Mara Krovecs

Wie ich mal fast Weihnachten im Birnenbaum verbracht hätte.

Hatte ich ja schon immer gesagt, dass unser Garten entweder ein großer archäologischer Geheimtipp sei, oder der Ort geheimnisvoller kriminalistischer Machenschaften.
Ich bin Benjamin Jakob Hammerdal, 10 Jahre alt und auf dem besten Wege ein großer Kommissar zu werden, oder Archäologe, was nun genau, das wird sich ja noch herausstellen.

Heute Morgen hatte ich schon so eine dumpfe Ahnung, dass dieses Weihnachtsfest Schwierigkeiten machen würde, mein Nutella-Toast schmeckte irgendwie angebrannt, Mutti war schlecht gelaunt und ich durfte keinen Zeichentrickfilm kucken und meine Schwester versuchte mich den ganzen Morgen davon abzuhalten in den Garten zu gehen. Angeblich wollte sie mit mir mit den Barbies spielen;

Dann fing es an zu schneien, richtig dicke Flocken, Papi war runter gegangen, weil er die Fichte am Hang fällen wollte. Die sollte dann unser Weihnachtsbaum werden und da wollte ich natürlich dabei sein .Ich rannte also am Hang rauf und runter, denn ein zukünftiger Kommissar muss sich ja fit halten, da hörte ich Papa schon rufen: „ Bleib doch mal stehen, Bendschi, das Ding soll jetzt kippen“. Mit einem Hechtsprung hangelte ich mich in letzter Sekunde in den Birnenbaum, ein spezielles Kunststück, für das ich den ganzen Sommer über
hart trainiert hatte, wartete und beobachtete, was wohl geschehen würde. Die Fichte kippte auch ganz prima, genau zur richtigen Seite, Papa war zufrieden. Inzwischen war es ganz schön kalt geworden, Papa und ich rieben uns ständig die Hände und pusteten da rein, damit uns ein wenig warm werden sollte. Zum Glück hatte er mich dabei, zum Reinschleppen von diesem Riesenviech , unserem Weihnachtsbaum.
Dann gab´s noch einen kleinen Kampf mit dem Tannenbaumständer, dieser olle Baum kippte nämlich ständig hin und her, Papa war schon ganz schwindelig und musste dauernd Bier trinken, weil es sonst einfach unerträglich war mit diesem Baum. Während Mutti fleißig in der Küche rumlief, packte mich dann so eine Ahnung, ich musste einfach noch mal in den Garten.
Meine Schwester war auch unten und lief dauernd im Kreis rum und fing sich Schneeflocken, die sie dann essen wollte, jedenfalls streckte sie ihre Zunge lang raus, das sah vielleicht blöd aus. Ja, und kurze Zeit später fand ich ihn dann auch., er steckte in der Erde und ich sah zunächst nur was weißes und dachte es wäre ein Stein oder so. Aber dann hörte ich auf meinen echt gut ausgebildeten kriminalistischen Sinn: Bendschi, dachte ich, hier stimmt was nicht. Ich holte meine kleine Spitzhacke und legte so richtig los. Und wenn ich erst mal so nah an einer Sache dran bin, dann kriegt mich so schnell auch keiner mehr davon weg.

Als es dann schon dunkel war, hatte ich den Knochen endlich ausgebuddelt. Es war ein Prachtexemplar von einem Knochen. Möglicherweise war er sogar menschlich.
Wahrscheinlich war in unserem Garten ein Mord geschehen, oder zumindest eine große Tragödie, mit Sicherheit würden hier noch viel mehr Knochen herumliegen und ich musste höllisch aufpassen, dass mir die Nachbarn heute Nacht nicht durch Räuberei meinen zukünftigen Ruhm zunichte machen würden. Ich hatte meinen Posten am Birnenbaum eingenommen und schritt pflichtbewusst wie ein Soldat vor dem Baum auf und ab.
Dass mich meine Familie zwischendurch immer wieder rein rief, versteht sich von selbst.
Woher sollten die mit ihren normalen Instinkten auch wissen, wie sich so ein Kriminalgenie
entwickelt. Als mein Vater richtig sauer wurde, hab ich mich ganz oben in den Birnenbaum verkrochen. Von hier aus hatte ich einen prima Beobachtungsplatz. Ich konnte ganz viele Dächer und Fenster sehen und auch, dass es über der beleuchteten Stadt immer dichter schneite.

Ich fand dass unser Fenster am weihnachtslichten von allen anderen aussah: man konnte die
brennenden Kerzen auf dem Tannenbaum gut sehen und unser Licht an der Decke hatte so einen warmen gelb -orangen Ton ; Mutti hatte das Fenster schön mit einem Mond und vielen Sternen geschmückt und die Weihnachtslieder konnte man bis in den Birnenbaum hören.

Meine Schwester kann sonst ganz schön zickig sein, aber heute kam sie zweimal zu mir
raus und brachte mir etwas Lebkuchen und eine Tasse Kinderpunsch. Vorsichtshalber hab ich mir die Sachen in einer Blechdose servieren lassen, die ich von oben runterließ und dann langsam hochzog. Na ja , der Punsch kam nur zur Hälfte hier oben an;
Mutti kam auch einmal und versuchte mich zu überreden mit rein zu kommen. Sie hatte
den Gänsebraten fertig, es gab Rotkohl dazu und zum Nachtisch Eis. Als ich ihr erklärte,
wie dankbar man mir später sein würde, für meinen wichtigen Job heute Nacht, brachte sie mir ganz verständnisvoll eine warme Decke, denn inzwischen war ich schon eingeschneit,das heißt auf meiner Mütze und den Zweigen meines Beobachtungsplatzes war lag schon eine
eine ganz schön hohe Schicht mit superweißem Schnee.
Ich hatte wirklich gekämpft. Hatte lange Zeit nicht aufgegeben. Als ich die Sterne in dem weißen Puderzeugs dass jetzt überall in unserem Garten lag blinken sah, musste ich an die ganzen Geschenke unter dem Tannenbaum denken und dass die jetzt ohne mich ausgepackt werden würden. Und da merkte ich dann auch, dass meine Nase und die Füße schon ziemlich erfroren waren. Ich dachte an die Filme wo den Leuten in den Polargebieten immer irgendwas abgefroren war und dass es doch keinem nützte, wenn ich jetzt schon zugrunde ginge.
In allerletzter Sekunde sprang ich von dem Baum und rannte was das Zeug hielt auf unsere Haustür zu, den Knochen natürlich fest in meiner Hand. Wie gut, dass ich von Haus aus ein scharfsinniger Kerl bin, der genau weiß wann er eine Sache erst einmal auf sich beruhen lassen muss, um dann zum richtigen Zeitpunkt erbarmungslos zuzuschlagen.
Morgen würde ich dann die ganze Bande hochgehen lassen, aber jetzt musste ich erst einmal mein nacktes Leben retten. Das würde sicher jeder verstehen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.12.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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