Christine Wolny

Eine Schlittenfahrt mit Folgen

Wattinchen war 5 Jahre alt. Sie ging noch nicht zur Schule. Es war Winter, und in Österreich gab es noch richtige Winter mit Schnee und Eis.
Oft hatte sie trotz Handschuhe so kalte Fingerchen, dass sie weh taten. Auch in den Zehen hatte sie manchmal kein Gefühl mehr. Das Näschen war knallrot und auch eiskalt. Das war unangenehm, und sie sehnte sich nach der warmen Stube bei Oma. Sie wohnte unter dem Dach, viele Treppen hoch. Dort hatte sie nur ein Zimmer, in dem geheizt, gekocht, gegessen und geschlafen wurde. Wattinchen sieht noch genau die Einrichtung vor sich.

Vor der Tür zu Omas Zimmer war ein dicker, roter Vorhang. Hinter diesem versteckte Oma ihre Vorräte, denn im Zimmer war es sehr eng.
Wie oft schaute Klein-Wattinchen erst einmal hinter den Vorhang, bevor sie bei Oma klopfte. So wusste sie schon von vorne herein, was es bei Oma Gutes gab und konnte dann gleich ihre Wünsche anbringen.

Neben dem Zimmer war ein großer Dachboden. Dort stöberte Wattinchen ständig herum.
In einem Eck unter viel Gerümpel fand Wattinchen einen alten Schlitten. Er war sehr schmutzig. Spinnweben waren ringsherum, das Metall rostig und die Schnur fehlte. Wattinchen zerrte ihn hervor. Dabei tat es Schläge, so dass Oma einen Schreck bekam und nach Wattinchen sah.
"Oma, Oma, schau, was ich da gefunden habe!" Oma staunte nicht schlecht. Sie wusste nichts von dem Schlitten. Scheinbar lag er schon ewig da oben.

Sie half Wattinchen, ihn zu säubern, und das tat Oma gründlich. Wattinchen kam es sogar zu gründlich vor. Sie wollte am liebsten gleich mit ihm hinunter und am nächsten Berg das Gefährt ausprobieren. Doch draußen dunkelte es bereits.
Die Straße wurde immer weißer, die Schneedecke immer höher.

Gleich in der Frühe ging sie zum nächsten Berg, der dicht an Omas Wohnhaus grenzte. Dort waren schon viele Kinder. Es war bereits eine richtige Bahn ausgefahren. Wattinchens Herz klopfte, als sie sich auf den Schlitten setzte und losfuhr.

Doch es ging alles gut und machte Spaß. Sogar das Bremsen vor der Straße klappte. Nun aber hieß es, den Schlitten am steilen Berg wieder hoch zu ziehen. Mehrmals rutschte sie aus und lag im Schnee. Das erheiterte einige Jungen. Sie waren geschickter und kanteten den Berg hinauf. Vielleicht hatten sie auch bessere Schuhe an, denn keiner rutschte so wie sie.
Es dauerte eben länger, bis sie oben war. Dann ging es das zweite Mal hinunter. Oben gab ihr ein Junge einen ordentlichen Schubs, so dass sie voll in Fahrt kam. Beim Bremsen drehte sich der Schlitten, und sie flog der Länge nach in den Schnee. Die anderen lachten.
"Macht nichts", dachte Wattinchen. Sie putzte sich ordentlich den Schnee von ihrem Mantel und stapfte erneut den Berg hinauf.
Die Bahn wurde immer glatter. Die Erwachsenen schimpften, denn auch sie hatten Last, heil den Berg hinauf zu laufen. "Müsst ihr hier rodeln?", sagten sie und schauten manchmal recht böse drein.
Doch keiner der Kinder wollte sich verjagen lassen. Der Berg war zu schön, nicht zu lange, nicht zu steil und nicht zu weit von den Häusern weg.

Plötzlich kam ein Mann aus einem Haus. Er hatte schon lange dem Treiben am Fenster zugesehen. Er war sehr ernst und drohte, demjenigen den Schlitten wegzunehmen, der es noch einmal wagen würde, an seinem Haus vorbei zu fahren.

Die Jungen warteten, bis er verschwunden war. Dann fuhren sie erneut den Berg hinunter, und blitzschnell waren sie auch wieder oben.
Wattinchen überlegte und zögerte. Soll ich?
Doch sie kam nicht weiter mit ihrem Denken, denn ein Junge gab dem Schlitten einen Stoß. Wattinchen konnte sich noch blitzschnell am Schlitten festhalten, und auf ging die Fahrt.

