Anja Röck

Das Geschenk des Esels

Das Geschenk des Esels

Puuh, endlich Ruhe. Der Esel sah sich im Stall um. Nein, heute mal keine Menschenansammlungen. Bedächtig nickte er mit dem Kopf. Dann konnte das kleine Menschenkind in der Krippe mal ausruhen.
Auch die Mutter des kleinen Jungen sah ziemlich müde aus.
Aber war das ein Wunder? Seit der Kleine vor ein paar Tagen hier nachts auf die Welt gekommen war, glich der Stall einem Bienenstock.

Ständig waren Leute hier gewesen. Sie hatten den Jungen anschauen wollen. Auch die Mutter und der Vater waren ausgiebig betrachtet worden. Meist sangen sie dann noch etwas, ließen Geschenke da und gingen dann wieder.
Die hintere Ecke des Stalls sah aus wie ein Warenlager. Felle, Amphoren mit Wein, Brot, Feigen und Datteln, Ziegenmilch, eine gewebte Decke und noch vieles mehr.

Der Esel sah zum Ochsen rüber. Auch dieser hatte die Augen geschlossen und döste vor sich hin.
Was wohl an diesem kleinen Jungen so Besonderes war, überlegte der Esel. Es hatte in der Vergangenheit schon öfter mal eine arme Familie hier übernachtet, aber noch nie war so ein Aufheben gemacht worden.

Vorsichtig stapfte der Esel näher an die Krippe. Er wollte sich dieses Kind doch noch mal aus der Nähe betrachten. Vielleicht fand er dann ja heraus warum so viele Menschen an dem Jungen interessiert waren.
Ganz sacht schob er die Nase über den Rand der Krippe. Er wollte den Kleinen ja nicht wecken oder gar erschrecken. Tief sog der den Geruch ein. Nein, am Geruch konnte es nicht liegen. Dieses Baby roch wie jedes andere auch.
Langsam wanderten seine Augen nach oben zum Gesicht. Der Esel erschrak. Der Kleine war ja wach. Mit großen dunklen Augen sah er ihn an. Fast sah es aus als würde er schmunzeln.
„Hallo“. Der Esel glaubte sich verhört zu haben. Er drehte den Kopf langsam hin und her auf der Suche nach der Person die gesprochen hatte. „Hallo Esel“.
Da, schon wieder. Der Esel schaute zurück in die Krippe. Dieses kleine Menschenkind konnte doch unmöglich mit ihm gesprochen haben. So kleine Menschen konnten nicht sprechen und schon gar nicht in seiner Sprache.

„Doch, ich kann mit dir sprechen.“ Der Esel war verwirrt. Also nicht nur sprechen, sondern auch noch Gedanken lesen.
Das Kind lächelte. „Glaub es nur, ich kann mit allen Tieren sprechen. Der Ochse und ich hatten schön öfter einen kleinen Plausch. Du hast geschlafen, deshalb hast du uns nicht gehört.“
„Ist es das, was dich so Besonders macht“, fragte der Esel. „Warum so viele Menschen herkommen, dich anschauen wollen und dir Geschenke bringen?“
„Nun ja“, meinte der Junge, „auch. Aber wenn sie mich anschauen, da schlagen ihre Herzen auf einmal leichter. Sie werden froh und gehen miteinander auch liebevoller um. Es ist also ob ein Licht in ihnen angezündet wird.“

„Und wer bist du, dass du das kannst?“ fragte der Esel.
„Ich bin der Sohn Gottes, des Vaters aller Lebewesen. Er wohnt im Himmel. Er hat mich geschickt um den Menschen und allen Lebewesen die Botschaft der Freude und Liebe zu bringen.“
„Was würde denn dir eine Freude machen?“ das Kind sah den Esel fragend an.
„Mir?“ mit einer solchen Frage hatte der Esel nun wirklich nicht gerechnet. „Ich weiß nicht.“
„Es muss doch etwas geben, was du dir sehr wünschst oder wovon du schon lange geträumt hast.“ Das Kind ließ nicht locker.
Der Esel grübelte. „Hmmm, ich glaube mir fällt wirklich nichts ein.“ Angestrengt dachte der Esel nach. Da, auf einmal blitze ein Gedanke in ihm auf. Doch gleich versuchte er ihn wieder zu vertreiben. Nein das wirklich zu abwegig.
Das Kind hatte den Esel genau beobachtet. „Und“, fragte es, „ist dir etwas eingefallen?“ Der Esel druckste herum, „Iiaaa, aber es ist ein ganz ausgefallener Wunsch. Für mich als Esel, meine ich.“
„Was ist es denn?“ die Augen des Jungen blitzten interessiert auf.
„Weißt du, mir gefallen die vielen Farben die es auf der Welt gibt.“ Der Esel war sichtlich verlegen. „Sooo viele schöne Farben. Aber am Schönsten, am Wunderbarsten ist die Farbe Rot. Diese Farbe liebe ich über alles. Könnte ich wie ein Mensch ein Maler sein, dann würde ich nur Bilder in Rot malen.“
„Warum tust du es nicht?“
Jetzt war der Esel fast verärgert, „Ich bin doch kein Mensch!“
„Na und – warum muss man denn ein Mensch sein um zu malen?“ So hatte der Esel die Sache noch nicht betrachtet. Bisher hatte er immer gedacht, dass man ein Mensch sein müsste, da diese ja Hände haben und er nicht. Vorsichtig fragte er nach, „ Du glaubst also, dass ich auch als Esel malen könnte? Aber wie soll das gehen?“

