Viola Huber

Die etwas andere Geschichte des Gefallenen Engels, 24.12.2003

Ein ganz normaler hessischer Haushalt in Bayern. Amerikanische Weihnachtslieder schallen aus dem CD-Player.
Während meine Mutter in der Küche mit den Essensvorbereitungen für den heiligen Abend beschäftigt ist und Papa im Büro hockt, bin ich gerade dabei, den Weihnachtsbaum zu schmücken: Mattsilber, Mattgold, Glänzend Silber, Glänzend Gold, Mattrot, Glanzrot, rotgold, blau, blaugold, weiß... Christbaumkugel um Christbaumkugel findet ihren Platz an den Tannenzweigen. Es folgen diverse Holzfiguren in Engslsform, Holzschlitten, Stroh-Engel, Sterne, usw. Zu guter Letzt kommt - natürlich - das Lametta. Silberne und goldene Fäden.
“Öhm...“ - Wie hängt man Lametta an einen (fast) überladenen Weihnachtsbaum?
“Mama, kannst du mir mal bitte mit dem Lametta helfen?“
Mit tatkräftiger Unterstützung der hilfsbereiten Mutter hängt flugs viel Lametta am Baum. Oder besser: SEHR viel Lametta.
“Ein amerikanischer Weihnachtsbaum“, sagt Mama.
“Passend zur Musik“, antworte ich grinsend.
Okay, der Weihnachtsbaum ist fertig - fast fertig. Nur noch schnell die herumligenden Verpackungen aufgeräumt, die Tannennadeln vom Teppich gesammelt und dann ab in den Keller und die Weihnachtskrippe holen.
Ich stelle das hölzerne Krippenhaus behutsam unter den “american christmas tree“. Sorgfältig bringe ich Ochs und Esel in ihrem Stall unter. Ich fische zwei Schafe aus der Plastiktüte und teile auch ihnen ihren Platz in der Krippe zu. Dann ein Hirtenjunge mit zwei Lämmchen. Eines der Lämmer bekommt ein rosa Schweinchen zur Gesellschaft. Ja, richtig gelesen: ein Schweinchen. Um das ungewöhnliche Trio komplett zu machen, setze ich neben das Schwein noch einen Playmobil-Hasen. Wieso sollen denn keine anderen Tiere außer Ochs, Esel und Schafe an der Krippe gewesen sein? Möglich ist alles...
Jetzt kommen Maria, die Krippe mit dem Jesuskind - die ich zuvor vorsorglich mit Heu auspolstere, damit das Baby es ja auch schön warm hat - und Joseph. Mit einem Blick auf Maria stelle ich fest, daß die Figur im Laufe der Jahre irgendwie einen melancholischen Ausdruck im Gesicht hat. Liegt das an der verblichenen Farbe? Joseph hingegen guckt freundlich und herzensgut wie eh und jeh.
Ich lasse den ersten der heiligen drei Könige vor der Krippe niederknien. Die anderen beiden müssen sich noch hinten anstellen, doch sie haben bereits ihre Geschenke für den Heiland parat. Melichors Gesicht wird kurz von mir gemustert: Die Augen sind leicht verschwommen. Sieht leicht bekiff... Entschuldigung: besoffen aus. Aber der arme Kerl kann ja nichts dafür, wenn er schon so alt ist. Hinter Melchior stelle ich Balthasar. Dem ersten der Könige, Caspar, der schon niedergekniet ist, stelle ich einen Hirten zur Seite, der ebenfalls vor dem Kinde kniet. Neben den Hirten kommt ein weiteres Schaf.
Nun ist die Krippe fast fertig. Nur der Engel fehlt noch. Vorsichtig nehme ich die blaugekleidete Erscheinung mit den blonden Haaren und den goldenen Flügeln aus der Plastiktüte. Zwischen den beiden Flügeln ist ein Loch, um daran den Engel aufzuhängen.
“Ääh...“ Der Nagel am Krippendach ist verschwunden. Versuchen wir´s eben ohne ihn...
PENG! Der Engel stürzt vom Dache hernieder. Zum Glück ist er heil geblieben. Soll ich ihn auf das Krippendach setzen? Der Bote Gottes schwankt bedrohlich ... KNALL!
Okay, so wird das nichts.
“Mama? Ich krieg den Engel nicht aufs Dach!“
Meine Mutter kommt angewieselt.
“Zeig mal her.“ Einen Blick auf den Engel getan, und -
“Das haben wir doch immer mit einem Nagel gemacht.“
Es stellt sich heraus, das das Ding ziemlich tief im Krippendach steckt. Rausgezogen und zurechtgebogen, den Engel daran gepinnt.
*Wackel, schwank*
“Oooh...“
SCHEPPER!
- “Der fliegt dauernd auf die Fresse!“
Mama dreht den Nagel nochmals zurecht. Wieder wird der Engel daran gehängt.
- “So, jetzt hält er.“
KRACH!
Oder auch nicht...
- “Das ist wohl der gefallene Engel...“
- “Luzifer?“ sage ich. “Naja...“
Erneuter Versuch. Der Nagel wird zurechtgedreht, der Engel daran gehängt...
ER HÄLT! *Tadaaa!*
Mama geht davon in Richtung Küche. Ganz vorsichtig schiebe ich eines der Lämmer näher zum Hirten hin.
WUMM!
*seufz*
- “Mama - der Engel...“
- “Vielleicht sollten wir Tesafilm nehmen.“

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.12.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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