Der Mann war inzwischen am Fenster und sah nun Klein-Wattinchen vorbei sausen. Das erboste ihn, und als die Kleine beim Hochziehen ihres Schlittens die Hälfte des Berges geschafft hatte, stand plötzlich der Mann vor ihr, schimpfte ordentlich und nahm ihr den Schlitten weg. "Den kannst Du Dir nach Weihnachten wieder holen," sagte er böse und ließ Wattinchen alleine stehen.
Sie schaute den Berg hinauf und sah die Jungen, die etwas grinsten.
Wattinchen sagte nichts zu ihnen. Sie hatten ja gesehen, was passiert war. Sie kämpfte mit den
Tränen, doch die Jungen sollten es nicht sehen.

So ging sie zur Oma und berichtete ihr von dem bösen Mann, der ihr den Schlitten abnahm, und dabei rollten dicke Tränen die roten Wangen herunter.
Oma ging gleich mit und wollte alles richtig stellen. Doch der Mann blieb hart. Er behielt den Schlitten. Das tat Wattinchen weh.

Nun hatte sie keinen Schlitten mehr. Die anderen rodelten lustig weiter. Sie fuhren jetzt aber einen andern Berg hinunter, denn sie wollten ihren Schlitten behalten. Sie hatten ja miterlebt, dass der Mann seine Drohung wahr machte.

Keiner ließ Wattinchen mit seinem Schlitten fahren. Sie stand oft dabei und schaute zu und war traurig, dass der Mann nur sie erwischt hatte.
Zwei Tage vor Weihnachten nahm sie allen Mut zusammen und klingelte an der Wohnungstür. Sie fragte, ob sie denn heute ihren Schlitten bekäme. Doch der Mann blieb hart. Er sagte: "Nein, Du bekommst ihn erst nach Weihnachten." Traurig ging sie davon. Oma fand das Verhalten des Mannes sehr grausam.
"Den grüße ich nicht mehr," sagte sie zu Wattinchen. Vielleicht wollte sie auch nur zeigen, dass sie auf ihrer Seite stand und sie ein wenig trösten.

Durch das Weihnachtsfest vergaß Wattinchen für eine Zeit das Schlittenfahren.


Das Christkind brachte einen Teddy und einen Puppenwagen. Schon am ersten Weihnachtsfeiertag packte sie ihren Teddy in den Wagen und schob ihn am Haus des "bösen Mannes" vorbei.

Der Mann schaute aus dem Fenster. Heute lächelte er ein wenig, als er Wattinchen mit dem Puppenwagen sah. Ja, er winkte ihr sogar, sie solle warten.
Da stand er nun, der Mann mit dem Schlitten unter dem Arm. Jetzt wollte Wattinchen den Schlitten gar nicht mitnehmen. Wie sollte sie auch den Schlitten und den Puppenwagen transportieren?
"Ich helfe Dir", sagte der Mann. Ich bringe dir den Schlitten zur Oma. Ich weiß, wo du wohnst. Ich muss nur noch schnell etwas anziehen."
"Ist gut", sagte Wattinchen, hatte aber heute nicht die rechte Freude. Vor drei Tagen wäre sie froh und glücklich gewesen, wenn ihr der Mann den Schlitten übergeben hätte. Er wusste gar nicht, wie sie innerlich gelitten hatte.

Der Mann begleitete nun Wattinchen nach Hause. Er griff in seine Manteltasche und holte eine Tafel Schokolade heraus. "Das ist für das lange Warten", sagte er zu ihr, und dann drehte er sich um und ging weg.
Wattinchen vergaß "Danke" zu sagen. Sie war doch etwas überrascht, dass dieser böse Mann ihr etwas schenkte.
Nun sprang sie die Treppen zu Oma hinauf. Sie nahm gleich zwei Stufen, und das war nicht einfach bei so kurzen Beinchen.
Ihren Teddy hatte sie unter den Arm geklemmt, denn sie wollte ihn nicht draußen ohne Aufsicht lassen.

Oma war auch froh, als sie von ihr erfuhr, dass der Schlitten wieder da ist. Sie setzten sich gemeinsam an den gemütlichen Tisch und aßen die Tafel Schokolade. Bei jedem Stückchen, das sie in den Mund steckte, wurde der böse Mann "lieber" in ihren Augen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.12.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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