„Mal sehen“, das Kind sah sich um. „Dort hinten liegen doch verschiedene Felle. Ich schenke dir eines als Leinwand.“
Der Esel war ganz gerührt. So nah war er seinem Traum noch nie gewesen.
Doch wie sollte das mit den Farben gehen?
Auch das Kind überlegte. „Sollen es mehrere Farben sein oder nur deine Lieblingsfarbe?“ Die Augen des Esels funkelten wie Sterne, „Oooh, es reicht völlig wenn wir rote Farbe haben. Das wäre wirklich die Erfüllung meines Traumes.“

„Wein ist rot, aber ich denke zu wässrig um richtig damit malen zu können.“ Der kleine Junge runzelte die Stirn und kniff die Augen zusammen so angestrengt dachte er nach. Auch der Esel überlegte, aber ihm fiel beim besten Willen nichts ein woraus man rote Farbe machen könnte.
Er fing gerade an traurig zu werden als das Gesicht des Kindes plötzlich aufleuchtete.
„Die roten Beeren. Ganz hinten in der Ecke. Ein junger Mann aus einem fernen Land hat sie mir als Geschenk mitgebracht. Die könntest du mit deinen Hufen zerstampfen und den Brei zum Malen benutzen.“
Der Esel fragte nach „Aber du kannst doch nicht so viele deiner Geschenke mir schenken.“
Das Kind blickte ihm ernst in die Augen „Doch“, meine es, „wenn es um die Erfüllung deines Wunsches, deines großen Traumes geht, dann gebe ich diese Dinge gerne her.“

Der Esel ging also nach hinten in die Ecke und holte die Beeren und das Fell. Beides legte er in der Nähe der Krippe ab, damit der Kleine ihm auch zusehen konnte. Dann schob das Stroh am Boden etwas beiseite und hackte mit den Hufen eine kleine Vertiefung in den Lehmboden. Dorthin tat er die Beeren und zerstampfte sie.
„Was soll ich denn malen?“ Jetzt da sein Traum so kurz vor der Erfüllung stand wusste er auf einmal nicht weiter.
„Das weiß ich nicht“, sagte der Junge, „es ist doch dein Bild. Mal doch einfach drauf los.“
Also tauchte der Esel beider vorderen Hufe in die Beerensoße und fing an. Kreuz und quer. Nach und nach entstand ein wunderbares Muster auf dem weißen Fell. Es wurde ganz ruhig im Stall. So sehr war der Esel mit Malen beschäftigt und das Kind mit Zusehen.
Auf einmal stieß der Esel einen tiefen Seufzer aus.
„Fertig.“ Und tatsächlich – jeder der das Bild ansehen würde, wäre davon auch überzeugt. Es war ein wunderbares, einmaliges Bild geworden.
Noch einmal seufzte der Esel. Wie aus einem tiefen Traum erwachend sah er sich um. Dann nahm er das Fell vorsichtig zwischen die Zähne und legte es über das Kind. „Ich möchte dir mein Bild schenken. Als Dank für die Erfüllung meines Traumes, als Dank für die große Freude in meinem Herzen.“
„Ich danke dir“, sagte der Junge. „Siehst du, durch die Freude die ich dir geben konnte, gibst du nun Freude weiter. Das ist meine Aufgabe hier auf der Welt. Denn wenn alle danach handeln, dann kann die große Liebe meines Vaters wirken.“
Der Esel nickte. Jetzt hatte er das Besondere des Kindes erfahren und erlebt. Er wollte es nie vergessen.

Eine Weile später sah die Mutter nach ihrem kleinen Jungen. Er lag friedlich schlafend in seiner Krippe. Die Hände fest um ein Fell geklammert mit einem außergewöhnlich schönen rotem Muster.
Diese Decke hatte sie vorher nie gesehen. Es schien ein Besucher da gewesen zu sein, während sie schlief.
Da der Kleine das Fell jedoch so festhielt lies sie sie ihm. Welch ein wunderbares Geschenk.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.12.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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