst du es wagen, Gott über das Laufband einer Einkaufskasse zu zerren? Wie viel Dreistigkeit gehört dazu, die Moral der Kinder mit essbaren Christkindern aus Lebkuchen zu vergewaltigen?

Damit wir uns richtig verstehen, Weihnacht...

Ich habe nichts gegen Lebkuchen, PlayStations, Marzipanbrote und Glühwein! Ich mag es nur nicht, dass man dich erschaffen hat, um unsere Augen mit Blindheit zu schlagen. Ich mag es nicht, dich mögen zu müssen, weil es nun mal Tradition ist, dich zu mögen. Ich mag dich auch nicht, weil ich dich für die Pest der Neuzeit halte. Ich mag dich schon gar nicht, weil du dich Christlich nennst, obwohl du geldlich bist. Ich mag dich nicht, weil du der moderne Scheiterhaufen der Kirchen bist. Auf dir verbrennen unter dem Jubel der Massen alle Werte, die Gott – so es ihn gibt – uns geschenkt hat.

Dein Heucheln widert mich an, Weihnacht. Vergib mir, denn ich habe nicht gesündigt!

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Langsam gehe ich auf das sechzigste Lebensjahr zu. Da hinter mir nahezu jede emotionale Erinnerung »verschwindet«, besitze ich keinerlei sichtbare Erinnerung! Vieles von dem, was ich Ihnen aus meinem Leben berichte, beruht auf alten Notizen, Erinnerungen meiner Frau und meiner Mutter oder vielleicht auch auf sogenannten »falschen Erinnerungen«. Ich selbst erinnere mich nicht an meine Kindheit, Jugend, nicht an meine Heirat und auch nicht an andere hochemotionale Ereignisse, die mich zu dem gemacht haben, was ich heute bin.

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