Angela Redeker

Weihnachtserinnerungen

Weihnachtserinnerungen

Dezember 1931
Regina saß bei ihrer Oma in der Küche. Sie liebte diesen Raum, hier war es durch den großen Ofen immer warm, außerdem war dies der Mittelpunkt des Hauses, es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Wenn Papa von der Arbeit kam, saß er zuerst hier, manchmal nur für ein paar Minuten, um sich auszuruhen. Nachbarn, die auf einen kleinen Plausch vorbei kamen saßen in der Küche, tranken einen Kaffee oder Tee, erzählten von den Geschehnissen draußen in der Welt, der Briefträger brachte die neusten Nachrichten, hier wurde diskutiert und spekuliert, über so viele die Dinge, die Regina nicht verstand, meistens nahmen die Erwachsenen keine Notiz von ihr, ab und zu strich ihr mal jemand über den Kopf, meinte freundlich: „Na du“, aber dabei blieb es auch.
Doch jetzt kurz vor Weihnachten, bemerkte sie jeder, so als ob sie ständig in einem weißen Kleid durch den Raum schweben würde, sah man erst zu ihr, strich ihr übers Haar, „Na Regina, warst du auch brav?“ „Ja“, antwortete sie dann schüchtern.
Der nächste wollte wissen: „Freust du dich schon? Bald kommt der Weihnachtsmann. Kannst du denn schon ein Gedicht?“
Manchmal durfte sie es dann auch aufsagen, und alle strahlten. In diesen Tagen erschienen ihr die Menschen weicher, sie reichten einander die Hände, auch die, die das ganze Jahr über kaum miteinander sprachen.
„Das ist der Geist der Weihnacht“, sagte die Oma. Wehmütig schweiften ihre Blicke dann hinaus aufs Dorf in Richtung Friedhof. Aha, dachte Regina, es gibt sie also doch, die Geister.
Es klopfte, Regina rannte zur Tür und öffnete, draußen stand Herr Mellert, er wohnte mit seiner Frau zwei Häuser weiter in der Schulstraße, sie hatten keine Kinder, doch diesmal stand ein Junge, ungefähr zwei Köpfe größer als Regina neben ihm. Der leichte Wind trug neben der Kälte auch einige Schneeflocken, in den Raum. „Komm rein“, brüllte die Oma vom Herd her „und mach die Tür zu, wird ja alles kalt, mir fällt der Kuchen zusammen.“ Regina zog den Jungen ins Haus und schloss schnell die Tür.
„Regina, das ist Kai, mein Neffe“, stellte Herr Mellert den Jungen vor. „Er kommt aus der Stadt“, fügte er nicht ohne Stolz erklärend hinzu. „Ach der Kai“, nun kam die Oma mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu, drückte ihn an ihre Brust, „ja mei, bist du groß geworden.“
Sie schob ihn von sich und betrachtete ihn wie die Postkarte, die der Sohn vom Müller im vorigen Sommer geschickt hatte, die Müller dann hier in der Küche Stolz umherzeigte, selbst Regina durfte sie ansehen, die kommt aus Paris, und Paris war die große weite Welt, das wusste Regina schon. Kai schien es nicht zu gefallen so betrachtet zu werden.
„Es schneit“, sagte er deshalb zu Regina, „wollen wir Schlitten fahren?“
„Ja, so ist’s fein“, entschied die Oma, „geht Schlitten fahren.“
Kurze Zeit später liefen die Beiden durch den Schnee zum Rodelberg, von dem schon lautes
Gelächter ertönte.
„Hallo Regina, wer ist das?“, hörten sie die Stimme von Hannes hinter sich.Hannes, sieben Jahre alt, war der Sohn von Papas bestem Freund und seine Mama arbeitet mit Reginas Mama zusammen, die beiden kannten sich schon eine Ewigkeit. „Das ist Kai, der Neffe von Herrn Mellert, der ist auf Besuch“, meinte Regina.
„Traust du dich von ganz oben mit dem Schlitten runter?“, wollte Hannes wissen. „Klar, ist doch nicht hoch.“ Und schon liefen sie den Berg hinauf. Es wurde eine rasante Schlittenfahrt, sie lachten und hatten ihren Spaß, immer wieder fuhren sie um die Wette, bis ihre Wangen vom kalten Fahrtwind glühten. Irgendwann meinte Hannes, „Ich hab keine Lust mehr, aber ich hab Bonbons, wollen wir die teilen?“ Die anderen nickten zustimmend, sie liefen zu der kleinen Bank, lutschten ihre Bonbons und lauschten den Erzählungen Kais von dem Leben in der Stadt. Kai war schon neun und wusste unheimlich viel. Irgendwann wollte er wissen: „Was wünscht ihr euch denn zu Weihnachten?“
„Ich wünsch mir einen Hund“, erklärte Regina.
„Schon wieder“, stöhnte Hannes, „deine Eltern wollen das nicht.“
„Aber ich hab´s auf den Wunschzettel geschrieben, an den Weihnachtsmann, den der Briefträger mitgenommen hat“, fügte sie nachdrücklich hinzu.
Kai grinste in sich hinein.
„Wie alt bist du Regina?“
„Ich werde im Sommer sieben“, verkündete sie.
„Ach so“, meinte Kai und schüttelte den Kopf.
„Was ist?“, wollte Regina wissen.
„Also, ich sag es nicht gern, aber du wirst keinen Hund kriegen.“
„Wieso...?“, Reginas Stimme klang dünn, ihre Augen füllten sich mit Tränen.
„Ist doch ganz einfach“, sprach Kai versöhnlich und legte tröstend den Arm um sie.
„Weil der Weihnachtsmann erwachsen ist. Ich wollte auch mal eine Katze und meine Mutter hat gesagt, Kai du kümmerst dich ja doch nicht um die, und das weiß auch der Weihnachtsmann, deshalb wirst du keine bekommen.“
„Aber, ich würde mich um ihn kümmern“, unterbracht Regina ihn, „ehrlich.“
„Hab ich auch gesagt, hat nichts genützt“, stellte Kai Schultern zuckend fest.
„Ach Regina, wünscht dir lieber einen neuen Schlitten“, schlug Hannes vor.
Nun konnte sie ihre Tränen nicht mehr zurück halten, sie wollte keinen neuen Schlitten. Die Jungs lachten, „Heulsusen, kriegen sowie so nichts.“
„Ihr seid gemein“, schimpfte Regina und lief ohne Schlitten nach Hause.
„Kinder“, stöhnte Kai, Hannes nickte zustimmend.

Zu Hause angekommen verkroch Regina sich in der Waschküche, doch die Oma hatte sie gehört.
„He, Engelchen, was ist los?“, wollte sie wissen während sie Regina aus der Ecke zog und in den Arm nahm, „hat dich jemand gehauen?“
„Nein“, sie schluchzte und kuschelte sich fest an die Oma.
„Ach du bist ja ganz kalt, komm ich mach dir eine warme Milch.“ Die Kleine schüttelte den Kopf.
„Mit ein bisschen Schokolade“, fügte die Oma verheißungsvoll hinzu und schlurfte mit ihr auf dem Arm in die Küche.
„Du Oma“, begann Regina nachdem sie den ersten Schluck der Schokolade genossen hatte, „ist der Weihnachtsmann erwachsen?“
„Was?“, die Oma sah vom Kochtopf zu ihrer Enkelin, die zusammengesunken auf der Bank saß und sie erwartungsvoll ansah.
„Der Kai, hat gesagt...“
„Wenn ich den in die Finger kriege“, unterbrach die Oma sie leise, doch als sie den entsetzten Blick der Kleinen sah, wollte sie wissen: „Was hat der Kai gesagt?“
Dicke Tränen flossen aus den Augen des Mädchens als sie erzählte, „Ich hab mir vom Weihnachtsmann einen Hund gewünscht“, die Oma lächelte zärtlich, „und der Kai hat gesagt, den bringt mir der Weihnachtsmann nicht weil der erwachsen ist.“ Nun weinte sie bitterlich, holte tief Luft, wischte sich die Tränen mit dem Ärmel fort, „und Hannes ...hat gesagt... ich soll mir lieber einen neuen Schlitten wünschen“, kam es brüchig über ihre Lippen.
„Ach Engelchen“, küsste die Oma ihre Tränen fort, „der Kai denkt, nur weil er aus der Stadt kommt, weiß er alles“, sie wiegte das Mädchen in ihrem Arm, „aber das ist nicht so, lass dich überraschen, denn wenn der Weihnachtsmann auch erwachsen ist“, sie sah ihr jetzt in die Augen, „so ist er doch der Einzige auf der Welt, der die Herzen der Kinder kennt, weil er ganz tief da drinnen, immer noch ein Kind ist“, erklärte sie während sie sanft auf ihre Brust drückte. Regina zog zitternd die Luft ein und lächelte schon wieder ein bisschen.

Drei Tage später war Heiligabend. Regina war aufgeregt wie immer, aber zum ersten Mal in ihrem jungen Leben hatte sie auch Angst, obwohl Kai gestern noch zu ihr gekommen war und ihr gesagt hatte, dass er im Unrecht war so zu reden.
Dann nach dem Essen, das sich für Reginas Geschmack viel zu lange hinzog, war es endlich so weit. Der Papa läutete die Weihnachtsglocke und öffnete die Tür zur guten Stube. Regina klammert sich an Mamas Hand und betrat vorsichtig den Raum, der vom hellen Kerzenschein erleuchtet in ein zauberhaftes Licht getaucht war.
„Nun Regina, kannst denn du auch ein Gedicht?“, fragte der Papa und gab sich Mühe sehr würdevoll auszusehen, aber Regina sah ihm an, dass er sich in dem ungewohnten Hemd mit Krawatte nicht wohl fühlte.
Noch bevor sie mit ihrem Gedicht beginnen konnte hörte sie ein Rascheln unter dem Tannenbaum, da hinten in dem einen Karton bewegte sich etwas. Neugierig lugte sie um den Baum, konnte aber außer dem Karton nichts entdecken. Mit klopfendem Herzen begann sie:
Von draußen vom Walde komm ich her....
Endlich war sie fertig und alles klatschte.
„Nun schau“, sagte der Vater und holte den Karton hervor, „dies ist für dich“. Mit zitternden Händen öffnete Regina den Deckel, der mit Löchern versehen war, ihr Herz klopfte so laut, als wollte es den Glocken der Kirche Konkurrenz machen.
Ein leises Jaulen ertönte als sie den Deckel hob und braune Kulleraugen blickten ihr neugierig entgegen.
„Oh ja“, völlig entzückt hob Regina den kleinen Welpen aus dem Karton, drückte ihn ganz vorsichtig an sich, kicherte als er ihr Gesicht abschleckte. Strahlend ging sie zur Oma, die in ihrem Lieblingssessel saß, nickte und hauchte: “ Ganz tief drin, ist er ein Kind.“




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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.12.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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